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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Offenes Sendschreiben an den deutschen Verein in Leipzig.



Sie haben, hochgeehrte Herren, ihre Auffassung von der Lage, in welche uns
der von den verbündeten Regierungen Preußens, Sachsens und Hannovers vor¬
gelegte Verfassungsentwurf versetzt, in einem Programm niedergelegt, dessen prak¬
tische Bedentniig Niemand verkeime" wird, einmal, weil es der nahe bevorstehen¬
den Versammlung deutscher Patrioten zu Gotha von zwei ehemaligen Rcichötags-
dcputirten, die es mit unterzeichnet haben, als Material vorgelegt werden soll,
insofern man darin die Stimmung eines großen Theils der gebildeten Bevölkerung
Sachsens ausgedrückt findet, sodann weil es für die Wahlen zum sächsischen Landtag
den Maßstab zu geben bestimmt ist. Dieser praktischen Bedeutung wegen, die es
wesentlich von den gewöhnlichen Adressen unterscheidet, erlaube ich mir, es einer
nähern Kritik zu unterzieh". Es lautet folgendermaßen:


Der deutsche Verein hält I) für gerathen, die von Preußen, Sachse", Hanno¬
ver vorgeschlagene Verfassung nicht unbedingt abzulehnen, weil durch sie noch ein
letztes Mittel geboten ist, wenigstens einen Theil unserer Wünsche, erfüllt zu sehen.
Wir wollen aber zur Verwirklichung dieser Verfassung nur thätig sei", wenn 2) das,
unseren sächsischen Verhältnissen völlig unangemessene, von Preußen octroyiren Wahl¬
gesetz wenigstens in Sachsen nicht zur Anwendung kommt, und erwarten deshalb
3) von diesen Ständen, daß sie eine Revision dieses ReichswcchlgcsetzcS zur Bedin¬
gung der ihnen durch königl. Proklamation vom Mai vorbehaltenen Zustimmung
zum Anschluß an den Verfassungsentwurf, so wie der ihnen zustehenden Wahl zum
Staatenhause machen. 4) Unter denselben Bedingungen haben die Stände ferner
eine Garantie dafür zu fordern, daß der endgiltige Abschluß der Verfassung wirklich
durch den Reichstag erfolge und nicht etwa dessen freie Zustimmung wieder zur Täu¬
schung werde durch den Vorbehalt einer Vereinbarung, die die letzte Entscheidung
abermals einzig in die Hände der Regierungen legen würde. 5) Sind diese Bedin¬
gungen erfüllt, so wünschen wir, daß die Stände auf ein weiteres Zustimmuugsrecht
im Interesse des endlichen Zustandekommens der Reichsverfassung Verzicht leisten.

Zunächst fällt mir aus, daß die Instruction, welche Sie Ihren Abgeordneten
ertheilen wollen, nur eine eventuelle ist. Für den Fall, daß die Regierungen
auf Ihre Bedingungen eingehen, geben Sie den Kammern den Rath, auf einen
weiter" Einspruch zu verzichten; die entgegengesetzte Eventualität übergehn Sie
mit Stillschweigen. Ihr Programm enthält also eine Lücke, welche ausgefüllt
werden muß, wenn man es nicht etwa so deuten wollte, daß sie für diesen Fall


Grenzboten. II. Isis.
Annehmen oder Ablehnen?
Offenes Sendschreiben an den deutschen Verein in Leipzig.



Sie haben, hochgeehrte Herren, ihre Auffassung von der Lage, in welche uns
der von den verbündeten Regierungen Preußens, Sachsens und Hannovers vor¬
gelegte Verfassungsentwurf versetzt, in einem Programm niedergelegt, dessen prak¬
tische Bedentniig Niemand verkeime» wird, einmal, weil es der nahe bevorstehen¬
den Versammlung deutscher Patrioten zu Gotha von zwei ehemaligen Rcichötags-
dcputirten, die es mit unterzeichnet haben, als Material vorgelegt werden soll,
insofern man darin die Stimmung eines großen Theils der gebildeten Bevölkerung
Sachsens ausgedrückt findet, sodann weil es für die Wahlen zum sächsischen Landtag
den Maßstab zu geben bestimmt ist. Dieser praktischen Bedeutung wegen, die es
wesentlich von den gewöhnlichen Adressen unterscheidet, erlaube ich mir, es einer
nähern Kritik zu unterzieh». Es lautet folgendermaßen:


