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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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mcngenommen seine Handlungsweise bestimmt. Im Grunde glaubt er überhaupt
nicht an eine friedliche Lösung der deutsch-östreichischen Frage und sein Hauptbe-
strebcn ist, sich sobald als möglich des lästigen Maubads zu entäußern und in
seinen geliebten Orient zurückzukehren. Am zugänglichsten für die Idee des preußi¬
schen Erbtaiserthums zeigte sich Venedey. Er war ehrlich genug, seinen Freunden
gegenüber offen zu gestehen, er würde, wenn er keine politische Vergangenheit
hätte (!) unbedingt für den Welker'schen Antrag stimmen; aber um nicht inkonse¬
quent zu werden, müsse er bei der Opposition bleiben, denn zwanzig Jahre lang
sei er ein Mattose auf dem Schiffe Grvßdeutschland gewesen und ans diesem
Schiffe müsse er stehen oder untergehen. Aehnliche Redensarten hörte ich auch
von anderen Herren der Linken, von deren politischer Vergangenheit Niemand
etwas weiß, als sie selbst.

In sehr gedrückter Stimmung kam ich in meinen Gasthof zurück. Am fol¬
genden Morgen machte ich mich in aller Frühe auf den Weg zur Paulskirche, um
einen bequemen Platz zu erbeuten. Um neun Uhr waren schon alle Räume sür
die Zuschauer mit Menschen überfüllt. Eine unbeschreibliche Spannung malte sich
auf allen Gesichtern. Die große Kaiserschlacht wurde durch einen gediegenen Vor¬
trag des H. v. Wydenbrugk eröffnet; doch kostete es große Aufmerksamkeit, dem
Redner zu folgen, denn in der Kirche herrschte -- besonders auf deu Bauten der
Deputirten -- eine solche störende Unruhe, als ob die Herren nur zusammenge¬
kommen wären, um sich im Husten, Schnaufen, Rülpsen und Spucken zu üben.
Die alle Augenblicke in Bewegung gesetzte Glocke des Präsidenten vermochte uur
hin und wieder die Ruhe etwas herzustellen.

Ich verschone Sie mit einer Detailschilderung der Debatten, welche vier Tage
hindurch, von 9 Uhr Morgens bis spät in den Nachmittag hinein währten und
erlaube mir uur, einige bemerkenswerthe Momente daraus hervorzuheben.

Von den Rednern der sogenannten Großdcntschen waren Radvwitz und Rö¬
mer die Einzigen, welche die'Frage mit Geschick, Würde und Austand behandel¬
ten. Die HH. Buß von Freiburg, Schüler von Jena, Wigard von Dresden,
übernahmen die Rolle der "Clowns" in dem großen Drama. H. v. Hermann aus
München und der Adelsbekämpfcr Mohl aus Stuttgart, schienen in der Kunst wett¬
eifern zu wollen, einschläfernd auf die Versammlung zu wirken; doch trug Ersterer
den Sieg davon. Vogt von Gießen und Simon von Trier machten es sich zur
Aufgabe, alle Sündenregister der Vergangenheit zu durchwühlen, wobei sich denn
häufig Gelegenheit zum Einflechten billiger Witze, preußenseindlicher Wortspiele
und nachmärzlicher Schlagwörter bot, deren jedes von der Linken mit langan-
haltcudem Beifallgeklatsch begrüßt wurde, was natürlich wesentlich beitrug zur
Losung der großen Frage, um die es sich handelte. H. Vogt besonders machte
den Eindruck, als ob er sein Mandat blos erhalten habe, um sich und die preu¬
ßische Negierung lächerlich zu machen. H. Raveaux war einer von den wenigen


mcngenommen seine Handlungsweise bestimmt. Im Grunde glaubt er überhaupt
nicht an eine friedliche Lösung der deutsch-östreichischen Frage und sein Hauptbe-
strebcn ist, sich sobald als möglich des lästigen Maubads zu entäußern und in
seinen geliebten Orient zurückzukehren. Am zugänglichsten für die Idee des preußi¬
schen Erbtaiserthums zeigte sich Venedey. Er war ehrlich genug, seinen Freunden
gegenüber offen zu gestehen, er würde, wenn er keine politische Vergangenheit
hätte (!) unbedingt für den Welker'schen Antrag stimmen; aber um nicht inkonse¬
quent zu werden, müsse er bei der Opposition bleiben, denn zwanzig Jahre lang
sei er ein Mattose auf dem Schiffe Grvßdeutschland gewesen und ans diesem
Schiffe müsse er stehen oder untergehen. Aehnliche Redensarten hörte ich auch
von anderen Herren der Linken, von deren politischer Vergangenheit Niemand
etwas weiß, als sie selbst.

In sehr gedrückter Stimmung kam ich in meinen Gasthof zurück. Am fol¬
genden Morgen machte ich mich in aller Frühe auf den Weg zur Paulskirche, um
einen bequemen Platz zu erbeuten. Um neun Uhr waren schon alle Räume sür
die Zuschauer mit Menschen überfüllt. Eine unbeschreibliche Spannung malte sich
auf allen Gesichtern. Die große Kaiserschlacht wurde durch einen gediegenen Vor¬
trag des H. v. Wydenbrugk eröffnet; doch kostete es große Aufmerksamkeit, dem
Redner zu folgen, denn in der Kirche herrschte — besonders auf deu Bauten der
Deputirten — eine solche störende Unruhe, als ob die Herren nur zusammenge¬
kommen wären, um sich im Husten, Schnaufen, Rülpsen und Spucken zu üben.
Die alle Augenblicke in Bewegung gesetzte Glocke des Präsidenten vermochte uur
hin und wieder die Ruhe etwas herzustellen.

Ich verschone Sie mit einer Detailschilderung der Debatten, welche vier Tage
hindurch, von 9 Uhr Morgens bis spät in den Nachmittag hinein währten und
erlaube mir uur, einige bemerkenswerthe Momente daraus hervorzuheben.

Von den Rednern der sogenannten Großdcntschen waren Radvwitz und Rö¬
mer die Einzigen, welche die'Frage mit Geschick, Würde und Austand behandel¬
ten. Die HH. Buß von Freiburg, Schüler von Jena, Wigard von Dresden,
übernahmen die Rolle der „Clowns" in dem großen Drama. H. v. Hermann aus
München und der Adelsbekämpfcr Mohl aus Stuttgart, schienen in der Kunst wett¬
eifern zu wollen, einschläfernd auf die Versammlung zu wirken; doch trug Ersterer
den Sieg davon. Vogt von Gießen und Simon von Trier machten es sich zur
Aufgabe, alle Sündenregister der Vergangenheit zu durchwühlen, wobei sich denn
häufig Gelegenheit zum Einflechten billiger Witze, preußenseindlicher Wortspiele
und nachmärzlicher Schlagwörter bot, deren jedes von der Linken mit langan-
haltcudem Beifallgeklatsch begrüßt wurde, was natürlich wesentlich beitrug zur
Losung der großen Frage, um die es sich handelte. H. Vogt besonders machte
den Eindruck, als ob er sein Mandat blos erhalten habe, um sich und die preu¬
ßische Negierung lächerlich zu machen. H. Raveaux war einer von den wenigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/62>, abgerufen am 15.01.2025.