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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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bequem, die Zeitung fand keinen Anklang; sie brachte zu viel Stoff und erschwerte
die Verdauung durch die wunderlichen Gesichtspunkte, welche sie aufstellte. Der
Bürger will etwas sür's Herz, die kalte, ironische Sophisttk des Verstandes
sagte ihm nicht zu; obgleich Julius sein Mögliches that, auch die lokale"-Zu¬
stände gründlicher zu geben, als es die frühern Zeitungen gethan. Dieselben
Gründe hinderten das Blatt an der Verbreitung über Deutschland. Eine allge¬
meine Zeitung muß entweder das Organ einer großen Partei sein und von einem
bestimmten politischen Principe ausgehn, oder sie muß, wie die Angsb. Allgemeine,
durch elegante und ^ ausführliche Erzählung gewinnen. Das fehlte Julius; seine
Darstellung war so unbeholfen als möglich, seine Form weder natürlich noch
gebildet.

Er entwickelte übrigens dabei eine kolossale Thätigkeit, eigentlich schrieb er
den größten Theil der Zeitung selbst. Nur das Feuilleton hatte er Klein ni.d
Kossak überlassen. Das Publikum, das ita zuweilen inspinrte, war die Schule
der Kritik, jene rosenblntwangigen, am weitesten vorgeschrittenen Jünglinge, denen
Albu der Repräsentant des höhern Staatsprincips war, weil Egmont sich auf
nichts anders zu berufen wußte, als ans seine Privilegien.

Die Angriffe gegen den Liberalismus und die Vertheidigung des Gouverne¬
ments beleidigten um so mehr) da fortwährend versichert wurde, man wolle un¬
parteiisch sein. Einem provocirten Parteiblatt läßt man das Hervorheben bestimmter,
beschränkter Gesichtspunkte gelten, deren jede Sache verschiedene darbietet: es ist
eben nicht seine Aufgabe, zu unterrichten, es will nur in ">!>><" om der "luiiiun
die Gegner schlecht machen. Aber mit dem Anschein der Unparteilichkeit nach dem
alten romantischen Princip dasjenige, was der Menge gefällt, als trivial zu ver¬
spotten, das greift dem Bürger ein's Herz, lind es befriedigt nicht einmal die
Partei, der es zu Gute kommt. Das zeigte sich am Deutlichsten bei der Einver¬
leibung Krakans,

In dieser Frage griff der Staat der Julirevolution das Verfahren der heili¬
gen Allianz vom Rechtsboden aus an, der durch die Umstände nicht aufgehoben
werden könne -- freilich nur, um die factische Aushebung desselben zu proclami^
ren und sich die Freiheit, zu erwerben, gleichfalls nach dem Recht nichts zu frage".
Kein Staat, sagte Guizot in Uebereinstimmung mit der Adrcßcommissiou, kann
bestehende Vertrage verletzen, ohne eben dadurch den andern Kontrahenten das
Recht zu geben, ihrerseits nur ihren Vortheil ins Auge zu fassen.

Die Zeitungshalle war eines der wenigen liberalen Blätter, welche die ver¬
bündeten Mächte in Schutz nahm, aber freilich mit dem Grundsatz: die Macht
der Geschichte steht über dem geschichtlichen Recht; es ist ein flüssiger Begriff,
welcher von den Zeitumständen modificirt wird. Verträge binden nur so lange,
als die Verhältnisse fortdauern, welche sie hervorriefen, und jeder Vertrag enthält
stillschweigend die Clausel, daß man sich bei passender Gelegenheit vorbehält, ihn


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bequem, die Zeitung fand keinen Anklang; sie brachte zu viel Stoff und erschwerte
die Verdauung durch die wunderlichen Gesichtspunkte, welche sie aufstellte. Der
Bürger will etwas sür's Herz, die kalte, ironische Sophisttk des Verstandes
sagte ihm nicht zu; obgleich Julius sein Mögliches that, auch die lokale»-Zu¬
stände gründlicher zu geben, als es die frühern Zeitungen gethan. Dieselben
Gründe hinderten das Blatt an der Verbreitung über Deutschland. Eine allge¬
meine Zeitung muß entweder das Organ einer großen Partei sein und von einem
bestimmten politischen Principe ausgehn, oder sie muß, wie die Angsb. Allgemeine,
durch elegante und ^ ausführliche Erzählung gewinnen. Das fehlte Julius; seine
Darstellung war so unbeholfen als möglich, seine Form weder natürlich noch
gebildet.

Er entwickelte übrigens dabei eine kolossale Thätigkeit, eigentlich schrieb er
den größten Theil der Zeitung selbst. Nur das Feuilleton hatte er Klein ni.d
Kossak überlassen. Das Publikum, das ita zuweilen inspinrte, war die Schule
der Kritik, jene rosenblntwangigen, am weitesten vorgeschrittenen Jünglinge, denen
Albu der Repräsentant des höhern Staatsprincips war, weil Egmont sich auf
nichts anders zu berufen wußte, als ans seine Privilegien.

Die Angriffe gegen den Liberalismus und die Vertheidigung des Gouverne¬
ments beleidigten um so mehr) da fortwährend versichert wurde, man wolle un¬
parteiisch sein. Einem provocirten Parteiblatt läßt man das Hervorheben bestimmter,
beschränkter Gesichtspunkte gelten, deren jede Sache verschiedene darbietet: es ist
eben nicht seine Aufgabe, zu unterrichten, es will nur in »>!>><» om der »luiiiun
die Gegner schlecht machen. Aber mit dem Anschein der Unparteilichkeit nach dem
alten romantischen Princip dasjenige, was der Menge gefällt, als trivial zu ver¬
spotten, das greift dem Bürger ein's Herz, lind es befriedigt nicht einmal die
Partei, der es zu Gute kommt. Das zeigte sich am Deutlichsten bei der Einver¬
leibung Krakans,

In dieser Frage griff der Staat der Julirevolution das Verfahren der heili¬
gen Allianz vom Rechtsboden aus an, der durch die Umstände nicht aufgehoben
werden könne — freilich nur, um die factische Aushebung desselben zu proclami^
ren und sich die Freiheit, zu erwerben, gleichfalls nach dem Recht nichts zu frage».
Kein Staat, sagte Guizot in Uebereinstimmung mit der Adrcßcommissiou, kann
bestehende Vertrage verletzen, ohne eben dadurch den andern Kontrahenten das
Recht zu geben, ihrerseits nur ihren Vortheil ins Auge zu fassen.

Die Zeitungshalle war eines der wenigen liberalen Blätter, welche die ver¬
bündeten Mächte in Schutz nahm, aber freilich mit dem Grundsatz: die Macht
der Geschichte steht über dem geschichtlichen Recht; es ist ein flüssiger Begriff,
welcher von den Zeitumständen modificirt wird. Verträge binden nur so lange,
als die Verhältnisse fortdauern, welche sie hervorriefen, und jeder Vertrag enthält
stillschweigend die Clausel, daß man sich bei passender Gelegenheit vorbehält, ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/443>, abgerufen am 15.01.2025.