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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Ehrenplatz hinter dem Himmel, den sich die Geistlichkeit hier ans Erden zurecht
gemacht halte. Nur geweihte Tonsuren finden unter diesem Himmel Raum, und
selbst der Kaiser muß sich bequemen, hinter demselben dreinzugehu; sein Auge
sieht deu Himmel offen, reizend wie den Schalten einer Eiche, wie einen bunten
Sonnenschirm in schönen Händen, aber er darf darunter vor deu glühenden Lie-
bcsblicken der Sonne keinen Schutz suchen. Und gerade am Frohnleichnamstage
pflegt es in Wien sehr heiß zu sein, nach Einigen aus göttlicher Bosheit gegen
die östreichischen Hofchargen, wahrscheinlich aber deswegen, weil der Feiertag in
den Hochsommer fällt. Wie gesagt, im vorigen Jahre ging Fischhof an des Kai¬
sers Stelle hinter dem rothen Himmel her; Heuer sitzt er im Gefängnisse und
sieht den ewig blauen durch die Gitterstäbe seiner Kerkerzelle.

Schandblätter, die zur Ehre Oestreichs nicht über die Grenze kommen, ha¬
ben allerunterthänigst darauf aufmerksam gemacht, wie herrlich das heurige Fest
mit dem vom vorigen Jahre contrastire, und daß Fischhof Heuer jenen Platz
occnpire, der ihm von Rechtswegen gebühre. Die Schelme thun, als hatten sie
erst jetzt wieder den Glauben an Gottes Gerechtigkeit wiedergefunden, und rufen
pathetisch: Jetzt, da der Kaiser und Ruhe und Ordnung in Wien ist, werden die
Gewerbe wieder anfangen zu blühen, und der Wohlstand in Saamen über¬
gehn u. f. w. Das haben sie gesagt, wie Windischgrätz über Leichen eingezogen
ist, wie Blum und Messeuhauser erschossen wurde, wie der Reichstag in Kremsier
auseinandergejagt und ein einiges Oestreich decretirt, und das 30. Siegesbulletin
ans Ungarn angeschlagen wurde, das sagen sie bei jeder Gelegenheit, als ob aus
jedem Düngerhaufen schnell Ananasse wüchsen, als ob Gott jeden Tag gelaunt
wäre, ans Lüge Wahrheit zu machen, wie sein eingeborner Sohn in der Wüste
aus Nichts Brot but. Dabei wird aber das Brot täglich kleiner und die Noth
größer, der Verdienst wird schmäler und die Polizei breiter und der Banknoten-
cours uiednger und der Leichenberg höher und der Blutstrom tiefer, aber der
"ritterliche" (?) Kaiser ist hinter dem Baldachin hergegangen, eiz"--

DaS Boll liest wenig und merkt sich viel, und das Viele wird große dicke
Aehren treiben wie Dreschflegel und Keulen und dann wird eS c-i-^o heißen. Das
Volk hat ein gutes Gedächtniß, und wäre es so vergeßlich wie seiue Regierun¬
gen, es würde diesen wenig nützen. Jeder Stein in- Wien dient ihm zum
Anhaltepunkt, und mögen sie Fischhof als Hochverräther erklären und in die Ver¬
gessenheit des Spielbergs einsargen, das Volk wird es nie und nimmer verges¬
sen, daß er es war, der das erste freie Wort für Oestreich in Oestreich gesprochen.

