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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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geschichtlichen Morgendämmerung in gestaltlosen Sagen dem Lichte entgegen klingt
und nicht anders als in Versen seine Orakel zu geben vermag. Mit demselben
Feuereifer der Wahrheit, mit welchem Lessing die Seichtheit des Archäologen Klotz,
die Bornirtheit des Pastor Götze bekämpfte, tritt Junius seinen politischen Wi¬
dersachern entgegen; er ist ein Lessing auf dem Felde der Politik, und wie in
einem brennenden Dornbusche, tritt uus bei ihm in der Majestät des polemischen
Zornes die göttliche Erscheinung der gediegenen Männlichkeit vor Augen.

Warum erwähne ich aber gerade jetzt den brittischen Heros, da, ich eine Be¬
sprechung der kürzlich erschienenen Heisere'schen Broschüre liefern will? Die Welt
liebt Kontraste, ich beabsichtige, den Lesern der Grenzboten eine Scene aus den
Pygmäenkämpfen der östreichischen Polemik vorzuführen. Unsere Revolution hat
uus noch nicht den sittlichen Ernst gegeben, der zu einer würdigen Polemik nöthig
ist; die Kämpfer sind nicht von dem Religionseifer für eine Idee durchglüht, son¬
dern blos persönlich gereizt, wenn sie sich mit einander messen. Nur eine ange¬
thane Schmach treibt ihnen das Blut in die Wangen, und es handelt sich bei
dieser frivolen Polemik immer nur um die eigene Haut, um einen Fußtritt oder eine
Ohrfeige, über die dann in öffentlichen Blättern der nöthige Lärm gemacht wer¬
den muß. --

Die Streitfrage, durch welche die oben genannte Broschüre veranlaßt wurde,
ist keineswegs eine Ausnahme von jener Regel. Kurz nach der Auflösung des
Reichstages verbreitete sich das Gerücht, der Unterstaatssckretär Heisere habe in
jener Nacht, wo die octroyirte Charte einem auserwählten Kreise von Reichtags-
depntirten vorgelesen wurde, gegen einen böhmischen Abgeordneten, der vielleicht
von einer blutigen Jahresfeier der Pfingstereignisse und andern schrecklichen Din¬
gen gesprochen, sich auf das bestimmteste geäußert, "daß die Ezechen im Fall eines
Widerstandes ohne Weiteres deutsch gemacht werden!" Dieser Beschuldigung
widersprach Heisere im östreichischen Evrrespondenten vom 10. März, dnrch
die Erklärung, daß er es nur "der falschen Auffassung eines in ganz anderem
Sinne geführten Gespräches zuschreiben müsse, wenn ihm diese Worte in den Mund
gelegt werden konnten." Hierauf nannte sich Dr. Pinkas in den Narvdny Noviny
und dem constitutionellen Blatte aus Böhmen als denjenigen Abgeordneten, der
sich in jener Nacht mit ihm unterhalten, und erklärte, daß er zwar nicht die an¬
geführten Worte, aber viele andere, die das Gerücht keineswegs Lügen strafen,
damals aus seinem Munde vernommen habe. Da er das Gedächtniß des Herrn
Unterstaatssekretärs der Wucht der Geschäfte unterlegen glaubt, so kommt er dem"
selben auf bereitwillige Weise zu Hilfe. Er erinnert den jungen Staatsmann daran,
wie er "mit gekreuzten Beinen auf einem Tabouretchen sitzend, in Liebe für sein
Heimatland, und seinem Wahlspruche: "Oeil piol.knien vulxus" treu, den be¬
stürzten Deputirten eisigkalte Belehrungen gegeben, wie er sich geäußert habe,
ein Reichstag, der sich anmaßt, Religion zu machen, dürfe nicht ferner existiren,


geschichtlichen Morgendämmerung in gestaltlosen Sagen dem Lichte entgegen klingt
und nicht anders als in Versen seine Orakel zu geben vermag. Mit demselben
Feuereifer der Wahrheit, mit welchem Lessing die Seichtheit des Archäologen Klotz,
die Bornirtheit des Pastor Götze bekämpfte, tritt Junius seinen politischen Wi¬
dersachern entgegen; er ist ein Lessing auf dem Felde der Politik, und wie in
einem brennenden Dornbusche, tritt uus bei ihm in der Majestät des polemischen
Zornes die göttliche Erscheinung der gediegenen Männlichkeit vor Augen.

Warum erwähne ich aber gerade jetzt den brittischen Heros, da, ich eine Be¬
sprechung der kürzlich erschienenen Heisere'schen Broschüre liefern will? Die Welt
liebt Kontraste, ich beabsichtige, den Lesern der Grenzboten eine Scene aus den
Pygmäenkämpfen der östreichischen Polemik vorzuführen. Unsere Revolution hat
uus noch nicht den sittlichen Ernst gegeben, der zu einer würdigen Polemik nöthig
ist; die Kämpfer sind nicht von dem Religionseifer für eine Idee durchglüht, son¬
dern blos persönlich gereizt, wenn sie sich mit einander messen. Nur eine ange¬
thane Schmach treibt ihnen das Blut in die Wangen, und es handelt sich bei
dieser frivolen Polemik immer nur um die eigene Haut, um einen Fußtritt oder eine
Ohrfeige, über die dann in öffentlichen Blättern der nöthige Lärm gemacht wer¬
den muß. —

Die Streitfrage, durch welche die oben genannte Broschüre veranlaßt wurde,
ist keineswegs eine Ausnahme von jener Regel. Kurz nach der Auflösung des
Reichstages verbreitete sich das Gerücht, der Unterstaatssckretär Heisere habe in
jener Nacht, wo die octroyirte Charte einem auserwählten Kreise von Reichtags-
depntirten vorgelesen wurde, gegen einen böhmischen Abgeordneten, der vielleicht
von einer blutigen Jahresfeier der Pfingstereignisse und andern schrecklichen Din¬
gen gesprochen, sich auf das bestimmteste geäußert, „daß die Ezechen im Fall eines
Widerstandes ohne Weiteres deutsch gemacht werden!" Dieser Beschuldigung
widersprach Heisere im östreichischen Evrrespondenten vom 10. März, dnrch
die Erklärung, daß er es nur „der falschen Auffassung eines in ganz anderem
Sinne geführten Gespräches zuschreiben müsse, wenn ihm diese Worte in den Mund
gelegt werden konnten." Hierauf nannte sich Dr. Pinkas in den Narvdny Noviny
und dem constitutionellen Blatte aus Böhmen als denjenigen Abgeordneten, der
sich in jener Nacht mit ihm unterhalten, und erklärte, daß er zwar nicht die an¬
geführten Worte, aber viele andere, die das Gerücht keineswegs Lügen strafen,
damals aus seinem Munde vernommen habe. Da er das Gedächtniß des Herrn
Unterstaatssekretärs der Wucht der Geschäfte unterlegen glaubt, so kommt er dem«
selben auf bereitwillige Weise zu Hilfe. Er erinnert den jungen Staatsmann daran,
wie er „mit gekreuzten Beinen auf einem Tabouretchen sitzend, in Liebe für sein
Heimatland, und seinem Wahlspruche: „Oeil piol.knien vulxus" treu, den be¬
stürzten Deputirten eisigkalte Belehrungen gegeben, wie er sich geäußert habe,
ein Reichstag, der sich anmaßt, Religion zu machen, dürfe nicht ferner existiren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/76>, abgerufen am 15.01.2025.