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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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bona fiel" zu adoptiren; beide rechneten auf eine wesentliche Re¬
vision durch den nächsten Reichstag, beide freilich in sehr verschie¬
denem Sinn.

Ich gehörte zu denen, die auf den gesunden Sinn des Volks vertrauend, auf
eine Revision im conservativen Sinn rechneten und darum die preußische Regierung
anfeindeten, weil sie eine neue Gewaltthat der gesetzlichen Entwickelung vorzog.
Ich bin noch derselben Ansicht, aber ich darf mich der Wahrheit nicht verschließen,
daß das thatsächliche Verhältniß jetzt ein anderes geworden ist.

Der Aufstand, welcher im Namen der Reichsverfassung ausbrach, war nicht
für dieselbe, er ging von der demokratischen Partei aus. Er verfolgte Zwecke,
die uns fremd sind. Er ging so weit, vervätherisch die Franzoseu zu einem Bündniß
aufzufordern*). Er trat feindlich auf gegen den bessern Theil des Volks, gebrauchte
Mittel, wie sie sonst dem absolutistischen System vorgeworfen werden, und war
außerdem so kopflos angelegt, daß dagegen selbst die Linke des Vorparlaments,
das freilich unter viel günstigeren Verhältnissen zusammentrat, wie ein Senat wei¬
ser Männer erscheint. Die Naivetät, mit welcher die neue RcichSregeutschast ganz
nach alter Weise Neichscvmmissäre und Befehle an die preußischen Generale ab¬
schickt, während selbst das Ministerium! Römer ihr nicht blos den Gehorsam, son-
dern selbst das Asyl aufkündigt, macht das neueste Parlamentsspiel zu einer
schlechten Farce.

Mit der Unterdrückung der sächsischen Bewegung, mit der Lossagung der
Centralgewalt von deu Beschlüssen der Nationalversammlung, und mit dem Aus¬
scheiden der constitutionellen Partei war die letzte Hoffnung aufgegeben, die Reichs-
verfassung unmittelbar durchzuführen.

Es bliebe noch übrig, mit Resignation auf den äugend'icklichen Erfolg sie
"im Herzen zu tragen", wie die Spanier und Neapolitaner die Konstitution von
t812. Aus zwei Gründen erscheint das bedenklich. Erstens ist die völkerrechtliche
Lage Deutschlands der Art, daß die eine oder die andere neue Ordnung der staat¬
lichen Verhältnisse nothwendig jetzt eintreten muß und wird. Außerdem macht es
die Eigenthümlichkeit der Verfassung vom 28. März wenigstens höchst wahrschein¬
lich, daß in kürzester Frist die thatsächlichen Umstände sich so geändert haben wer¬
den, daß sie nirgend mehr paßt. Mit der Beendigung des ungarischen Kriegs
wird die Lage Deutschlands eine so ganz andere, daß von den alten Voraussetzun¬
gen nicht mehr die Rede sein wird.

So haben wir keine Wahl, als, mit Aufgebung deö Nechtspnucipö, wie
der ehrliche Römer ganz richtig sich ausdruckt, unter den möglichen Verfassungen



*) Man hat das mit dem Herbeirufen der Russen durch Oestreich entschuldigt; ich habe
es selber gethan. Allein so sehr ich das letztere verdammen muß, so ist doch ein Unterschied,
denn wenn Frankreich intervenier, so ist es, um Theile von Deutschland abzureißen. Das
wenigstens ist bei dem russischen Kaiser nicht vorauszusetzen.

bona fiel« zu adoptiren; beide rechneten auf eine wesentliche Re¬
vision durch den nächsten Reichstag, beide freilich in sehr verschie¬
denem Sinn.

Ich gehörte zu denen, die auf den gesunden Sinn des Volks vertrauend, auf
eine Revision im conservativen Sinn rechneten und darum die preußische Regierung
anfeindeten, weil sie eine neue Gewaltthat der gesetzlichen Entwickelung vorzog.
Ich bin noch derselben Ansicht, aber ich darf mich der Wahrheit nicht verschließen,
daß das thatsächliche Verhältniß jetzt ein anderes geworden ist.

Der Aufstand, welcher im Namen der Reichsverfassung ausbrach, war nicht
für dieselbe, er ging von der demokratischen Partei aus. Er verfolgte Zwecke,
die uns fremd sind. Er ging so weit, vervätherisch die Franzoseu zu einem Bündniß
aufzufordern*). Er trat feindlich auf gegen den bessern Theil des Volks, gebrauchte
Mittel, wie sie sonst dem absolutistischen System vorgeworfen werden, und war
außerdem so kopflos angelegt, daß dagegen selbst die Linke des Vorparlaments,
das freilich unter viel günstigeren Verhältnissen zusammentrat, wie ein Senat wei¬
ser Männer erscheint. Die Naivetät, mit welcher die neue RcichSregeutschast ganz
nach alter Weise Neichscvmmissäre und Befehle an die preußischen Generale ab¬
schickt, während selbst das Ministerium! Römer ihr nicht blos den Gehorsam, son-
dern selbst das Asyl aufkündigt, macht das neueste Parlamentsspiel zu einer
schlechten Farce.

Mit der Unterdrückung der sächsischen Bewegung, mit der Lossagung der
Centralgewalt von deu Beschlüssen der Nationalversammlung, und mit dem Aus¬
scheiden der constitutionellen Partei war die letzte Hoffnung aufgegeben, die Reichs-
verfassung unmittelbar durchzuführen.

Es bliebe noch übrig, mit Resignation auf den äugend'icklichen Erfolg sie
„im Herzen zu tragen", wie die Spanier und Neapolitaner die Konstitution von
t812. Aus zwei Gründen erscheint das bedenklich. Erstens ist die völkerrechtliche
Lage Deutschlands der Art, daß die eine oder die andere neue Ordnung der staat¬
lichen Verhältnisse nothwendig jetzt eintreten muß und wird. Außerdem macht es
die Eigenthümlichkeit der Verfassung vom 28. März wenigstens höchst wahrschein¬
lich, daß in kürzester Frist die thatsächlichen Umstände sich so geändert haben wer¬
den, daß sie nirgend mehr paßt. Mit der Beendigung des ungarischen Kriegs
wird die Lage Deutschlands eine so ganz andere, daß von den alten Voraussetzun¬
gen nicht mehr die Rede sein wird.

So haben wir keine Wahl, als, mit Aufgebung deö Nechtspnucipö, wie
der ehrliche Römer ganz richtig sich ausdruckt, unter den möglichen Verfassungen



*) Man hat das mit dem Herbeirufen der Russen durch Oestreich entschuldigt; ich habe
es selber gethan. Allein so sehr ich das letztere verdammen muß, so ist doch ein Unterschied,
denn wenn Frankreich intervenier, so ist es, um Theile von Deutschland abzureißen. Das
wenigstens ist bei dem russischen Kaiser nicht vorauszusetzen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/477>, abgerufen am 15.01.2025.