Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.sich einen Jux zu machen, wie wir sagen. Wahrlich, waren die Wiener in allen sich einen Jux zu machen, wie wir sagen. Wahrlich, waren die Wiener in allen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279000"/> <p xml:id="ID_1607" prev="#ID_1606" next="#ID_1608"> sich einen Jux zu machen, wie wir sagen. Wahrlich, waren die Wiener in allen<lb/> Stücken so eifrige Patrioten, wie sie gute Väter sind, es stünde besser mit uns.<lb/> Doch heut keine Melancholie. Alles ist wunderschön, der Himmel leuchtet von<lb/> Gold, sogar die Donau versucht ihrem trüben Wasser durch den Silberschein<lb/> kleiner Wellen ein Ansehn zu geben; die Männer sehn fröhlich und unternehmend<lb/> ans, die Augen der Mädchen glänzen noch mehr als gewöhnlich, ihre knappen<lb/> Mieder veranlassen in jungen Burschen loyale Empfindungen, welche mit Politik<lb/> nichts zu thun haben, und die Kinder sind so bausbäckig, glücklich und rührend,<lb/> wie die Kinder in Wien zu sei» pflegen. Woher kommt es, daß der Anblick der<lb/> Kinder bei uus beweglicher ist, als irgendwo? — Seht dies volle gesunde Leben<lb/> eines kleinen Buben, wie kräftig und ehrlich ist er in seiner Liebe und in seinem<lb/> Haß, wie stolz und sicher schwenkt er die Weidenruthe, sein Schwert, wie eifrig<lb/> ist er das Unrecht zu rächen, das ihm oder seiner jüngern Schwester durch das<lb/> bellende Spitzel am Eckstein zugefügt wurde? Wenn er aber groß wird, kriegt er<lb/> vielleicht Kalbsaugen und einen Hängebauch, oder eine rothe Nase, oder Hühner¬<lb/> augen und Gemüthlichkeit. — Und dann ist noch ein andrer Grund, der einem<lb/> das Herz schwer macht, wenn man einen recht kerngesunden Wiener Knaben an¬<lb/> sieht und an seine Zukunft denkt, aber das gehört nicht hierher. — Guten Tag,<lb/> Meister Hcfstel, der Schneider! Ihr auch auf meiner Brücke und Ihr allein traurig,<lb/> faltig im Gesicht, ein Hypochonder, was quält Euch lieber Meister? — Hcfstel<lb/> schüttelt schmerzlich den Kopf und sieht mit verzweifeltem Blick hinunter in die<lb/> Donau, endlich sieht er sich mißtrauisch um und flüstert mir bebend ins Ohr:<lb/> Der Schnitt wird unterdrückt; ich halt's nicht mehr aus, ich kann's nicht ertra¬<lb/> gen. Die Civilrocke mit einer Reihe Knöpfe sind verboten, die weiten Hosen ohne<lb/> Stege sind verboten, die farbigen Mützen sind verboten, die breitkrempigen Hüte<lb/> sind verboten, rothe Westen, rothe Halstücher, roide Bänder sind verboten, um¬<lb/> gelegte Halskragen sind verboten, die Knotcnstöcke sind verboten, lockiges Haar ist<lb/> verboten, was soll der Mensch noch anziehen, aussetzen, um sich hängen? Es<lb/> bleibt nur sehr wenig übrig, was noch erlaubt ist. Das Genie wird unterdrückt,<lb/> auch der Schnitt steht unter Censur. Trägt man einen schwarzen Nock, so heißt<lb/> es: er trauert über die Verlorne Freiheit, marsch ins Loch; trägt man einen<lb/> blauen: er war Legionär im letzten October, marsch inS Loch; zieht man einen<lb/> weißlichen Sommerrock an, so brüllt die Commission: er ist ein heimlicher Turner,<lb/> marsch ins Loch; und hat man gar keinen an, ist man hcmdsärmlich, so schreien<lb/> sie: er ist Communist, marsch ins Loch! Ins Loch kommt man unter allen Um¬<lb/> ständen, das ist eine schlechte Behandlung seiner Mitmenschen und wird auf die<lb/> Länge unangenehm. — Fort von mir, Hesstel, Ihr seid ein Malkoutcnter. —<lb/> Weiß Gott, ich bin's, murrte der Schneider und schlich traurig uach der Leopold¬<lb/> stadt. — Dank euch, ihr guten Generäle, die ihr Wien regiert, ihr versteht es,<lb/> die Bevölkerung einer großen Stadt zu ziehen; die dreifarbigen Kokarden wißt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0490]
sich einen Jux zu machen, wie wir sagen. Wahrlich, waren die Wiener in allen
Stücken so eifrige Patrioten, wie sie gute Väter sind, es stünde besser mit uns.
