Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewußtseins ist zwar bei uns allen sehr fühlbar, aber der Belagerungszustand
jedenfalls ein vortreffliches Surrogat; wir wären vielleicht versucht, das "einige
und starke" Oestreich im Monde zu suchen, wenn wir es nicht innerhalb des
Belagernngsrayons finden würden. Wir sind zwar häufig sehr ungenügsam, und
behaupten sogar, der östreichische Constitutionalismus röche allzusehr uach russischen
Juchten; aber dann brauchen wir nur einige Male vor den Kanonen der Citadelle
Wissehrad auf und nieder zu gehen, und uns fallen wieder allmälig die vergessenen
Strophen der östreichischen Volkshymne bei. Diese stummen Sphinxe des Abso¬
lutismus wirken wunderbar auf unser Gemüth, unverstandene Entzücken Schauern
uns aus ihren finstern Mündungen an, und vor ihnen gewinnen wir-wieder die
Ueberzeugung, daß der Habsburgische Staat noch die meisten göttlichen Eigenschaften
besitze, die der römische Katechismus anführt. Er ist allmächtig in der Schußwette
seiner Kanonen, er ist allwissend, denn die östreichische Polizei kennt noch immer
unsere geheimsten Gedanken, und ohne ihr Wissen fällt kein Sperling vom Dache;
er ist unveränderlich, denn er ist jetzt nach dem März I84ö wesentlich derselbe, wie
er vor dem März 1848 gewesen; er ist gerecht, denn er belohnt die Guten mit
Orden und Tapferkeitsmedaillen und bestraft die Bösegestnnten mit dem Stand¬
recht; er ist sogar barmherzig, denn er begnadigt mitunter vom Strange zu Pulver
und Blei. --

Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe geschrieben, wie die Czechen den
romantischen Versuch, die versunkenen Schätze ihrer ehemaligen Herrlichkeit zu heben,
in der jüngsten Zeit aufgegeben haben, weil sie den gegenwärtigen Besitz darüber
in Frage gestellt sahen. In bitterer Enttäuschung erkannten sie sich als die Schatz¬
gräber, denen man die Baarschaft aus der Tasche zog, während ihnen die Wün¬
schelruthe das vergrabene Gold anzeigte. Die wirkliche Gefahr löste den Zauber,
der sie in dem Irrgarten der Imagination festbannte. Der Nekromant wird seine
Geister im Stiche lassen, wenn das Dach über seinem Haupte zu. brennen anfängt;
bei dem wirklichen Feuerlärm verlöscht die magische Flamme. Durch den 4. März
1849 wurden die Czechen gezwungen, von jener Geisterwelt, die sie aus dem hei¬
ligen Grabe der historischen Erinnerung heraufgeholt hatten, den Blick auf die
Wirklichkeit zu wenden, die immer trüber zu werden, drohte. Früher hatten sie
den "Weltgeist" der Wiener nicht verstanden; er konnte sich nicht offenbaren dem
isolirten von der Allgemeinheit abgefallenen Volksgeist, der sich der großen Arbeit
der Gegenwart nicht ungetheilt hingeben, sondern nur sich selbst auf phantastische
Weise realisiren will. Jetzt aber, nachdem sie einsahen, daß die slavischen In¬
teressen nicht durch eine nationale Contrerevolution verwirklicht werden können,
bekehrten sie sich zu dem "Weltgeist", und ließen sich auf seinen Namen taufen.
Während sie ehedem die wohlgemeinte revolutionäre Despotie der Hauptstadt auf
das Heftigste bekämpften, welche die östreichische Revolution innerhalb der Wiener
Lumer zu Ende zu führen dachte: so tritt jetzt die slovanskii Un", von Prag selbst


Bewußtseins ist zwar bei uns allen sehr fühlbar, aber der Belagerungszustand
jedenfalls ein vortreffliches Surrogat; wir wären vielleicht versucht, das „einige
und starke" Oestreich im Monde zu suchen, wenn wir es nicht innerhalb des
Belagernngsrayons finden würden. Wir sind zwar häufig sehr ungenügsam, und
behaupten sogar, der östreichische Constitutionalismus röche allzusehr uach russischen
Juchten; aber dann brauchen wir nur einige Male vor den Kanonen der Citadelle
Wissehrad auf und nieder zu gehen, und uns fallen wieder allmälig die vergessenen
Strophen der östreichischen Volkshymne bei. Diese stummen Sphinxe des Abso¬
lutismus wirken wunderbar auf unser Gemüth, unverstandene Entzücken Schauern
uns aus ihren finstern Mündungen an, und vor ihnen gewinnen wir-wieder die
Ueberzeugung, daß der Habsburgische Staat noch die meisten göttlichen Eigenschaften
besitze, die der römische Katechismus anführt. Er ist allmächtig in der Schußwette
seiner Kanonen, er ist allwissend, denn die östreichische Polizei kennt noch immer
unsere geheimsten Gedanken, und ohne ihr Wissen fällt kein Sperling vom Dache;
er ist unveränderlich, denn er ist jetzt nach dem März I84ö wesentlich derselbe, wie