Der deutsche Verein hält I) für gerathen, die von Preußen, Sachse», Hanno¬
ver vorgeschlagene Verfassung nicht unbedingt abzulehnen, weil durch sie noch ein
letztes Mittel geboten ist, wenigstens einen Theil unserer Wünsche, erfüllt zu sehen.
Wir wollen aber zur Verwirklichung dieser Verfassung nur thätig sei», wenn 2) das,
unseren sächsischen Verhältnissen völlig unangemessene, von Preußen octroyiren Wahl¬
gesetz wenigstens in Sachsen nicht zur Anwendung kommt, und erwarten deshalb
3) von diesen Ständen, daß sie eine Revision dieses ReichswcchlgcsetzcS zur Bedin¬
gung der ihnen durch königl. Proklamation vom Mai vorbehaltenen Zustimmung
zum Anschluß an den Verfassungsentwurf, so wie der ihnen zustehenden Wahl zum
Staatenhause machen. 4) Unter denselben Bedingungen haben die Stände ferner
eine Garantie dafür zu fordern, daß der endgiltige Abschluß der Verfassung wirklich
durch den Reichstag erfolge und nicht etwa dessen freie Zustimmung wieder zur Täu¬
schung werde durch den Vorbehalt einer Vereinbarung, die die letzte Entscheidung
abermals einzig in die Hände der Regierungen legen würde. 5) Sind diese Bedin¬
gungen erfüllt, so wünschen wir, daß die Stände auf ein weiteres Zustimmuugsrecht
im Interesse des endlichen Zustandekommens der Reichsverfassung Verzicht leisten.

Zunächst fällt mir aus, daß die Instruction, welche Sie Ihren Abgeordneten
ertheilen wollen, nur eine eventuelle ist. Für den Fall, daß die Regierungen
auf Ihre Bedingungen eingehen, geben Sie den Kammern den Rath, auf einen
weiter» Einspruch zu verzichten; die entgegengesetzte Eventualität übergehn Sie
mit Stillschweigen. Ihr Programm enthält also eine Lücke, welche ausgefüllt
werden muß, wenn man es nicht etwa so deuten wollte, daß sie für diesen Fall


Grenzboten. II. Isis.
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[0473] Annehmen oder Ablehnen? Offenes Sendschreiben an den deutschen Verein in Leipzig. Sie haben, hochgeehrte Herren, ihre Auffassung von der Lage, in welche uns der von den verbündeten Regierungen Preußens, Sachsens und Hannovers vor¬ gelegte Verfassungsentwurf versetzt, in einem Programm niedergelegt, dessen prak¬ tische Bedentniig Niemand verkeime» wird, einmal, weil es der nahe bevorstehen¬ den Versammlung deutscher Patrioten zu Gotha von zwei ehemaligen Rcichötags- dcputirten, die es mit unterzeichnet haben, als Material vorgelegt werden soll, insofern man darin die Stimmung eines großen Theils der gebildeten Bevölkerung Sachsens ausgedrückt findet, sodann weil es für die Wahlen zum sächsischen Landtag den Maßstab zu geben bestimmt ist. Dieser praktischen Bedeutung wegen, die es wesentlich von den gewöhnlichen Adressen unterscheidet, erlaube ich mir, es einer nähern Kritik zu unterzieh». Es lautet folgendermaßen: Der deutsche Verein hält I) für gerathen, die von Preußen, Sachse», Hanno¬ ver vorgeschlagene Verfassung nicht unbedingt abzulehnen, weil durch sie noch ein letztes Mittel geboten ist, wenigstens einen Theil unserer Wünsche, erfüllt zu sehen. Wir wollen aber zur Verwirklichung dieser Verfassung nur thätig sei», wenn 2) das, unseren sächsischen Verhältnissen völlig unangemessene, von Preußen octroyiren Wahl¬ gesetz wenigstens in Sachsen nicht zur Anwendung kommt, und erwarten deshalb 3) von diesen Ständen, daß sie eine Revision dieses ReichswcchlgcsetzcS zur Bedin¬ gung der ihnen durch königl. Proklamation vom Mai vorbehaltenen Zustimmung zum Anschluß an den Verfassungsentwurf, so wie der ihnen zustehenden Wahl zum Staatenhause machen. 4) Unter denselben Bedingungen haben die Stände ferner eine Garantie dafür zu fordern, daß der endgiltige Abschluß der Verfassung wirklich durch den Reichstag erfolge und nicht etwa dessen freie Zustimmung wieder zur Täu¬ schung werde durch den Vorbehalt einer Vereinbarung, die die letzte Entscheidung abermals einzig in die Hände der Regierungen legen würde. 5) Sind diese Bedin¬ gungen erfüllt, so wünschen wir, daß die Stände auf ein weiteres Zustimmuugsrecht im Interesse des endlichen Zustandekommens der Reichsverfassung Verzicht leisten. Zunächst fällt mir aus, daß die Instruction, welche Sie Ihren Abgeordneten ertheilen wollen, nur eine eventuelle ist. Für den Fall, daß die Regierungen auf Ihre Bedingungen eingehen, geben Sie den Kammern den Rath, auf einen weiter» Einspruch zu verzichten; die entgegengesetzte Eventualität übergehn Sie mit Stillschweigen. Ihr Programm enthält also eine Lücke, welche ausgefüllt werden muß, wenn man es nicht etwa so deuten wollte, daß sie für diesen Fall Grenzboten. II. Isis.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/473>, abgerufen am 15.01.2025.