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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Theile. Oben predigen die Kapuziner des modernen Pietismus das Evangelium
von der allgemeinen Sündhaftigkeit dieser Erdenwelt, welche von Gott und seinen
Gesalbten nichts mehr wissen will; sie rufen ihr Zeter über die Radikalen, Ge¬
mäßigten, die Frankfurter Versammlung, die sämmtlichen constitutionellen Stände,
die Lichtfreunde, und fahren selbst ein Ministerium Manteuffel hart genug an,
daß es so säumig ist, das Schwert der Gerechtigkeit gegen die Ketzer und Wühler
zu handhaben; unten, im Berliner Zuschauer, ist das Asyl der Bummler, welche
die Aufgabe haben, die ('!>lo"isj>lo Ko-rmlitle""" der einzelnen Liberalen zu geben.
Sie treiben sich in allen Bordellen und Winkelkneipen herum, von Morgens an
bis tief in die Nacht, in sämmtlichen schlechten Häusern von Berlin, nur um
zu lauern, ob nicht ein Liberaler hineingeht; sie wissen von jedem Einzelnen den
Lebenslauf des Tages zu erzählen und verschmähen es nicht, seine schmutzige
Wäsche zu durchwühlen, um Spuren seines sündhaften Wandels aufzufinden.

Scheinbar ist der Gegensatz groß genng, oben die Heiligen und unten die
kleinen Kobolde, welche die ""bußfertigen Sünder zwicken. Aber beides gehört
zusammen, der Heilige wäre nichts, wenn er nicht die Verworfenheit im Speciellen
verfluchen könnte, und dazu muß er sie kennen. Darum sind die schlimmsten
Sünder später die brauchbarsten Heiligen, wie die ärgsten Diebe die besten Po¬
lizeispione abgeben. Wer lerne" wollte, auf was für unerhörte Abscheulichkeiten
der Mensch verfallen könne, mußte die casuistische Anweisung für Beichtväter stu-
diren; darin waren sie alle detaillirt, bis zur Sodomiterei herunter.

An ihrer Spitze trägt die neue Preußische ein Laudwehrkreuz mit der Um¬
schrift: Mit Gott für König und Vaterland. Darum heißt sie im gewöhnlichen
Leben die Kreuzzeitung. Ihr Redacteur, Assessor Wagner, gehört zu den "Pro¬
pheten," einer religiösen Gesellschaft, die sehr mystisch sein sott. Des Sonntags
liefert er ein Extrablatt, worin die guten, ehrlichen Landbewohner aufgefordert
werden, die infamen Judenbengel, welche ihren allergnädigsten König und Herrn
betrüben, gehörig durchzuprügeln.

Das Blatt ist sehr verbreitet, wie man es auch von den radikalen Blättern
ähnlichen Schlages rühmen kann. Der Ton ist eben so cynisch roh und selbst in
den Ausdrücken gemein. Diese Partei wird dadurch charakteristrt, daß Männer,
wie Stahl, Leo u. s. w. eifrige Mitarbeiter an demselben sein sollen. Man rühmt
zuweilen seine Consequenz, aber diese ist wohlfeil genug. Sie besteht darin, daß
sie täglich wiederholt: alle Hunde, die mucksen, an den Galgen, ihren Weibern
den Staupbesen, ihre Kinder ins Findelhaus. Ich weiß nicht, ob sie auch sür
Wiederherstellung deö Ghetto und der Leibeigenschaft schwärmt; jedenfalls betet
sie den russtscyen Kaiser an, und weist Gagern und Vincke ganz auf dasselbe Arme-
snnderbänkchen, auf welchem Ottcnsosser und Vater Karbe sitzen.

(Schluß im nächsten Heft.)


Theile. Oben predigen die Kapuziner des modernen Pietismus das Evangelium
von der allgemeinen Sündhaftigkeit dieser Erdenwelt, welche von Gott und seinen
Gesalbten nichts mehr wissen will; sie rufen ihr Zeter über die Radikalen, Ge¬
mäßigten, die Frankfurter Versammlung, die sämmtlichen constitutionellen Stände,
die Lichtfreunde, und fahren selbst ein Ministerium Manteuffel hart genug an,
daß es so säumig ist, das Schwert der Gerechtigkeit gegen die Ketzer und Wühler
zu handhaben; unten, im Berliner Zuschauer, ist das Asyl der Bummler, welche
die Aufgabe haben, die ('!>lo»isj>lo Ko-rmlitle»«« der einzelnen Liberalen zu geben.
Sie treiben sich in allen Bordellen und Winkelkneipen herum, von Morgens an
bis tief in die Nacht, in sämmtlichen schlechten Häusern von Berlin, nur um
zu lauern, ob nicht ein Liberaler hineingeht; sie wissen von jedem Einzelnen den
Lebenslauf des Tages zu erzählen und verschmähen es nicht, seine schmutzige
Wäsche zu durchwühlen, um Spuren seines sündhaften Wandels aufzufinden.

Scheinbar ist der Gegensatz groß genng, oben die Heiligen und unten die
kleinen Kobolde, welche die »»bußfertigen Sünder zwicken. Aber beides gehört
zusammen, der Heilige wäre nichts, wenn er nicht die Verworfenheit im Speciellen
verfluchen könnte, und dazu muß er sie kennen. Darum sind die schlimmsten
Sünder später die brauchbarsten Heiligen, wie die ärgsten Diebe die besten Po¬
lizeispione abgeben. Wer lerne» wollte, auf was für unerhörte Abscheulichkeiten
der Mensch verfallen könne, mußte die casuistische Anweisung für Beichtväter stu-
diren; darin waren sie alle detaillirt, bis zur Sodomiterei herunter.

