Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Interessen, ihre Schwester, die Geheimeräthin a. D. blickt durch ihre etwas trübe Als der Belagerungszustand in Berlin eingeführt wurde, ließ der neue Ge¬ Interessen, ihre Schwester, die Geheimeräthin a. D. blickt durch ihre etwas trübe Als der Belagerungszustand in Berlin eingeführt wurde, ließ der neue Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278947"/> <p xml:id="ID_1408" prev="#ID_1407"> Interessen, ihre Schwester, die Geheimeräthin a. D. blickt durch ihre etwas trübe<lb/> Brille nach dem gesammten Staat. Sie bringt „Nachrichten von Staats- und<lb/> gelehrten Sachen," und gibt allwöchentlich zweimal unter der Rubrik: wissenschaft¬<lb/> liche und Kunstnachrichten Auszüge aus einem beliebigen französischen Katalog.<lb/> Durch ihr Format schloß sie sich schon früher der europäischen Aristokratie der<lb/> Foliozeitungen an, während die Voß dem gemüthlichen Quart treu blieb. Die<lb/> letztere gibt Berlin wie es ist, die Spener vermittelt es mit den Provinzen. Häu¬<lb/> figer als ihre Kollegin treibt sie Astronomie. Selbst in ihrer Kritik der Theater,<lb/> Concerte n. s. w. ist sie ansehnlicher; die Vossische hatte an ihrem Rellstab<lb/> Zwar einen feinen Kunstkenner, der aber seine Wissenschaft mit der Maske des<lb/> Berliner Witzes überdeckte, ihre beiden andern Referenten, Dr. Wöniger und<lb/> Gubitz, gehörten ganz dem Berliner Bewußtsein an. Die Spenersche dagegen<lb/> erfreute sich eines Philosophen. He>r Professor Rötscher aus Bromberg, deV-<lb/> den Aristophanes ans der Idee -> i>iinii hcrausconstrnirt, und über Mimik, Ge-<lb/> stikulcmon u. tgi. mehrere logisch-phänomenologische Abhandlungen verfertigt hatte,<lb/> grub in den Spalten der Spenerschen die absolute Idee in die Birch-Pfeisserschcn<lb/> Stücke hinein. In der Politik war in der Folio eben so wenig eine Redaction<lb/> zu erkennen, als in der Quart; es kamen ein Paar Wochen hintereinander eine<lb/> Reihe leidlich radicaler Artikel, das Publikum geriech in Aufregung, die Behörde<lb/> nahm Notiz davon, und der Geheimerath, dem die Schicksale der Zeitung in der<lb/> Tasche liegen, wurde aufmerksam gemacht, nud siehe da, es folgte ein plötzlicher<lb/> Schuß rother Reaction, der dann wieder, wenn es dem Publikum unbequem<lb/> wurde, der entgegengesetzten Stimmung Platz machte.. Aber die ansehnlichere Zei¬<lb/> tung trieb, wie es einer Diplomatin ziemt, die Inconsequenz weiter, als ihre<lb/> bürgerliche Schwester; sie gab sich zuweilen dazu her, wenn auch mit Unlust, gut<lb/> geschriebene und gründliche Aufsätze aufzunehmen, während in der Bossischen,<lb/> Mochte die Tendenz nun . roth oder schwarzweiß sein, die Eine und untheilbare<lb/> Sudelküche des politischen Kannegießers durchzuschmecken war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1409" next="#ID_1410"> Als der Belagerungszustand in Berlin eingeführt wurde, ließ der neue Ge¬<lb/> bieter die beiden Tanten zu sich kommen. „Meine Damen! ich ehre das schöne<lb/> Geschlecht, und verkeime ihre großen Verdienste um die Bildung unseres Städt¬<lb/> chens keineswegs; aber, versteh» Sie mir! in Ihren Kaffeegesellschaften ist in der<lb/> letzten Zeit zu spitzig über die Negierung gesprochen worden. Sie werden einsehn,<lb/> versteh,, sie mir! daß unter den gegenwärtigen verdrießlichen Umständen das nicht<lb/> so fortgehen kann, versteh» Sie mir!" — „Ja, aber wie sollen wir es denn<lb/> machen? Bitte, setzen Sie uns einen Censor!" — „Wohl, das will ich thun.<lb/> Ich will Ihnen einen Censor setzen, einen Ehrenmann, wenn Sie den nicht an¬<lb/> erkennen, so kann ich die Achtung, welche ick vor Ihnen empfinde, nicht mehr<lb/> bewahren. Dieser brave Mann, dieser Censor soll sein — Ihr eigenes Herz,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Interessen, ihre Schwester, die Geheimeräthin a. D. blickt durch ihre etwas trübe
Brille nach dem gesammten Staat. Sie bringt „Nachrichten von Staats- und
gelehrten Sachen," und gibt allwöchentlich zweimal unter der Rubrik: wissenschaft¬
liche und Kunstnachrichten Auszüge aus einem beliebigen französischen Katalog.
