Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Slovaken und Serben unversehens, wie mit einem elektrischen Schlage eine Begei¬ Plaudereien aus Schlesiens Hauptstadt. Die das liebe Vaterland in Kreuz und Quer durchschneidenden parallelen eisernen Slovaken und Serben unversehens, wie mit einem elektrischen Schlage eine Begei¬ Plaudereien aus Schlesiens Hauptstadt. Die das liebe Vaterland in Kreuz und Quer durchschneidenden parallelen eisernen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278980"/> <p xml:id="ID_1518" prev="#ID_1517"> Slovaken und Serben unversehens, wie mit einem elektrischen Schlage eine Begei¬<lb/> sterung für Mutter Slava erzeuge», die den östreichischen Staat in einem Momente<lb/> zersetzen würde — Wer rettet dann Europa und die Civilisation? Struve oder<lb/> Nadowitz? Die Verblendung der östreichischen und deutschen Regierungen hat<lb/> etwas Hochtragisches — der Gott der Bibel, „der die Weisen bethört und die<lb/> Könige irre führt," scheint wieder das Heft der menschlichen Angelegenheiten er¬<lb/> griffen zu haben — ich glaube die Hand zu sehen, die an die Wände der euro¬<lb/> päischen Königssäle das schreibt — aber die Könige können die Schrift<lb/><note type="byline"> Justus.</note> nicht lesen. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Plaudereien aus Schlesiens Hauptstadt.</head><lb/> <p xml:id="ID_1519"> Die das liebe Vaterland in Kreuz und Quer durchschneidenden parallelen eisernen<lb/> Schlangen und die auf ihnen dahineilenden Locomotiv-Ungethüme haben Raum und<lb/> Zeit so sehr gekürzt, und den Menschen dem Menschen so viel näher gebracht, daß er<lb/> mit erhöhtem Interesse verfolgt, was die zu Nachbarstädten gewordenen größeren Orte<lb/> Deutschlands in Freud und Leid bewegt. Wir Breslauer lesen gern, was da draußen<lb/> in Berlin, Dresden, Leipzig u. s. w. vorgeht, und betrachten es als eine Erholung,<lb/> wenn die Nachrichten von daher nicht streng politischer Natur find, sondern auch zur<lb/> Abwechslung einmal andere Gegenstände — wäre es selbst ein bischen Medisance -—<lb/> behandeln. Da wir nnn auswärts in Betreff unserer Stadt gleiche Ansichten und<lb/> Gesinnungen wünschen und vermuthen, so ist es Ihnen vielleicht nicht unangenehm,<lb/> meinen Plaudereien einen Augenblick zuzuhören und selbst ein Bischen ni>mali»o se-rü-<lb/> «luliniso mit in den Kauf zu nehmen. Zur Sache also. Der nvrvns ivrum, oder<lb/> deutsch gesagt, der Mittelpunkt, um den sich dieser Tage hier alles dreht, ist der Woll¬<lb/> markt. Damit nun scheint Breslau seit einigen Jahren Unglück zu haben. Vergan¬<lb/> genes Jahr schlechte Preise, fast keine Kauflust und fast zuviel Aufregung; diesmal<lb/> gute Preise, viel Wollwollcnde, mehr und mehr Wurzel fassende Abkühlung und wach¬<lb/> sender Konservatismus, und — die Cholera! Dieser fatale asiatische Gast, der noch<lb/> unlängst unser Breslau so schwer heimgesucht hat, sängt bereits wieder an, sein Wesen<lb/> zu treiben, und hat im Laufe vergangener Woche unter 137 dem Herrn Entschlafenen<lb/> 81 Opfer gefordert. So etwas stimmt trübe. Einen uoch peinlicheren Eindruck aber<lb/> muß es machen, wenn man bedenkt, daß unter den vom Schauplatz des Lebens Abge¬<lb/> tretenen fast doppelt so viel Frauen sind, als Männer. Was hat unsere arme Stadt<lb/> verschuldet, daß man sie ihrer schönsten Zierde berauben will, und der Würgengel aus<lb/> Osten unter denjenigen Ernte hält, die dazu bestimmt sind, das Leben zu verschönern<lb/> und zu versüßen. Geht es so fort, so wird Breslau bald deu wohlverdienten Ruf<lb/> exemplarischer Reinlichkeit verlieren; die eben so geschmackvollen als zweckmäßigen langen<lb/> Kleider, die heute so hübsch Straßen und Promenaden fegen und jeden Strohhalm mit¬<lb/> nehmen, werden mehr und mehr verschwinden, wenn ihre holden Besitzerinnen dem Orkus<lb/> verfallen, und wir haben dann die Unannehmlichkeit, in Staub und Koth zu wate»,<lb/> wenn nicht Jemand auf den glücklichen Gedanken fällt, durch irgend eine plausible<lb/> Finanzoperation es dahin zu bringen, daß zu gehöriger Zeit in hinreichender Menge<lb/> gegossen und gekehrt wird. Zwaugsanlcihen machen rennend, schon um deswillen, weil<lb/> sie Zwang sind; deshalb Gnade, Gnade, allerdurchlauchtigste, großmächtigste Cholera!<lb/> laß uns unsern lieblichen Damenflor und unsere Reinlichkeit.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
Slovaken und Serben unversehens, wie mit einem elektrischen Schlage eine Begei¬
sterung für Mutter Slava erzeuge», die den östreichischen Staat in einem Momente
zersetzen würde — Wer rettet dann Europa und die Civilisation? Struve oder
Nadowitz? Die Verblendung der östreichischen und deutschen Regierungen hat
etwas Hochtragisches — der Gott der Bibel, „der die Weisen bethört und die
Könige irre führt," scheint wieder das Heft der menschlichen Angelegenheiten er¬
griffen zu haben — ich glaube die Hand zu sehen, die an die Wände der euro¬
päischen Königssäle das schreibt — aber die Könige können die Schrift
Justus. nicht lesen.
