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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ein zu gut gelegener Ort, um nicht als Stapelplatz aller Neuigkeiten zu dienen,
deren man in Berlin irgend habhaft werden konnte. Die Bureaukratie selbst griff
^gierig uach dem Blatt, weil sie erst daraus erfuhr, was in ihrer unmittelbarsten
Nahe vorging; mancher Geheimerath wurde überrascht, seine geheimsten Gedanken,
die er doch Keinem mitgetheilt zu haben glaubte, hier gedruckt wiederzufinden --
Zuweilen freilich, uoch ehe er sie selber gedacht. Das ging uicht länger, sie wurde
verboten, und Herr Brockhaus fand sich veranlaßt, seinen Redacteur und selbst
den Namen seiner Zeitung fallen zu lassen.

Berlin wurde daher uicht wenig überrascht, als etwa zwei oder drei Jahre
darauf bekannt wurde, daß Herr Julius von der Regierung die Concession zu
einer politischen Zeitung in Berlin und zugleich zur Gründung eines großartigen
Lesccabinets erhalten habe. Wenn man die geringe Neigung des preußischen Gouver¬
nements in Erwägung zog, das Entstehen irgend einer neuen Zeitschrift zuzulassen,
wenn sie nickt lediglich den Ncgiernngsintercsscu gewidmet war, wenn mau sich zugleich
an die kleinen Plänkeleien erinnerte, die Julius in der letzten Zeit auf staatsökonomi-
schen Gebiet mit den Liberalen geführt, so glaubte man sich der Ueberzeugung hin¬
geben zu können, daß es sich hier um eine schimpfliche Apostasie handele, und das,
die neue "Zeitungshalle" -- so genannt von dem Lesekabinet, mit dem sie ver¬
bunden war -- bestimmt sei, eine zweite Auflage des Rheinischen Beobachters
zu bilden. Der neue Redacteur versicherte dagegen, sein Blatt solle ein unpar¬
teiisches sein, bestimmt die durch Parteiwünsche von beiden Seiten verkümmerte
Wahrheit der Thatsachen wieder herzustellen.

Die alten legitimen Zeitungen Berlins -- verdrießlich über die neue Con-
currenz -- und die gesammten Liberalen, die sich an dieselben anreihten, faßten
die Sache mit sittlicher Indignation ans. Rüge in Leipzig erließ einen offenen
Brief an Julins, worin er ihm vorwarf, er habe aus seinem Studium der Je¬
suiten gelernt, in das feindliche Lager -- nicht überzulaufen, sondern sich hin¬
überzuwinden. Ein Angriff, der freilich zum Theil durch eine nicht unbedingt
anerkennende Charakteristik Ruge's hervorgerufen wurde, die Julins in den Grenz¬
boten gegeben hatte.

Wer sich an meine Charakteristik Bruno Bauer's erinnert, wird den Ueber-
gang begreiflich finden. Julius gehörte zu deu "Epigonen" des Radikalismus;
Zu den Idealisten, bei welchen der Kahenjammer den Rausch verdrängt hatte.
In dem zerstrntteu Leipziger Literateuleben beschäftigte er sich mit abstrakter Kritik,
wie seine Berliner Vorbilder: er suchte, mit der bei einem Hegelianer wohl zu
erwartenden dialectischer Gewandheit an den Erscheinungen diejenige Seite auf,
welche dem gewöhnlichen Urtheil entging, weil sie weniger hervortrat -- eine
Lieblingsbeschäftigung der alten Sophisten. So wurde es ihm in seiner, nicht
weit über den Anfang hinausgeführten Geschichte der Jesuiten leicht, nachzuweisen


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ein zu gut gelegener Ort, um nicht als Stapelplatz aller Neuigkeiten zu dienen,
deren man in Berlin irgend habhaft werden konnte. Die Bureaukratie selbst griff
^gierig uach dem Blatt, weil sie erst daraus erfuhr, was in ihrer unmittelbarsten
Nahe vorging; mancher Geheimerath wurde überrascht, seine geheimsten Gedanken,
die er doch Keinem mitgetheilt zu haben glaubte, hier gedruckt wiederzufinden —
Zuweilen freilich, uoch ehe er sie selber gedacht. Das ging uicht länger, sie wurde
verboten, und Herr Brockhaus fand sich veranlaßt, seinen Redacteur und selbst
den Namen seiner Zeitung fallen zu lassen.

Berlin wurde daher uicht wenig überrascht, als etwa zwei oder drei Jahre
darauf bekannt wurde, daß Herr Julius von der Regierung die Concession zu
einer politischen Zeitung in Berlin und zugleich zur Gründung eines großartigen
Lesccabinets erhalten habe. Wenn man die geringe Neigung des preußischen Gouver¬
nements in Erwägung zog, das Entstehen irgend einer neuen Zeitschrift zuzulassen,
wenn sie nickt lediglich den Ncgiernngsintercsscu gewidmet war, wenn mau sich zugleich
an die kleinen Plänkeleien erinnerte, die Julius in der letzten Zeit auf staatsökonomi-
schen Gebiet mit den Liberalen geführt, so glaubte man sich der Ueberzeugung hin¬
geben zu können, daß es sich hier um eine schimpfliche Apostasie handele, und das,
die neue „Zeitungshalle" — so genannt von dem Lesekabinet, mit dem sie ver¬
bunden war — bestimmt sei, eine zweite Auflage des Rheinischen Beobachters
zu bilden. Der neue Redacteur versicherte dagegen, sein Blatt solle ein unpar¬
teiisches sein, bestimmt die durch Parteiwünsche von beiden Seiten verkümmerte
Wahrheit der Thatsachen wieder herzustellen.

Die alten legitimen Zeitungen Berlins — verdrießlich über die neue Con-
currenz — und die gesammten Liberalen, die sich an dieselben anreihten, faßten
die Sache mit sittlicher Indignation ans. Rüge in Leipzig erließ einen offenen
Brief an Julins, worin er ihm vorwarf, er habe aus seinem Studium der Je¬
suiten gelernt, in das feindliche Lager — nicht überzulaufen, sondern sich hin¬
überzuwinden. Ein Angriff, der freilich zum Theil durch eine nicht unbedingt
anerkennende Charakteristik Ruge's hervorgerufen wurde, die Julins in den Grenz¬
boten gegeben hatte.

Wer sich an meine Charakteristik Bruno Bauer's erinnert, wird den Ueber-
gang begreiflich finden. Julius gehörte zu deu „Epigonen" des Radikalismus;
Zu den Idealisten, bei welchen der Kahenjammer den Rausch verdrängt hatte.
In dem zerstrntteu Leipziger Literateuleben beschäftigte er sich mit abstrakter Kritik,
wie seine Berliner Vorbilder: er suchte, mit der bei einem Hegelianer wohl zu
erwartenden dialectischer Gewandheit an den Erscheinungen diejenige Seite auf,
welche dem gewöhnlichen Urtheil entging, weil sie weniger hervortrat — eine
Lieblingsbeschäftigung der alten Sophisten. So wurde es ihm in seiner, nicht
weit über den Anfang hinausgeführten Geschichte der Jesuiten leicht, nachzuweisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/441>, abgerufen am 15.01.2025.