Vor und hinter dem goldgestickten Baldachine bewegte sich der höchste Kle¬
rus des Landes, der eben hier versammelt ist, um in den großen Ruinen der
Gegenwart das Wuuderblümcheu der katholischen Christenheit zu schirmen und zu
Pflegen, daß es nicht zu Grunde gehe. Die geistlichen Herren conferiren fleißig,
aber das Volk hat keinen Sinn mehr für Trieutinische Concilien. Es fürchtet


Sr-nzbvtc". N. 184". 58

Ehrenplatz hinter dem Himmel, den sich die Geistlichkeit hier ans Erden zurecht
gemacht halte. Nur geweihte Tonsuren finden unter diesem Himmel Raum, und
selbst der Kaiser muß sich bequemen, hinter demselben dreinzugehu; sein Auge
sieht deu Himmel offen, reizend wie den Schalten einer Eiche, wie einen bunten
Sonnenschirm in schönen Händen, aber er darf darunter vor deu glühenden Lie-
bcsblicken der Sonne keinen Schutz suchen. Und gerade am Frohnleichnamstage
pflegt es in Wien sehr heiß zu sein, nach Einigen aus göttlicher Bosheit gegen
die östreichischen Hofchargen, wahrscheinlich aber deswegen, weil der Feiertag in
den Hochsommer fällt. Wie gesagt, im vorigen Jahre ging Fischhof an des Kai¬
sers Stelle hinter dem rothen Himmel her; Heuer sitzt er im Gefängnisse und
sieht den ewig blauen durch die Gitterstäbe seiner Kerkerzelle.

Schandblätter, die zur Ehre Oestreichs nicht über die Grenze kommen, ha¬
ben allerunterthänigst darauf aufmerksam gemacht, wie herrlich das heurige Fest
mit dem vom vorigen Jahre contrastire, und daß Fischhof Heuer jenen Platz
occnpire, der ihm von Rechtswegen gebühre. Die Schelme thun, als hatten sie
erst jetzt wieder den Glauben an Gottes Gerechtigkeit wiedergefunden, und rufen
pathetisch: Jetzt, da der Kaiser und Ruhe und Ordnung in Wien ist, werden die
Gewerbe wieder anfangen zu blühen, und der Wohlstand in Saamen über¬
gehn u. f. w. Das haben sie gesagt, wie Windischgrätz über Leichen eingezogen
ist, wie Blum und Messeuhauser erschossen wurde, wie der Reichstag in Kremsier
auseinandergejagt und ein einiges Oestreich decretirt, und das 30. Siegesbulletin
ans Ungarn angeschlagen wurde, das sagen sie bei jeder Gelegenheit, als ob aus
jedem Düngerhaufen schnell Ananasse wüchsen, als ob Gott jeden Tag gelaunt
wäre, ans Lüge Wahrheit zu machen, wie sein eingeborner Sohn in der Wüste
aus Nichts Brot but. Dabei wird aber das Brot täglich kleiner und die Noth
größer, der Verdienst wird schmäler und die Polizei breiter und der Banknoten-
cours uiednger und der Leichenberg höher und der Blutstrom tiefer, aber der
„ritterliche" (?) Kaiser ist hinter dem Baldachin hergegangen, eiz»--

DaS Boll liest wenig und merkt sich viel, und das Viele wird große dicke
Aehren treiben wie Dreschflegel und Keulen und dann wird eS c-i-^o heißen. Das
Volk hat ein gutes Gedächtniß, und wäre es so vergeßlich wie seiue Regierun¬
gen, es würde diesen wenig nützen. Jeder Stein in- Wien dient ihm zum
Anhaltepunkt, und mögen sie Fischhof als Hochverräther erklären und in die Ver¬
gessenheit des Spielbergs einsargen, das Volk wird es nie und nimmer verges¬
sen, daß er es war, der das erste freie Wort für Oestreich in Oestreich gesprochen.

Vor und hinter dem goldgestickten Baldachine bewegte sich der höchste Kle¬
rus des Landes, der eben hier versammelt ist, um in den großen Ruinen der
Gegenwart das Wuuderblümcheu der katholischen Christenheit zu schirmen und zu
Pflegen, daß es nicht zu Grunde gehe. Die geistlichen Herren conferiren fleißig,
aber das Volk hat keinen Sinn mehr für Trieutinische Concilien. Es fürchtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/457>, abgerufen am 15.01.2025.