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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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wie die allgemeinen, und daher unbestimmten Vorwürfe der Aufklärung das Wesen
der Sache häufig genug nicht getroffen hätten.

In der letzten Zeit hatte er sich vielfach mit staatsökonomischen Studien ab¬
gegeben, und war auf Resultate gekommen, die von dem gewöhnlichen Wege seiner
Schule abwichen. In der Regel mündete die abstracte Kritik im Freihandel aus,
schon der Bequemlichkeit wegen; Julius blieb bei dem communistischen Princip
stehn, die kleinen Capitalien zusammen zu schlagen und sie dem Staat zu um¬
fangreicher und wirksamer Benutzung zuzuweisen. Freilich meinte der Communis-
mus damit einen andern Staat, die freie Gesellschaft, die sich im Geist der Liebe
u. s. w. selber organisirt, aber warum sollte mau uicht eine Wahrheit, die von
diesem galt, bis zur Errichtung desselben vorläufig auch vom bestehenden Staat,
dem Polizeistaat gelten lassen?

Die Sache hatte für den Augenblick für Preußen eine praktische Bedeutung
durch die Streitigkeiten, die sich an das Institut der Seehandlung knüpften. Es
wurde vou Seiten des Liberalismus aus verschiedenen Gründen angegriffen, theils
aus dem allgemeinen Grundsatz, daß der Staat der schlechteste Verwalter sei, theils
wegen der drückenden Concurrenz, die ein so übermäßiges Capital der Privat¬
betriebsamkeit erregte. Auch gab die zweideutige Stellung zu dem übrigen
Finanzsystem des Staats Anstoß. Da nun Julius mit ziemlicher Heftigkeit gegen
die "oberflächlichen Deductionen" der staatsökonomischen "Dilettanten" Partei ucchni,
so schien es ausgemacht, daß der ehemalige Theolog von Rother, dem Chef der
Seehandlung gewonnen sei. Ich will es übrigens uicht als ausgemacht hinstellen,
daß so etwas uicht in den Absichten des Redacteurs gelegen habe; er erklärt hin
und wieder mit einer gewissen Bitterkeit, daß ihm von Seiten des geachteten Chefs
keine Mittheilungen wurden. Aber dergleichen Mittheilungen widersprechen eben
dem Wesen des bureaukratischen Staats.

Das Lokal des neuen Instituts war mit auffallendem Glanz eingerichtet, selbst
für Berlin. Eine Auswahl von Zeitschriften aller Art, gegen welche das damals
renommirte Leipziger Museum gar uicht in Betracht kommen konnte, brillante
Meubel", etwas zu orientalisch, um das angemessen solide Ansehn zu habe",
Damenzimmer mit Goldfischchen und andern Nippes, in welche Julius Schwester
die eine oder die andere verirrte ZcitnngSleserin einführte. Sehr bald wurde die
Zeitungshalle, was früher Stehely gewesen, der Sammelplatz und die eigentliche
Heimath der abstracten Literatur, die in dem Blatt häufig genng aufs Lebhafteste
angegriffen wurde.

Das Blatt legte es vorzugsweise auf ein reiches Material an. Um auszu-
fallen, ersann der erfinderische Geist des Redacteurs täglich neue Rubriken, ^
welche die Masse desselben geschichtet wurde. Bald wurden die Markt- und Börsen¬
berichte zur Seite gedruckt, bald vorn, bald hinten. Diese beständige Unruhe war
dem Berliner, der an das konservative System der Vossischen gewöhnt war, u""


wie die allgemeinen, und daher unbestimmten Vorwürfe der Aufklärung das Wesen
der Sache häufig genug nicht getroffen hätten.

In der letzten Zeit hatte er sich vielfach mit staatsökonomischen Studien ab¬
gegeben, und war auf Resultate gekommen, die von dem gewöhnlichen Wege seiner
Schule abwichen. In der Regel mündete die abstracte Kritik im Freihandel aus,
schon der Bequemlichkeit wegen; Julius blieb bei dem communistischen Princip
stehn, die kleinen Capitalien zusammen zu schlagen und sie dem Staat zu um¬
fangreicher und wirksamer Benutzung zuzuweisen. Freilich meinte der Communis-
mus damit einen andern Staat, die freie Gesellschaft, die sich im Geist der Liebe
u. s. w. selber organisirt, aber warum sollte mau uicht eine Wahrheit, die von
diesem galt, bis zur Errichtung desselben vorläufig auch vom bestehenden Staat,
dem Polizeistaat gelten lassen?

Die Sache hatte für den Augenblick für Preußen eine praktische Bedeutung
durch die Streitigkeiten, die sich an das Institut der Seehandlung knüpften. Es
wurde vou Seiten des Liberalismus aus verschiedenen Gründen angegriffen, theils
aus dem allgemeinen Grundsatz, daß der Staat der schlechteste Verwalter sei, theils
wegen der drückenden Concurrenz, die ein so übermäßiges Capital der Privat¬
betriebsamkeit erregte. Auch gab die zweideutige Stellung zu dem übrigen
Finanzsystem des Staats Anstoß. Da nun Julius mit ziemlicher Heftigkeit gegen
die „oberflächlichen Deductionen" der staatsökonomischen „Dilettanten" Partei ucchni,
so schien es ausgemacht, daß der ehemalige Theolog von Rother, dem Chef der
Seehandlung gewonnen sei. Ich will es übrigens uicht als ausgemacht hinstellen,
daß so etwas uicht in den Absichten des Redacteurs gelegen habe; er erklärt hin
und wieder mit einer gewissen Bitterkeit, daß ihm von Seiten des geachteten Chefs
keine Mittheilungen wurden. Aber dergleichen Mittheilungen widersprechen eben
dem Wesen des bureaukratischen Staats.