Plaudereien aus Schlesiens Hauptstadt.
Die das liebe Vaterland in Kreuz und Quer durchschneidenden parallelen eisernen
Schlangen und die auf ihnen dahineilenden Locomotiv-Ungethüme haben Raum und
Zeit so sehr gekürzt, und den Menschen dem Menschen so viel näher gebracht, daß er
mit erhöhtem Interesse verfolgt, was die zu Nachbarstädten gewordenen größeren Orte
Deutschlands in Freud und Leid bewegt. Wir Breslauer lesen gern, was da draußen
in Berlin, Dresden, Leipzig u. s. w. vorgeht, und betrachten es als eine Erholung,
wenn die Nachrichten von daher nicht streng politischer Natur find, sondern auch zur
Abwechslung einmal andere Gegenstände — wäre es selbst ein bischen Medisance -—
behandeln. Da wir nnn auswärts in Betreff unserer Stadt gleiche Ansichten und
Gesinnungen wünschen und vermuthen, so ist es Ihnen vielleicht nicht unangenehm,
meinen Plaudereien einen Augenblick zuzuhören und selbst ein Bischen ni>mali»o se-rü-
«luliniso mit in den Kauf zu nehmen. Zur Sache also. Der nvrvns ivrum, oder
deutsch gesagt, der Mittelpunkt, um den sich dieser Tage hier alles dreht, ist der Woll¬
markt. Damit nun scheint Breslau seit einigen Jahren Unglück zu haben. Vergan¬
genes Jahr schlechte Preise, fast keine Kauflust und fast zuviel Aufregung; diesmal
gute Preise, viel Wollwollcnde, mehr und mehr Wurzel fassende Abkühlung und wach¬
sender Konservatismus, und — die Cholera! Dieser fatale asiatische Gast, der noch
unlängst unser Breslau so schwer heimgesucht hat, sängt bereits wieder an, sein Wesen
zu treiben, und hat im Laufe vergangener Woche unter 137 dem Herrn Entschlafenen
81 Opfer gefordert. So etwas stimmt trübe. Einen uoch peinlicheren Eindruck aber
muß es machen, wenn man bedenkt, daß unter den vom Schauplatz des Lebens Abge¬
tretenen fast doppelt so viel Frauen sind, als Männer. Was hat unsere arme Stadt
verschuldet, daß man sie ihrer schönsten Zierde berauben will, und der Würgengel aus
Osten unter denjenigen Ernte hält, die dazu bestimmt sind, das Leben zu verschönern
und zu versüßen. Geht es so fort, so wird Breslau bald deu wohlverdienten Ruf
exemplarischer Reinlichkeit verlieren; die eben so geschmackvollen als zweckmäßigen langen
Kleider, die heute so hübsch Straßen und Promenaden fegen und jeden Strohhalm mit¬
nehmen, werden mehr und mehr verschwinden, wenn ihre holden Besitzerinnen dem Orkus
verfallen, und wir haben dann die Unannehmlichkeit, in Staub und Koth zu wate»,
wenn nicht Jemand auf den glücklichen Gedanken fällt, durch irgend eine plausible
Finanzoperation es dahin zu bringen, daß zu gehöriger Zeit in hinreichender Menge
gegossen und gekehrt wird. Zwaugsanlcihen machen rennend, schon um deswillen, weil
sie Zwang sind; deshalb Gnade, Gnade, allerdurchlauchtigste, großmächtigste Cholera!
laß uns unsern lieblichen Damenflor und unsere Reinlichkeit.
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