er vor dem März 1848 gewesen; er ist gerecht, denn er belohnt die Guten mit
Orden und Tapferkeitsmedaillen und bestraft die Bösegestnnten mit dem Stand¬
recht; er ist sogar barmherzig, denn er begnadigt mitunter vom Strange zu Pulver
und Blei. —

Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe geschrieben, wie die Czechen den
romantischen Versuch, die versunkenen Schätze ihrer ehemaligen Herrlichkeit zu heben,
in der jüngsten Zeit aufgegeben haben, weil sie den gegenwärtigen Besitz darüber
in Frage gestellt sahen. In bitterer Enttäuschung erkannten sie sich als die Schatz¬
gräber, denen man die Baarschaft aus der Tasche zog, während ihnen die Wün¬
schelruthe das vergrabene Gold anzeigte. Die wirkliche Gefahr löste den Zauber,
der sie in dem Irrgarten der Imagination festbannte. Der Nekromant wird seine
Geister im Stiche lassen, wenn das Dach über seinem Haupte zu. brennen anfängt;
bei dem wirklichen Feuerlärm verlöscht die magische Flamme. Durch den 4. März
1849 wurden die Czechen gezwungen, von jener Geisterwelt, die sie aus dem hei¬
ligen Grabe der historischen Erinnerung heraufgeholt hatten, den Blick auf die
Wirklichkeit zu wenden, die immer trüber zu werden, drohte. Früher hatten sie
den „Weltgeist" der Wiener nicht verstanden; er konnte sich nicht offenbaren dem
isolirten von der Allgemeinheit abgefallenen Volksgeist, der sich der großen Arbeit
der Gegenwart nicht ungetheilt hingeben, sondern nur sich selbst auf phantastische
Weise realisiren will. Jetzt aber, nachdem sie einsahen, daß die slavischen In¬
teressen nicht durch eine nationale Contrerevolution verwirklicht werden können,
bekehrten sie sich zu dem „Weltgeist", und ließen sich auf seinen Namen taufen.
Während sie ehedem die wohlgemeinte revolutionäre Despotie der Hauptstadt auf
das Heftigste bekämpften, welche die östreichische Revolution innerhalb der Wiener
Lumer zu Ende zu führen dachte: so tritt jetzt die slovanskii Un», von Prag selbst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278972"/>
          <p xml:id="ID_1500" prev="#ID_1499"> Bewußtseins ist zwar bei uns allen sehr fühlbar, aber der Belagerungszustand<lb/>
jedenfalls ein vortreffliches Surrogat; wir wären vielleicht versucht, das &#x201E;einige<lb/>
und starke" Oestreich im Monde zu suchen, wenn wir es nicht innerhalb des<lb/>
Belagernngsrayons finden würden. Wir sind zwar häufig sehr ungenügsam, und<lb/>
behaupten sogar, der östreichische Constitutionalismus röche allzusehr uach russischen<lb/>
Juchten; aber dann brauchen wir nur einige Male vor den Kanonen der Citadelle<lb/>
Wissehrad auf und nieder zu gehen, und uns fallen wieder allmälig die vergessenen<lb/>
Strophen der östreichischen Volkshymne bei. Diese stummen Sphinxe des Abso¬<lb/>
lutismus wirken wunderbar auf unser Gemüth, unverstandene Entzücken Schauern<lb/>
uns aus ihren finstern Mündungen an, und vor ihnen gewinnen wir-wieder die<lb/>
Ueberzeugung, daß der Habsburgische Staat noch die meisten göttlichen Eigenschaften<lb/>
besitze, die der römische Katechismus anführt. Er ist allmächtig in der Schußwette<lb/>
seiner Kanonen, er ist allwissend, denn die östreichische Polizei kennt noch immer<lb/>
unsere geheimsten Gedanken, und ohne ihr Wissen fällt kein Sperling vom Dache;<lb/>
er ist unveränderlich, denn er ist jetzt nach dem März I84ö wesentlich derselbe, wie<lb/>
er vor dem März 1848 gewesen; er ist gerecht, denn er belohnt die Guten mit<lb/>
Orden und Tapferkeitsmedaillen und bestraft die Bösegestnnten mit dem Stand¬<lb/>
recht; er ist sogar barmherzig, denn er begnadigt mitunter vom Strange zu Pulver<lb/>
und Blei. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe geschrieben, wie die Czechen den<lb/>
romantischen Versuch, die versunkenen Schätze ihrer ehemaligen Herrlichkeit zu heben,<lb/>
in der jüngsten Zeit aufgegeben haben, weil sie den gegenwärtigen Besitz darüber<lb/>
in Frage gestellt sahen. In bitterer Enttäuschung erkannten sie sich als die Schatz¬<lb/>
gräber, denen man die Baarschaft aus der Tasche zog, während ihnen die Wün¬<lb/>
schelruthe das vergrabene Gold anzeigte. Die wirkliche Gefahr löste den Zauber,<lb/>
der sie in dem Irrgarten der Imagination festbannte. Der Nekromant wird seine<lb/>
Geister im Stiche lassen, wenn das Dach über seinem Haupte zu. brennen anfängt;<lb/>
bei dem wirklichen Feuerlärm verlöscht die magische Flamme. Durch den 4. März<lb/>
