Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.ich doch eine Sonate von Chopin ruhig einstudiren, ohne daß ich fürchten muß, Aber lassen wir diese Glücklichen, deren Seligkeit wir nicht theilen können, Das östreichische Bewußtsein in der Arme und Regierung. Wer bei der jetzigen östreichischen Armee einen östreichischen Geist vermuthen 59*
ich doch eine Sonate von Chopin ruhig einstudiren, ohne daß ich fürchten muß, Aber lassen wir diese Glücklichen, deren Seligkeit wir nicht theilen können, Das östreichische Bewußtsein in der Arme und Regierung. Wer bei der jetzigen östreichischen Armee einen östreichischen Geist vermuthen 59*
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ich doch eine Sonate von Chopin ruhig einstudiren, ohne daß ich fürchten muß,
daß mich ein Slraßenspectakel stört!"
Aber lassen wir diese Glücklichen, deren Seligkeit wir nicht theilen können,
und wenden wir uns lieber deu Trauernden zu. Sehen Sie, dort hinten in
dem verlassenen Winkel der Kneipe sitzt ein Bruder Studio vor einem Glase
Dünnbier, das er noch gar nicht angerührt hat. In seinen Zügen malt sich eine
hilflose Wuth, ein elegischer Zorn, eine grimmige Melancholie. Ach, sie haben
ihm auf der Hanptwciche seinen Zicgenhainer genommen, well dieser anch unter
„die politischen Abzeichen" gehören soll; und er war ihm doch so lieb, es standen
darin zierlich eingeschnitten alle Namen jener Verbindung, der er angehörte, und
rund herum stand der Spruch: „Der Gott der Stöcke wachsen ließ, der duldet
keine Philister!" - Der arme Junge'. Er ist schon lauge wieder von dem Fo¬
rum an jenen Pflug zurückgekehrt, den er im März des vorigen Jahres auf dem
Felde der Wissenschaften stehen ließ und ackert wieder mit der Ausdauer eines
altöstreichischcn Studenten weiter. . . . Und dann muß er anch obendrein in sei¬
nem Kollegium absolutes Staatsrecht anhören, das der Professor aus seinen vor-
märzlichen Schulhefteu, die er noch gar nicht geändert, nach alt hergebrachter
Gewohnheit gelassen herunterlieft! — Ob sich unser Bruder Studio jetzt an den
Schwank currere, den er vor mehreren Wochen mit andern lustigen Gesellen an
demselben Tische ausgeführt? Da saugen die losenJungen in dem: ,,Kien«1<Zi»mu8 ixi-
tur" den einen Vers: „Viv:rr et resnubllc-r" so ungebührlich laut, daß einige
Philister in der andern Ecke zusammenführen und die Sicherheitswache holen
wollten, weil sie glaubten, die Burschen hätten die Republik ausgerufen. Der Scherz
war harmlos, aber doch würde er ihn jetzt nicht zu wiederholen wagen, denn
eben in diesem Augenblicke geht eine verstärkte Patrouille ganz nahe an den Fen¬
stern der Kneipe vorbei, damit niemand darin die lateinische Republik ausrufen möchte.
Das östreichische Bewußtsein in der Arme und Regierung.
Wer bei der jetzigen östreichischen Armee einen östreichischen Geist vermuthen
wollte, weil diese es unbestreitbar war, die Oestreich bis auf die jüngste Zeit
zusammengehalten, würde gewaltig irre«: deu Kitt in der Armee lieferte beim
Ausbruche der Märzrevolution einzig und allein die Aristokratie, und zwar eine
doppelte, die ständische sowohl als die des militärischen Ranges; mit der Zer¬
splitterung Oestreichs würde ja sowohl der Graf-General, wie der General über¬
haupt aufgehört haben. Die Aristokratie hat daher im vorigen Jahre, als es in
Oestreich faktisch keine Regierung gab, das Gerippe dieses Staates als ihre Ver¬
sorgungsanstalt zusammengehalten. Aber mit Stabsoffizieren allein läßt sich keine
Revolution bändigen, man mußte sich des Heeres vergewissern. Auf welche Art
und Weise konnte dies nnn bei einem Bürgerkriege, wo man die Soldaten immer
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