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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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und wie daraus das klägliche Schauspiel sich entwickelt hat, daß ein Theil-der
Deputirten durch unwürdige Intriguen -- ich erinnere an die Abstimmung der
schwarzgelben für das Suspeusiv - Veto der Reichsgewalt -- diese Verfassung
illusorisch zu machen suchte -- so, meine Herren, würde auch das Resultat eines
neuen constituirenden Reichstags sein. Die Oestreicher von einem solchen auszu¬
schließen, haben Sie kein Recht, und es ist eine Willkür, wenn Sie z. B. die
Baiern, die nnr für den Fall, daß Oestreich eintritt, an dem "Reich" teilnehmen
wollen, wider ihren Willen dazu zwingen wollten. Sie haben sehr Recke, meine
Herren, daß 39 Regierungen sich nie über eine gemeinsame Verfassung vereinbaren
werden; wohl aber köunen sich zwei, drei vereinigen, und die politische Nothwen¬
digkeit kann alsdann die andern zwingen, sich diesem Vertrage nachträglich anzu¬
schließen. Der Zollverein ist ein Beispiel. Ein Vertrag zwischen Staaten aber,
welcher die Souveränitätsrechte derselben alterirt, kann nur durch die einheitlichen
Vertreter derselben, die Regierungen, abgeschlossen werden, nicht dnrch einen
ständischen Kongreß -- wenn nicht vor diesem Congreß factisch die Existenz jener
Staaten aufgehoben ist. Daß dies bereits geschehen wäre, darin lag der große,
unheilvolle Irrthum des Jahres 1848.

Lassen Sie uns miteinander die Grunde in Erwägung zieh", welche sich einer
unbedingten Annahme des Berliner Entwurfs entgegenstellen. Sie kommen auf
folgende drei Punkte heraus.

Erstens. Das Ehrgefühl der deutschen Nation sträubt sich dagegen, ein
Werk aufzugeben, an welchem ihre edelsten Kräfte ein schweres Jahr hindurch in
rühmlicher Anstrengung gearbeitet, aufzugeben den eigenen Willen gegen das Ge¬
schenk einer fremden Willkür.

Zweitens. Das in der Revolution entwickelte Rechtsbewußtsein wird ver¬
letzt dnrch den Inhalt dieser Gabe, in welchem -- abgesehn von einzelnen, minder
wichtigen Jnconvenienzen -- zwei der theuersten Ideen des Volks die Anerken¬
nung versagt wird: der Volkssouveränität und der Einheit Dentscklands.

Drittens. Die Gabe wird noch weiter verdächtigt durck die Geber, und
es läßt sich sehr wohl die Frage auswerfen, ob nicht dieselbe Willkür, welche die
Verfassung verlieh, sich unter Umständen anch veranlaßt fühlen dürste, sie wieder
zu nehmen, zu modiftcircn, oder wie es sonst gut scheint. Das Beispiel der
preußischen Verfassung liegt zu nahe.

Erlauben Sie, daß ich alle diese Punkte einer nähern Prüfung unterwerfe.

Was den ersten betrifft, so können die Männer, deren unmittelbares Werk
die Verfassung vom 28. März ist, nicht lebhafter von diesem Gefühl Verletzter
Ehre durchdrungen sein, als ich selber, als überhaupt jeder Deutsche, der mit
Theilnahme den Anstrengungen der Nation, sich ans eigener Kraft zu constituiren,
gefolgt ist. Unsere Wünsche, Hoffnungen, Ideen, zinvcileu selbst unsere positiven
Rath schläge, begleiteten die Arbeit der Nationalversammlung, und in diesem Sinne


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und wie daraus das klägliche Schauspiel sich entwickelt hat, daß ein Theil-der
Deputirten durch unwürdige Intriguen — ich erinnere an die Abstimmung der
schwarzgelben für das Suspeusiv - Veto der Reichsgewalt — diese Verfassung
illusorisch zu machen suchte — so, meine Herren, würde auch das Resultat eines
neuen constituirenden Reichstags sein. Die Oestreicher von einem solchen auszu¬
schließen, haben Sie kein Recht, und es ist eine Willkür, wenn Sie z. B. die
Baiern, die nnr für den Fall, daß Oestreich eintritt, an dem „Reich" teilnehmen
wollen, wider ihren Willen dazu zwingen wollten. Sie haben sehr Recke, meine
Herren, daß 39 Regierungen sich nie über eine gemeinsame Verfassung vereinbaren
werden; wohl aber köunen sich zwei, drei vereinigen, und die politische Nothwen¬
digkeit kann alsdann die andern zwingen, sich diesem Vertrage nachträglich anzu¬
schließen. Der Zollverein ist ein Beispiel. Ein Vertrag zwischen Staaten aber,
welcher die Souveränitätsrechte derselben alterirt, kann nur durch die einheitlichen
Vertreter derselben, die Regierungen, abgeschlossen werden, nicht dnrch einen
ständischen Kongreß — wenn nicht vor diesem Congreß factisch die Existenz jener
Staaten aufgehoben ist. Daß dies bereits geschehen wäre, darin lag der große,
unheilvolle Irrthum des Jahres 1848.

Lassen Sie uns miteinander die Grunde in Erwägung zieh», welche sich einer
unbedingten Annahme des Berliner Entwurfs entgegenstellen. Sie kommen auf
folgende drei Punkte heraus.

Erstens. Das Ehrgefühl der deutschen Nation sträubt sich dagegen, ein
Werk aufzugeben, an welchem ihre edelsten Kräfte ein schweres Jahr hindurch in
rühmlicher Anstrengung gearbeitet, aufzugeben den eigenen Willen gegen das Ge¬
schenk einer fremden Willkür.

Zweitens. Das in der Revolution entwickelte Rechtsbewußtsein wird ver¬
letzt dnrch den Inhalt dieser Gabe, in welchem — abgesehn von einzelnen, minder
wichtigen Jnconvenienzen — zwei der theuersten Ideen des Volks die Anerken¬
nung versagt wird: der Volkssouveränität und der Einheit Dentscklands.

Drittens. Die Gabe wird noch weiter verdächtigt durck die Geber, und
es läßt sich sehr wohl die Frage auswerfen, ob nicht dieselbe Willkür, welche die
Verfassung verlieh, sich unter Umständen anch veranlaßt fühlen dürste, sie wieder
zu nehmen, zu modiftcircn, oder wie es sonst gut scheint. Das Beispiel der
preußischen Verfassung liegt zu nahe.

Erlauben Sie, daß ich alle diese Punkte einer nähern Prüfung unterwerfe.

Was den ersten betrifft, so können die Männer, deren unmittelbares Werk
die Verfassung vom 28. März ist, nicht lebhafter von diesem Gefühl Verletzter
Ehre durchdrungen sein, als ich selber, als überhaupt jeder Deutsche, der mit
Theilnahme den Anstrengungen der Nation, sich ans eigener Kraft zu constituiren,
gefolgt ist. Unsere Wünsche, Hoffnungen, Ideen, zinvcileu selbst unsere positiven
Rath schläge, begleiteten die Arbeit der Nationalversammlung, und in diesem Sinne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/475>, abgerufen am 15.01.2025.