Durch ihr Format schloß sie sich schon früher der europäischen Aristokratie der
Foliozeitungen an, während die Voß dem gemüthlichen Quart treu blieb. Die
letztere gibt Berlin wie es ist, die Spener vermittelt es mit den Provinzen. Häu¬
figer als ihre Kollegin treibt sie Astronomie. Selbst in ihrer Kritik der Theater,
Concerte n. s. w. ist sie ansehnlicher; die Vossische hatte an ihrem Rellstab
Zwar einen feinen Kunstkenner, der aber seine Wissenschaft mit der Maske des
Berliner Witzes überdeckte, ihre beiden andern Referenten, Dr. Wöniger und
Gubitz, gehörten ganz dem Berliner Bewußtsein an. Die Spenersche dagegen
erfreute sich eines Philosophen. He>r Professor Rötscher aus Bromberg, deV-
den Aristophanes ans der Idee -> i>iinii hcrausconstrnirt, und über Mimik, Ge-
stikulcmon u. tgi. mehrere logisch-phänomenologische Abhandlungen verfertigt hatte,
grub in den Spalten der Spenerschen die absolute Idee in die Birch-Pfeisserschcn
Stücke hinein. In der Politik war in der Folio eben so wenig eine Redaction
zu erkennen, als in der Quart; es kamen ein Paar Wochen hintereinander eine
Reihe leidlich radicaler Artikel, das Publikum geriech in Aufregung, die Behörde
nahm Notiz davon, und der Geheimerath, dem die Schicksale der Zeitung in der
Tasche liegen, wurde aufmerksam gemacht, nud siehe da, es folgte ein plötzlicher
Schuß rother Reaction, der dann wieder, wenn es dem Publikum unbequem
wurde, der entgegengesetzten Stimmung Platz machte.. Aber die ansehnlichere Zei¬
tung trieb, wie es einer Diplomatin ziemt, die Inconsequenz weiter, als ihre
bürgerliche Schwester; sie gab sich zuweilen dazu her, wenn auch mit Unlust, gut
geschriebene und gründliche Aufsätze aufzunehmen, während in der Bossischen,
Mochte die Tendenz nun . roth oder schwarzweiß sein, die Eine und untheilbare
Sudelküche des politischen Kannegießers durchzuschmecken war.
Als der Belagerungszustand in Berlin eingeführt wurde, ließ der neue Ge¬
bieter die beiden Tanten zu sich kommen. „Meine Damen! ich ehre das schöne
Geschlecht, und verkeime ihre großen Verdienste um die Bildung unseres Städt¬
chens keineswegs; aber, versteh» Sie mir! in Ihren Kaffeegesellschaften ist in der
letzten Zeit zu spitzig über die Negierung gesprochen worden. Sie werden einsehn,
versteh,, sie mir! daß unter den gegenwärtigen verdrießlichen Umständen das nicht
so fortgehen kann, versteh» Sie mir!" — „Ja, aber wie sollen wir es denn
machen? Bitte, setzen Sie uns einen Censor!" — „Wohl, das will ich thun.
Ich will Ihnen einen Censor setzen, einen Ehrenmann, wenn Sie den nicht an¬
erkennen, so kann ich die Achtung, welche ick vor Ihnen empfinde, nicht mehr
bewahren. Dieser brave Mann, dieser Censor soll sein — Ihr eigenes Herz,
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