Das Lokal des neuen Instituts war mit auffallendem Glanz eingerichtet, selbst
für Berlin. Eine Auswahl von Zeitschriften aller Art, gegen welche das damals
renommirte Leipziger Museum gar uicht in Betracht kommen konnte, brillante
Meubel», etwas zu orientalisch, um das angemessen solide Ansehn zu habe»,
Damenzimmer mit Goldfischchen und andern Nippes, in welche Julius Schwester
die eine oder die andere verirrte ZcitnngSleserin einführte. Sehr bald wurde die
Zeitungshalle, was früher Stehely gewesen, der Sammelplatz und die eigentliche
Heimath der abstracten Literatur, die in dem Blatt häufig genng aufs Lebhafteste
angegriffen wurde.

Das Blatt legte es vorzugsweise auf ein reiches Material an. Um auszu-
fallen, ersann der erfinderische Geist des Redacteurs täglich neue Rubriken, ^
welche die Masse desselben geschichtet wurde. Bald wurden die Markt- und Börsen¬
berichte zur Seite gedruckt, bald vorn, bald hinten. Diese beständige Unruhe war
dem Berliner, der an das konservative System der Vossischen gewöhnt war, u»"


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[0442] wie die allgemeinen, und daher unbestimmten Vorwürfe der Aufklärung das Wesen der Sache häufig genug nicht getroffen hätten. In der letzten Zeit hatte er sich vielfach mit staatsökonomischen Studien ab¬ gegeben, und war auf Resultate gekommen, die von dem gewöhnlichen Wege seiner Schule abwichen. In der Regel mündete die abstracte Kritik im Freihandel aus, schon der Bequemlichkeit wegen; Julius blieb bei dem communistischen Princip stehn, die kleinen Capitalien zusammen zu schlagen und sie dem Staat zu um¬ fangreicher und wirksamer Benutzung zuzuweisen. Freilich meinte der Communis- mus damit einen andern Staat, die freie Gesellschaft, die sich im Geist der Liebe u. s. w. selber organisirt, aber warum sollte mau uicht eine Wahrheit, die von diesem galt, bis zur Errichtung desselben vorläufig auch vom bestehenden Staat, dem Polizeistaat gelten lassen? Die Sache hatte für den Augenblick für Preußen eine praktische Bedeutung durch die Streitigkeiten, die sich an das Institut der Seehandlung knüpften. Es wurde vou Seiten des Liberalismus aus verschiedenen Gründen angegriffen, theils aus dem allgemeinen Grundsatz, daß der Staat der schlechteste Verwalter sei, theils wegen der drückenden Concurrenz, die ein so übermäßiges Capital der Privat¬ betriebsamkeit erregte. Auch gab die zweideutige Stellung zu dem übrigen Finanzsystem des Staats Anstoß. Da nun Julius mit ziemlicher Heftigkeit gegen die „oberflächlichen Deductionen" der staatsökonomischen „Dilettanten" Partei ucchni, so schien es ausgemacht, daß der ehemalige Theolog von Rother, dem Chef der Seehandlung gewonnen sei. Ich will es übrigens uicht als ausgemacht hinstellen, daß so etwas uicht in den Absichten des Redacteurs gelegen habe; er erklärt hin und wieder mit einer gewissen Bitterkeit, daß ihm von Seiten des geachteten Chefs keine Mittheilungen wurden. Aber dergleichen Mittheilungen widersprechen eben dem Wesen des bureaukratischen Staats. Das Lokal des neuen Instituts war mit auffallendem Glanz eingerichtet, selbst für Berlin. Eine Auswahl von Zeitschriften aller Art, gegen welche das damals renommirte Leipziger Museum gar uicht in Betracht kommen konnte, brillante Meubel», etwas zu orientalisch, um das angemessen solide Ansehn zu habe», Damenzimmer mit Goldfischchen und andern Nippes, in welche Julius Schwester die eine oder die andere verirrte ZcitnngSleserin einführte. Sehr bald wurde die Zeitungshalle, was früher Stehely gewesen, der Sammelplatz und die eigentliche Heimath der abstracten Literatur, die in dem Blatt häufig genng aufs Lebhafteste angegriffen wurde. Das Blatt legte es vorzugsweise auf ein reiches Material an. Um auszu- fallen, ersann der erfinderische Geist des Redacteurs täglich neue Rubriken, ^ welche die Masse desselben geschichtet wurde. Bald wurden die Markt- und Börsen¬ berichte zur Seite gedruckt, bald vorn, bald hinten. Diese beständige Unruhe war dem Berliner, der an das konservative System der Vossischen gewöhnt war, u»"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/442>, abgerufen am 15.01.2025.