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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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diejenige zu wählen, die uns convenire. Und auch darin hat Römer ganz
Recht, daß zunächst jeder einzelne Staat danach fragen soll, was ihm das Heil¬
samste ist, denn wie die Sachen jetzt stehn, sind doch lediglich die einzelnen Staa¬
ten die Träger der sittlichen und gesetzlichen Ordnung, und die beiden Reichsre¬
gentschaften, im Augenblick die einzigen Vertreter von Deutschlands Einheit, die
durch ihr gegenseitiges Verhältniß am besten ausdrücken, wie es mit dieser Einheit
beschaffen ist, sind nur noch die Centralpunkte der dentschen Unordnung.

Der Mensch hat die Kraft, zu vergessen, wenn es ihn auch schmerzt. Wer¬
fen wir die Vergangenheir in die Winde! Das Geschehene macht kein Gott un¬
geschehen, aber der Mensch kann sich seinen Fesseln entreißen. Blicken wir nur
in die Zukunft.

Da der radicale Aufstand in Baden und in der Pfalz am Vorabend seines
Falls steht, so bleibt uns aHer dem preußischen Entwurf nur noch Eine Even¬
tualität übrig: der Sieg der grvßdeutschen Partei. Unter diesen besteht ein
Theil freilich aus Theoretikern, in deren Atlas die Grenzen des deutschen Reichs
nach der Akte vou 1815 verzeichnet stehen, und die es unbequem finden, die
Karte anders zu färben, oder die aus dem Arndt'schen Vaterlandsliebe gelernt ha¬
ben: Das ganze Deutschland soll es sein! Aber der eigentliche Kern der Partei
ist Oestreich, das die Hegemonie rechtlich beansprucht, ist Baiern, das sie gleich¬
falls haben will, ist der König von Würtemberg, der keiner jüngern Dynastie den
Vorrang einräumt, ist der Reichsverweser, der über seiner neuen Würde den
Erzherzog nicht vergißt, -- also eine Reihe sehr divergirender Absichten, die sich
aber alle in dem Medium begegnen: Preußen soll nicht durch einen Bundesstaat
seinen Einfluß vergrößern, und darum soll es, mit einigen Modifikationen, bei der
alten Bundesacte bleiben.

Diese Partei hat gerade soviel Aussichten als die preußische;
sie hat in Preußen selbst einen starken Anhang, bis in die allerhöchsten Regionen,
und der Sieg ist ihr gewiß, wenn die liberale Partei inPrenßen,
Sachsen und Hannover entschieden dem Project ihrer Regierun¬
gen entgegentritt, denn in diesem Falle ist die preußische Regierung gezwun¬
gen, sich Oestreich und Nußland in die Arme zu weisen. Welche von beiden
Bestrebungen deu Vorzug verdient, lasse ich hier unerörtert, an Sie aber, meine
Herren, und an unsere ganze Partei richte ich die ernste Frage: welche von
beiden steht dem Gagernschen Programm, das der Ausdruck
unserer Ueberzeugung war, näher? -- Die Autwort auf diese Frage
und folglich die Entscheidung, kann nicht zweifelhaft sein. --

Ich gehe zum zweiten Punkt über. -- Widerspricht der Inhalt der octroyir-
ten Verfassung sosehr unseren Ueberzeugungen, daß wir sie darum nicht annehmen
können? -- Deu Punkt vou der Einheit Deutschlands glaube ich nach dem Obi¬
gen übergehen zu köunen; ich fasse nur deu Widerspruch gegen die Vvltösvuve-


diejenige zu wählen, die uns convenire. Und auch darin hat Römer ganz
Recht, daß zunächst jeder einzelne Staat danach fragen soll, was ihm das Heil¬
samste ist, denn wie die Sachen jetzt stehn, sind doch lediglich die einzelnen Staa¬
ten die Träger der sittlichen und gesetzlichen Ordnung, und die beiden Reichsre¬
gentschaften, im Augenblick die einzigen Vertreter von Deutschlands Einheit, die
durch ihr gegenseitiges Verhältniß am besten ausdrücken, wie es mit dieser Einheit
beschaffen ist, sind nur noch die Centralpunkte der dentschen Unordnung.

Der Mensch hat die Kraft, zu vergessen, wenn es ihn auch schmerzt. Wer¬
fen wir die Vergangenheir in die Winde! Das Geschehene macht kein Gott un¬
geschehen, aber der Mensch kann sich seinen Fesseln entreißen. Blicken wir nur
in die Zukunft.

Da der radicale Aufstand in Baden und in der Pfalz am Vorabend seines
Falls steht, so bleibt uns aHer dem preußischen Entwurf nur noch Eine Even¬
tualität übrig: der Sieg der grvßdeutschen Partei. Unter diesen besteht ein
Theil freilich aus Theoretikern, in deren Atlas die Grenzen des deutschen Reichs
nach der Akte vou 1815 verzeichnet stehen, und die es unbequem finden, die
Karte anders zu färben, oder die aus dem Arndt'schen Vaterlandsliebe gelernt ha¬
ben: Das ganze Deutschland soll es sein! Aber der eigentliche Kern der Partei
ist Oestreich, das die Hegemonie rechtlich beansprucht, ist Baiern, das sie gleich¬
falls haben will, ist der König von Würtemberg, der keiner jüngern Dynastie den
Vorrang einräumt, ist der Reichsverweser, der über seiner neuen Würde den
Erzherzog nicht vergißt, — also eine Reihe sehr divergirender Absichten, die sich
aber alle in dem Medium begegnen: Preußen soll nicht durch einen Bundesstaat
seinen Einfluß vergrößern, und darum soll es, mit einigen Modifikationen, bei der
alten Bundesacte bleiben.

Diese Partei hat gerade soviel Aussichten als die preußische;
sie hat in Preußen selbst einen starken Anhang, bis in die allerhöchsten Regionen,
und der Sieg ist ihr gewiß, wenn die liberale Partei inPrenßen,
Sachsen und Hannover entschieden dem Project ihrer Regierun¬
gen entgegentritt, denn in diesem Falle ist die preußische Regierung gezwun¬
gen, sich Oestreich und Nußland in die Arme zu weisen. Welche von beiden
Bestrebungen deu Vorzug verdient, lasse ich hier unerörtert, an Sie aber, meine
Herren, und an unsere ganze Partei richte ich die ernste Frage: welche von
beiden steht dem Gagernschen Programm, das der Ausdruck
unserer Ueberzeugung war, näher? — Die Autwort auf diese Frage
und folglich die Entscheidung, kann nicht zweifelhaft sein. —

Ich gehe zum zweiten Punkt über. — Widerspricht der Inhalt der octroyir-
ten Verfassung sosehr unseren Ueberzeugungen, daß wir sie darum nicht annehmen
können? — Deu Punkt vou der Einheit Deutschlands glaube ich nach dem Obi¬
gen übergehen zu köunen; ich fasse nur deu Widerspruch gegen die Vvltösvuve-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/478>, abgerufen am 15.01.2025.