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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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schön gesagt -- alle Einwürfe der Gegner wurden schlagend wiederlegt. Wer
durch diese Rede nicht überzeugt wurde, der war nicht zu überzeugen. Ueber
zwei Stunden währte der meisterhafte Vortrag und der Redner sprach mit einer
Wärme,, mit einer Schärfe und Klarheit des Ausdrucks und mit einer Würde,
wie mir in so schönem Einklange Aehnliches nie vorgekommen. Auch war der
Eindruck ein gewaltiger, ein unbeschreiblicher. Alten Kriegern standen die Thränen
in den Augen; man drückte sich einander die Hände, man sah sich einander ver¬
ständnißinnig an, und wahrlich, ich beneide gewisse Herren von der Linken, die
bei dieser Rede lachen konnten, um ihr Gefühl nicht . . .

Wären die Parteien nicht schon früher gebildet und die Stimmen nicht schon
lange vor Beginn der Verhandlungen verpfändet gewesen, so würde die Partei
der Kaiserlichen in Folge der Rießer'schen Rede eine große Stimmenmehrzahl ge¬
wonnen haben. So aber blieb der Stand der Dinge wie er war, und -- das
traurige Resultat der Abstimmung ist Ihnen bekannt! . . .

Daß die Oppositionspartei (wenn man überhaupt das Wort Partei anwenden
kann für eine momentane, aus den heterogensten Elementen gebildete Koalition,
wo Fürstendiener und Radicale, Aristokraten und Demokraten, Pfaffen und Phi¬
losophen einander die Hände reichten), daß diese Partei auch staatsmännische Ka¬
pacitäten von entschieden deutscher Gesinnung, wie Heinrich Simon u. A. zu ihren
Mitgliedern zählte, hat seinen Grund lediglich in einer unrichtigen Auffassung der
Zustände in den deutsch-östreichischen Ländern. Uebrigens wissen wir aus guter
Quelle, daß die später angebahnte Verständigung der Weidenbuschpartei mit der
Westendhalle größtenteils den unermüdlichen Bestrebungen Heinrich Simons zu
danken ist.

Bekanntlich ließ sich die Weidenbuschpartei, nach der Verwerfung des Rießer'¬
schen Ansschußautragcs, zu wichtigen Concessionen herbei (suspensives Veto, freies
Wahlgesetz), und auf diese Concessionen hin war Heinrich Simon der Erste, der
für das preußische Erbkaiserthum Partei nahm.

Bekannt ist ferner, wie nach erfolgter Abstimmung der einzelnen Paragraphen
die Verfassung angenommen und auf Grundlage dieser Verfassung der König von
Preußen mit einer Majorität von 42 Stimmen zum Kaiser von Deutschland er¬
wählt wurde.'Die Nationalversammlung entsendete eine Deputation von l!2 Mit¬
gliedern , den Präsidenten Simson an der Spitze, nach Berlin, um Sr. Majestät
den Beschluß der deutschen Nationalvertreter kund zu thun.

Ich perschone Sie mit geistreichen Vermuthungen, mit Wahrscheinlichkeits¬
berechnungen über die nächsten Folgen des verhängnißvollen Beschlusses, und ich
schließe mit dem herzlichen Wunsche, daß der König von Preußen dem Verlangen
seines Volkes entsprechen und den Forderungen der Zeit gerecht sein möge! ---




schön gesagt — alle Einwürfe der Gegner wurden schlagend wiederlegt. Wer
durch diese Rede nicht überzeugt wurde, der war nicht zu überzeugen. Ueber
zwei Stunden währte der meisterhafte Vortrag und der Redner sprach mit einer
Wärme,, mit einer Schärfe und Klarheit des Ausdrucks und mit einer Würde,
wie mir in so schönem Einklange Aehnliches nie vorgekommen. Auch war der
Eindruck ein gewaltiger, ein unbeschreiblicher. Alten Kriegern standen die Thränen
in den Augen; man drückte sich einander die Hände, man sah sich einander ver¬
ständnißinnig an, und wahrlich, ich beneide gewisse Herren von der Linken, die
bei dieser Rede lachen konnten, um ihr Gefühl nicht . . .

Wären die Parteien nicht schon früher gebildet und die Stimmen nicht schon
lange vor Beginn der Verhandlungen verpfändet gewesen, so würde die Partei
der Kaiserlichen in Folge der Rießer'schen Rede eine große Stimmenmehrzahl ge¬
wonnen haben. So aber blieb der Stand der Dinge wie er war, und — das
traurige Resultat der Abstimmung ist Ihnen bekannt! . . .

Daß die Oppositionspartei (wenn man überhaupt das Wort Partei anwenden
kann für eine momentane, aus den heterogensten Elementen gebildete Koalition,
wo Fürstendiener und Radicale, Aristokraten und Demokraten, Pfaffen und Phi¬
losophen einander die Hände reichten), daß diese Partei auch staatsmännische Ka¬
pacitäten von entschieden deutscher Gesinnung, wie Heinrich Simon u. A. zu ihren
Mitgliedern zählte, hat seinen Grund lediglich in einer unrichtigen Auffassung der
Zustände in den deutsch-östreichischen Ländern. Uebrigens wissen wir aus guter
Quelle, daß die später angebahnte Verständigung der Weidenbuschpartei mit der
Westendhalle größtenteils den unermüdlichen Bestrebungen Heinrich Simons zu
danken ist.

Bekanntlich ließ sich die Weidenbuschpartei, nach der Verwerfung des Rießer'¬
schen Ansschußautragcs, zu wichtigen Concessionen herbei (suspensives Veto, freies
Wahlgesetz), und auf diese Concessionen hin war Heinrich Simon der Erste, der
für das preußische Erbkaiserthum Partei nahm.

Bekannt ist ferner, wie nach erfolgter Abstimmung der einzelnen Paragraphen
die Verfassung angenommen und auf Grundlage dieser Verfassung der König von
Preußen mit einer Majorität von 42 Stimmen zum Kaiser von Deutschland er¬
wählt wurde.'Die Nationalversammlung entsendete eine Deputation von l!2 Mit¬
gliedern , den Präsidenten Simson an der Spitze, nach Berlin, um Sr. Majestät
den Beschluß der deutschen Nationalvertreter kund zu thun.

Ich perschone Sie mit geistreichen Vermuthungen, mit Wahrscheinlichkeits¬
berechnungen über die nächsten Folgen des verhängnißvollen Beschlusses, und ich
schließe mit dem herzlichen Wunsche, daß der König von Preußen dem Verlangen
seines Volkes entsprechen und den Forderungen der Zeit gerecht sein möge! -—




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/64>, abgerufen am 15.01.2025.