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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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und links am Aermel, die Töchter lehnten sich im Hochgefühl des Triumphes ver-
trauungsvvllcr an die Arme der entpuppten Studenten, nur die bösen kleinen Ran¬
gen kicherten gar unverschämt, als die Truppe selbst in den einfachsten Elementen
des Exercitiums mit den Flinten schlotterte wie Schuljungen mit der Zunge.
Der Major commandirte, die Offiziere errötheten, die Korporale stießen rechts
und links -- vergebens; die Masse konnte erst wieder nach vielem scandalösen
Durcheinanderrennen in Colonnen zum Abmarschircn formirt werden, und auch
dazu war manche unsterbliche Nationalgardenscele hinter dem Spalier behilflich,
was die Offiziere noch röther und wüthender machte. Endlich ging's vorwärts. - -

Die osstciösen Leistungen wußten des andern Tages viel von dem "grenzen¬
losen, wahrhaft rührenden Jubel" der Bevölkerung zu erzählen, und daß Gewerbe
und Handel nun wieder blühen werden u. s. w. Ich habe nur Eine ungeheu-
chelte aber höchst unloyale Freude bei den Wienern beobachtet, darüber -- daß
die Truppen so schlecht exercirten -- sich in keiner Beziehung mit der alten Na¬
tionalgarde messen können, von der verewigten akademischen Legion gar nicht zu
reden. --,--




An die Grenz boten.

Nestroy gibt in einer Posse die Rolle eines 13jährigen Jungen. An seinem
Geburtstage zieht ihn der Vater auf den Schooß und frägt zärtlich, was sein
kindliches Gemüth sich am meisten zum Angebinde wünsche. "Papa! ein Se¬
rail!" antwortet der kleine Taugenichts. -- Anständige Leute finden dergleichen
sehr unanständig, müssen aber nichts desto weniger darüber lachen. Wird man es
nicht auch unanständig finden, wenn wir jungen Leute in dieser bitterbösen Flegel¬
zeit den Wunsch nach männlichem Humor und grauhaariger Philosophie aussprechen?
In gewissen Kreisen -- ja. Aber man wird dessen doch froh werden. Darum
Dank für Ihren freundlichen Rath. Er war gut gemeint. Aber Sie irren sich,
wenn Sie aus den Stoßseufzern unserer Berichte ans zerschlagene Gemüthszustäiide
schließen. Nur Melancholiker und Hypochondristcn schreibe" Lustspiele, um jeden
Rückstand von Heiterkeit als beschwerlichen Ballast über Bord zu werfen und dem
Haifischracheu des Publikums Arbeit zu verschaffen. Der wahrhaft Heitere gibt
von seinem Kapital nicht gerne etwas aus, er läßt es in der Taufe seines Herzens
zu Zinsen anwnchern. So auch wir. Wir sind mit unserer Heiterkeit die größten
Geizhalse geworden; Communisten im engen Freundeskreise verschließen wir unsere
Schätze dem raubsüchtigen Pöbel.

Glauben Sie nicht an die Verzweiflung unseres Hafis in Berlin. Auf diesen
Einen Weisen kommen dort tausend Narren, und da findet seine ernstnmschattete
Brille in dem hohlen Wellenschlage der Thorheit die kostbarsten Muscheln, gefüllt
mit humoristischen Perlen. Diese behält er für sich, die schmutzigen Seba-


und links am Aermel, die Töchter lehnten sich im Hochgefühl des Triumphes ver-
trauungsvvllcr an die Arme der entpuppten Studenten, nur die bösen kleinen Ran¬
gen kicherten gar unverschämt, als die Truppe selbst in den einfachsten Elementen
des Exercitiums mit den Flinten schlotterte wie Schuljungen mit der Zunge.
Der Major commandirte, die Offiziere errötheten, die Korporale stießen rechts
und links — vergebens; die Masse konnte erst wieder nach vielem scandalösen
Durcheinanderrennen in Colonnen zum Abmarschircn formirt werden, und auch
dazu war manche unsterbliche Nationalgardenscele hinter dem Spalier behilflich,
was die Offiziere noch röther und wüthender machte. Endlich ging's vorwärts. - -

Die osstciösen Leistungen wußten des andern Tages viel von dem „grenzen¬
losen, wahrhaft rührenden Jubel" der Bevölkerung zu erzählen, und daß Gewerbe
und Handel nun wieder blühen werden u. s. w. Ich habe nur Eine ungeheu-
chelte aber höchst unloyale Freude bei den Wienern beobachtet, darüber — daß
die Truppen so schlecht exercirten — sich in keiner Beziehung mit der alten Na¬
tionalgarde messen können, von der verewigten akademischen Legion gar nicht zu
reden. —,—




An die Grenz boten.

Nestroy gibt in einer Posse die Rolle eines 13jährigen Jungen. An seinem
Geburtstage zieht ihn der Vater auf den Schooß und frägt zärtlich, was sein
kindliches Gemüth sich am meisten zum Angebinde wünsche. „Papa! ein Se¬
rail!" antwortet der kleine Taugenichts. — Anständige Leute finden dergleichen
sehr unanständig, müssen aber nichts desto weniger darüber lachen. Wird man es
nicht auch unanständig finden, wenn wir jungen Leute in dieser bitterbösen Flegel¬
zeit den Wunsch nach männlichem Humor und grauhaariger Philosophie aussprechen?
In gewissen Kreisen — ja. Aber man wird dessen doch froh werden. Darum
Dank für Ihren freundlichen Rath. Er war gut gemeint. Aber Sie irren sich,
wenn Sie aus den Stoßseufzern unserer Berichte ans zerschlagene Gemüthszustäiide
schließen. Nur Melancholiker und Hypochondristcn schreibe» Lustspiele, um jeden
Rückstand von Heiterkeit als beschwerlichen Ballast über Bord zu werfen und dem
Haifischracheu des Publikums Arbeit zu verschaffen. Der wahrhaft Heitere gibt
von seinem Kapital nicht gerne etwas aus, er läßt es in der Taufe seines Herzens
zu Zinsen anwnchern. So auch wir. Wir sind mit unserer Heiterkeit die größten
Geizhalse geworden; Communisten im engen Freundeskreise verschließen wir unsere
Schätze dem raubsüchtigen Pöbel.

Glauben Sie nicht an die Verzweiflung unseres Hafis in Berlin. Auf diesen
Einen Weisen kommen dort tausend Narren, und da findet seine ernstnmschattete
Brille in dem hohlen Wellenschlage der Thorheit die kostbarsten Muscheln, gefüllt
mit humoristischen Perlen. Diese behält er für sich, die schmutzigen Seba-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/460>, abgerufen am 15.01.2025.