Doch heut keine Melancholie. Alles ist wunderschön, der Himmel leuchtet von
Gold, sogar die Donau versucht ihrem trüben Wasser durch den Silberschein
kleiner Wellen ein Ansehn zu geben; die Männer sehn fröhlich und unternehmend
ans, die Augen der Mädchen glänzen noch mehr als gewöhnlich, ihre knappen
Mieder veranlassen in jungen Burschen loyale Empfindungen, welche mit Politik
nichts zu thun haben, und die Kinder sind so bausbäckig, glücklich und rührend,
wie die Kinder in Wien zu sei» pflegen. Woher kommt es, daß der Anblick der
Kinder bei uus beweglicher ist, als irgendwo? — Seht dies volle gesunde Leben
eines kleinen Buben, wie kräftig und ehrlich ist er in seiner Liebe und in seinem
Haß, wie stolz und sicher schwenkt er die Weidenruthe, sein Schwert, wie eifrig
ist er das Unrecht zu rächen, das ihm oder seiner jüngern Schwester durch das
bellende Spitzel am Eckstein zugefügt wurde? Wenn er aber groß wird, kriegt er
vielleicht Kalbsaugen und einen Hängebauch, oder eine rothe Nase, oder Hühner¬
augen und Gemüthlichkeit. — Und dann ist noch ein andrer Grund, der einem
das Herz schwer macht, wenn man einen recht kerngesunden Wiener Knaben an¬
sieht und an seine Zukunft denkt, aber das gehört nicht hierher. — Guten Tag,
Meister Hcfstel, der Schneider! Ihr auch auf meiner Brücke und Ihr allein traurig,
faltig im Gesicht, ein Hypochonder, was quält Euch lieber Meister? — Hcfstel
schüttelt schmerzlich den Kopf und sieht mit verzweifeltem Blick hinunter in die
Donau, endlich sieht er sich mißtrauisch um und flüstert mir bebend ins Ohr:
Der Schnitt wird unterdrückt; ich halt's nicht mehr aus, ich kann's nicht ertra¬
gen. Die Civilrocke mit einer Reihe Knöpfe sind verboten, die weiten Hosen ohne
Stege sind verboten, die farbigen Mützen sind verboten, die breitkrempigen Hüte
sind verboten, rothe Westen, rothe Halstücher, roide Bänder sind verboten, um¬
gelegte Halskragen sind verboten, die Knotcnstöcke sind verboten, lockiges Haar ist
verboten, was soll der Mensch noch anziehen, aussetzen, um sich hängen? Es
bleibt nur sehr wenig übrig, was noch erlaubt ist. Das Genie wird unterdrückt,
auch der Schnitt steht unter Censur. Trägt man einen schwarzen Nock, so heißt
es: er trauert über die Verlorne Freiheit, marsch ins Loch; trägt man einen
blauen: er war Legionär im letzten October, marsch inS Loch; zieht man einen
weißlichen Sommerrock an, so brüllt die Commission: er ist ein heimlicher Turner,
marsch ins Loch; und hat man gar keinen an, ist man hcmdsärmlich, so schreien
sie: er ist Communist, marsch ins Loch! Ins Loch kommt man unter allen Um¬
ständen, das ist eine schlechte Behandlung seiner Mitmenschen und wird auf die
Länge unangenehm. — Fort von mir, Hesstel, Ihr seid ein Malkoutcnter. —
Weiß Gott, ich bin's, murrte der Schneider und schlich traurig uach der Leopold¬
stadt. — Dank euch, ihr guten Generäle, die ihr Wien regiert, ihr versteht es,
die Bevölkerung einer großen Stadt zu ziehen; die dreifarbigen Kokarden wißt
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