An ihrer Spitze trägt die neue Preußische ein Laudwehrkreuz mit der Um¬
schrift: Mit Gott für König und Vaterland. Darum heißt sie im gewöhnlichen
Leben die Kreuzzeitung. Ihr Redacteur, Assessor Wagner, gehört zu den „Pro¬
pheten," einer religiösen Gesellschaft, die sehr mystisch sein sott. Des Sonntags
liefert er ein Extrablatt, worin die guten, ehrlichen Landbewohner aufgefordert
werden, die infamen Judenbengel, welche ihren allergnädigsten König und Herrn
betrüben, gehörig durchzuprügeln.

Das Blatt ist sehr verbreitet, wie man es auch von den radikalen Blättern
ähnlichen Schlages rühmen kann. Der Ton ist eben so cynisch roh und selbst in
den Ausdrücken gemein. Diese Partei wird dadurch charakteristrt, daß Männer,
wie Stahl, Leo u. s. w. eifrige Mitarbeiter an demselben sein sollen. Man rühmt
zuweilen seine Consequenz, aber diese ist wohlfeil genug. Sie besteht darin, daß
sie täglich wiederholt: alle Hunde, die mucksen, an den Galgen, ihren Weibern
den Staupbesen, ihre Kinder ins Findelhaus. Ich weiß nicht, ob sie auch sür
Wiederherstellung deö Ghetto und der Leibeigenschaft schwärmt; jedenfalls betet
sie den russtscyen Kaiser an, und weist Gagern und Vincke ganz auf dasselbe Arme-
snnderbänkchen, auf welchem Ottcnsosser und Vater Karbe sitzen.

(Schluß im nächsten Heft.)


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[0484] Theile. Oben predigen die Kapuziner des modernen Pietismus das Evangelium von der allgemeinen Sündhaftigkeit dieser Erdenwelt, welche von Gott und seinen Gesalbten nichts mehr wissen will; sie rufen ihr Zeter über die Radikalen, Ge¬ mäßigten, die Frankfurter Versammlung, die sämmtlichen constitutionellen Stände, die Lichtfreunde, und fahren selbst ein Ministerium Manteuffel hart genug an, daß es so säumig ist, das Schwert der Gerechtigkeit gegen die Ketzer und Wühler zu handhaben; unten, im Berliner Zuschauer, ist das Asyl der Bummler, welche die Aufgabe haben, die ('!>lo»isj>lo Ko-rmlitle»«« der einzelnen Liberalen zu geben. Sie treiben sich in allen Bordellen und Winkelkneipen herum, von Morgens an bis tief in die Nacht, in sämmtlichen schlechten Häusern von Berlin, nur um zu lauern, ob nicht ein Liberaler hineingeht; sie wissen von jedem Einzelnen den Lebenslauf des Tages zu erzählen und verschmähen es nicht, seine schmutzige Wäsche zu durchwühlen, um Spuren seines sündhaften Wandels aufzufinden. Scheinbar ist der Gegensatz groß genng, oben die Heiligen und unten die kleinen Kobolde, welche die »»bußfertigen Sünder zwicken. Aber beides gehört zusammen, der Heilige wäre nichts, wenn er nicht die Verworfenheit im Speciellen verfluchen könnte, und dazu muß er sie kennen. Darum sind die schlimmsten Sünder später die brauchbarsten Heiligen, wie die ärgsten Diebe die besten Po¬ lizeispione abgeben. Wer lerne» wollte, auf was für unerhörte Abscheulichkeiten der Mensch verfallen könne, mußte die casuistische Anweisung für Beichtväter stu- diren; darin waren sie alle detaillirt, bis zur Sodomiterei herunter. An ihrer Spitze trägt die neue Preußische ein Laudwehrkreuz mit der Um¬ schrift: Mit Gott für König und Vaterland. Darum heißt sie im gewöhnlichen Leben die Kreuzzeitung. Ihr Redacteur, Assessor Wagner, gehört zu den „Pro¬ pheten," einer religiösen Gesellschaft, die sehr mystisch sein sott. Des Sonntags liefert er ein Extrablatt, worin die guten, ehrlichen Landbewohner aufgefordert werden, die infamen Judenbengel, welche ihren allergnädigsten König und Herrn betrüben, gehörig durchzuprügeln. Das Blatt ist sehr verbreitet, wie man es auch von den radikalen Blättern ähnlichen Schlages rühmen kann. Der Ton ist eben so cynisch roh und selbst in den Ausdrücken gemein. Diese Partei wird dadurch charakteristrt, daß Männer, wie Stahl, Leo u. s. w. eifrige Mitarbeiter an demselben sein sollen. Man rühmt zuweilen seine Consequenz, aber diese ist wohlfeil genug. Sie besteht darin, daß sie täglich wiederholt: alle Hunde, die mucksen, an den Galgen, ihren Weibern den Staupbesen, ihre Kinder ins Findelhaus. Ich weiß nicht, ob sie auch sür Wiederherstellung deö Ghetto und der Leibeigenschaft schwärmt; jedenfalls betet sie den russtscyen Kaiser an, und weist Gagern und Vincke ganz auf dasselbe Arme- snnderbänkchen, auf welchem Ottcnsosser und Vater Karbe sitzen. (Schluß im nächsten Heft.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/484>, abgerufen am 15.01.2025.