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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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sition war, besaß sie nicht mehr, seitdem sie selber die Zügel des Staats ergriffen.
Zu weit gehende Loyalität in Kirchen- und Staatssachen, wie man sie z. B. in
der evangelischen Kirchenzeitung antraf, waren der Regierung selber höchst unan¬
genehm. Sie war aus ihrem ersten Amtseifer wieder in die verdrießliche Stim¬
mung der dreißiger Jahre zurückgekehrt, sie mochte von Politik überhaupt nichts
mehr reden hören, weder Gutes noch Böses. Sie begnügte sich damit, durch ein
eignes Bureau die falschen Nachrichten der liberalen Blätter berichtigen zu lassen,
uno die mißliebigsten zu verbieten.

Seit dem vereinigten Landtag gewann die Sraatszeitung wieder an Wichtigkeit.
Man war in ganz Deutschland zu neugierig auf die Persönlichkeiten der preußischen
Politik, die bisher in dem Dunkel der PrvviuMlstäude vergraben gewesen, und die
nnn plötzlich an's Licht traten; man war überrascht von der Masse von Freisin-
nigkeit und gefunden Menschenverstand, der sich in ihren Reden aussprach. Dies
übte wieder eine rückwirkende Kraft auf die Verhandlungen der übrigen Kammern
aus; die Staatszeitung wurde nun freigebiger in ihren Mittheilungen aus Deutsch¬
land, und ihrem Beispiel folgten, anfangs schüchtern und vielfach gehemmt, die
übrigen preußische" Blätter. Noch immer ist sie in dieser Beziehung die zuver¬
lässigste und ausführlichste Quelle.

Einen schlimmen Stand hatte sie, als die Revolution ausbrach. Gerade
damals war sie mehr als je ans ihrem Geheimeraths - Schweigen herausgetreten,
und mit ungewöhnlicher Heftigkeit gegen die Vagabunden, die sich in Berlin sam¬
melten, um die Grundvesten des Staats zu unterwühlen, zu Felde gezogen. Un¬
mittelbar nach dem Ausbruch in Wien hatte sie durch die Erklärung, es sei er¬
freulich, daß Oestreich nun anch in die Bahn des Fortschritts eiugeireten sei, die
Preußen schon so lange verfolge, den Ekel aller Gebildeten erregt. Nach dem
l8. Mai fand sich nun der Redacteur., Professor Zinkeisen, zu der Erklärung
veranlaßt, daß jene Artikel nicht von der Redaction ausgingen, sondern unmittel¬
bar vom Ministerium. Ein schlimmeres Geständniß der Furcht, als selbst jenes
Vossische Extrablatt der Freude. Der Rheinische Beobachter fiel anständiger, er
erklärte offen, seine Partei sei besiegt, und darum müsse er aufhören (weil die
Subvention ausblieb). Der Staatsanzeiger hat seit der Zeit, mit Ausnahme
seiner amtlichen Mittheilungen, keinen Versuch gemacht, direct in die Politik ein¬
zugreifen.


4. Die Zeitungshalle.

In den Jahren des neu ausbrechenden Radikalismus war der preußischen
Bureaukratie kein Blatt so lästig, als die Leipziger Allgemeine, besonders seit
ein Junghegelianer und ehemaliger Theolog, Herr Gustav Julius, ihr eine
bestimmtere Richtung gab. Bei den Schwierigkeiten, welche die preußische Censur
jeder Mittheilung über die innern Angelegenheiten in den Weg legte, war Leipzig


sition war, besaß sie nicht mehr, seitdem sie selber die Zügel des Staats ergriffen.
Zu weit gehende Loyalität in Kirchen- und Staatssachen, wie man sie z. B. in
der evangelischen Kirchenzeitung antraf, waren der Regierung selber höchst unan¬
genehm. Sie war aus ihrem ersten Amtseifer wieder in die verdrießliche Stim¬
mung der dreißiger Jahre zurückgekehrt, sie mochte von Politik überhaupt nichts
mehr reden hören, weder Gutes noch Böses. Sie begnügte sich damit, durch ein
eignes Bureau die falschen Nachrichten der liberalen Blätter berichtigen zu lassen,
uno die mißliebigsten zu verbieten.

Seit dem vereinigten Landtag gewann die Sraatszeitung wieder an Wichtigkeit.
Man war in ganz Deutschland zu neugierig auf die Persönlichkeiten der preußischen
Politik, die bisher in dem Dunkel der PrvviuMlstäude vergraben gewesen, und die
nnn plötzlich an's Licht traten; man war überrascht von der Masse von Freisin-
nigkeit und gefunden Menschenverstand, der sich in ihren Reden aussprach. Dies
übte wieder eine rückwirkende Kraft auf die Verhandlungen der übrigen Kammern
aus; die Staatszeitung wurde nun freigebiger in ihren Mittheilungen aus Deutsch¬
land, und ihrem Beispiel folgten, anfangs schüchtern und vielfach gehemmt, die
übrigen preußische» Blätter. Noch immer ist sie in dieser Beziehung die zuver¬
lässigste und ausführlichste Quelle.

Einen schlimmen Stand hatte sie, als die Revolution ausbrach. Gerade
damals war sie mehr als je ans ihrem Geheimeraths - Schweigen herausgetreten,
und mit ungewöhnlicher Heftigkeit gegen die Vagabunden, die sich in Berlin sam¬
melten, um die Grundvesten des Staats zu unterwühlen, zu Felde gezogen. Un¬
mittelbar nach dem Ausbruch in Wien hatte sie durch die Erklärung, es sei er¬
freulich, daß Oestreich nun anch in die Bahn des Fortschritts eiugeireten sei, die
Preußen schon so lange verfolge, den Ekel aller Gebildeten erregt. Nach dem
l8. Mai fand sich nun der Redacteur., Professor Zinkeisen, zu der Erklärung
veranlaßt, daß jene Artikel nicht von der Redaction ausgingen, sondern unmittel¬
bar vom Ministerium. Ein schlimmeres Geständniß der Furcht, als selbst jenes
Vossische Extrablatt der Freude. Der Rheinische Beobachter fiel anständiger, er
erklärte offen, seine Partei sei besiegt, und darum müsse er aufhören (weil die
Subvention ausblieb). Der Staatsanzeiger hat seit der Zeit, mit Ausnahme
seiner amtlichen Mittheilungen, keinen Versuch gemacht, direct in die Politik ein¬
zugreifen.


4. Die Zeitungshalle.

In den Jahren des neu ausbrechenden Radikalismus war der preußischen
Bureaukratie kein Blatt so lästig, als die Leipziger Allgemeine, besonders seit
ein Junghegelianer und ehemaliger Theolog, Herr Gustav Julius, ihr eine
bestimmtere Richtung gab. Bei den Schwierigkeiten, welche die preußische Censur
jeder Mittheilung über die innern Angelegenheiten in den Weg legte, war Leipzig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/440>, abgerufen am 15.01.2025.