1849 wurden die Czechen gezwungen, von jener Geisterwelt, die sie aus dem hei¬<lb/>
ligen Grabe der historischen Erinnerung heraufgeholt hatten, den Blick auf die<lb/>
Wirklichkeit zu wenden, die immer trüber zu werden, drohte. Früher hatten sie<lb/>
den &#x201E;Weltgeist" der Wiener nicht verstanden; er konnte sich nicht offenbaren dem<lb/>
isolirten von der Allgemeinheit abgefallenen Volksgeist, der sich der großen Arbeit<lb/>
der Gegenwart nicht ungetheilt hingeben, sondern nur sich selbst auf phantastische<lb/>
Weise realisiren will. Jetzt aber, nachdem sie einsahen, daß die slavischen In¬<lb/>
teressen nicht durch eine nationale Contrerevolution verwirklicht werden können,<lb/>
bekehrten sie sich zu dem &#x201E;Weltgeist", und ließen sich auf seinen Namen taufen.<lb/>
Während sie ehedem die wohlgemeinte revolutionäre Despotie der Hauptstadt auf<lb/>
das Heftigste bekämpften, welche die östreichische Revolution innerhalb der Wiener<lb/>
Lumer zu Ende zu führen dachte: so tritt jetzt die slovanskii Un», von Prag selbst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0462] Bewußtseins ist zwar bei uns allen sehr fühlbar, aber der Belagerungszustand jedenfalls ein vortreffliches Surrogat; wir wären vielleicht versucht, das „einige und starke" Oestreich im Monde zu suchen, wenn wir es nicht innerhalb des Belagernngsrayons finden würden. Wir sind zwar häufig sehr ungenügsam, und behaupten sogar, der östreichische Constitutionalismus röche allzusehr uach russischen Juchten; aber dann brauchen wir nur einige Male vor den Kanonen der Citadelle Wissehrad auf und nieder zu gehen, und uns fallen wieder allmälig die vergessenen Strophen der östreichischen Volkshymne bei. Diese stummen Sphinxe des Abso¬ lutismus wirken wunderbar auf unser Gemüth, unverstandene Entzücken Schauern uns aus ihren finstern Mündungen an, und vor ihnen gewinnen wir-wieder die Ueberzeugung, daß der Habsburgische Staat noch die meisten göttlichen Eigenschaften besitze, die der römische Katechismus anführt. Er ist allmächtig in der Schußwette seiner Kanonen, er ist allwissend, denn die östreichische Polizei kennt noch immer unsere geheimsten Gedanken, und ohne ihr Wissen fällt kein Sperling vom Dache; er ist unveränderlich, denn er ist jetzt nach dem März I84ö wesentlich derselbe, wie er vor dem März 1848 gewesen; er ist gerecht, denn er belohnt die Guten mit Orden und Tapferkeitsmedaillen und bestraft die Bösegestnnten mit dem Stand¬ recht; er ist sogar barmherzig, denn er begnadigt mitunter vom Strange zu Pulver und Blei. — Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe geschrieben, wie die Czechen den romantischen Versuch, die versunkenen Schätze ihrer ehemaligen Herrlichkeit zu heben, in der jüngsten Zeit aufgegeben haben, weil sie den gegenwärtigen Besitz darüber in Frage gestellt sahen. In bitterer Enttäuschung erkannten sie sich als die Schatz¬ gräber, denen man die Baarschaft aus der Tasche zog, während ihnen die Wün¬ schelruthe das vergrabene Gold anzeigte. Die wirkliche Gefahr löste den Zauber, der sie in dem Irrgarten der Imagination festbannte. Der Nekromant wird seine Geister im Stiche lassen, wenn das Dach über seinem Haupte zu. brennen anfängt; bei dem wirklichen Feuerlärm verlöscht die magische Flamme. Durch den 4. März 1849 wurden die Czechen gezwungen, von jener Geisterwelt, die sie aus dem hei¬ ligen Grabe der historischen Erinnerung heraufgeholt hatten, den Blick auf die Wirklichkeit zu wenden, die immer trüber zu werden, drohte. Früher hatten sie den „Weltgeist" der Wiener nicht verstanden; er konnte sich nicht offenbaren dem isolirten von der Allgemeinheit abgefallenen Volksgeist, der sich der großen Arbeit der Gegenwart nicht ungetheilt hingeben, sondern nur sich selbst auf phantastische Weise realisiren will. Jetzt aber, nachdem sie einsahen, daß die slavischen In¬ teressen nicht durch eine nationale Contrerevolution verwirklicht werden können, bekehrten sie sich zu dem „Weltgeist", und ließen sich auf seinen Namen taufen. Während sie ehedem die wohlgemeinte revolutionäre Despotie der Hauptstadt auf das Heftigste bekämpften, welche die östreichische Revolution innerhalb der Wiener Lumer zu Ende zu führen dachte: so tritt jetzt die slovanskii Un», von Prag selbst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/462
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/462>, abgerufen am 15.01.2025.