Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß auch die Summe der Reinertrage oder productiven Capitalien, welcke
der Landbau zur Vermehrung des Nationalvermögens beisteuert, bei weitem größer
sei, als die entsprechenden Capitalsvermehrungen des Handels und der Industrie,
lehrt ein Blick auf die Vermögensumstände der Menschen fast in allen größten
Theilen unseres Vaterlandes. Und das ist gerade jetzt ein großes Glück. Denn
es ist für das Lebe:: eines Staats keineswegs gleichgiltig, ans welchen Quellen
die productiven Capitalien für neue Unternehmungen zusammen fließen. Der
Grundherr, welcher die jährlichen Ueberschüsse seiner Gntsetnncchmcn anlegt, l^t
als fester, solider Mann eine entschiedene Vorliebe für alle solche Anlagen, welcke
wie der Bodencnltur in einem nahen Zusammenhange stehn, er sieht prüfend auf
das Nützliche und Dauerhafte seiner Speculationen: sichere Eisenbahnen und
Kanäle, Chausseen und Bergwerke in seiner Gegend, oder der Ankauf von Effek¬
ten, bei welchen er weniger anf hohen Zinsfuß, als auf Sicherheit achte, werden
ihn am meisten anziehen. Nicht dieselbe Vorsicht hat der Kaufmann, der Indu¬
strielle, der Händler, welcher Reinertrage außerhalb seines Geschäfts anzulegen
sucht. Die Sucht reich zu werden, lockt zu den abenteuerlichsten Schwindelgeschäf¬
ten, zu jeder Art von gewagten und unsicheren Unternehmungen, die Börsenspekulationen
der letzten zehn Jahre sind ein häßliches Beispiel davon. Liegen die productiven
Capitalien vorzugsweise in den Händen solcher Waghälse, so können die Folgen
davon sehr traurig sein. Erschütterungen des Staatscredits, schmachvolle Kor¬
ruption ganzer Klassen der Gesellschaft, Erbitterung des Volkes gegen die Be¬
sitzenden, Haß gegen das Capital überhaupt und endlich ethische und politische Lehr¬
gebäude, welche deu Staat zu vernichten drohen. Wir haben das Alles in Frank¬
reich erlebt. -- Man ist gewöhnt, der unsittlichen Bestechlichkeit und der Börsen-
gauuerei unter Louis Philipp zu fluchen. Aber er selbst hatte sehr wenig Schuld;
es war ein tödtliches Leiden Frankreichs, welches sich gerade unter seiner ftied-
lichen Regierung offen darlegte, der Umstand, daß das productive Vermögen
Frankreichs vorzugsweise in deu Händen von politischen Aveuturiers und über¬
müthigen Speculanten war, es war der empvrkeimende Wohlstand einer jungen
Industrie, welcher kein genügendes Gegengewicht in dem Vermögen eines starken,
respectablen Grundbesitzes fand; es war der Fluch der alten Revolution, welche
großen Grundbesitz über den Häuser geworfen oder in die Hände von Spe-
culanten gegeben hatte. Die Geschichte Fcaukreichs ist seit Napoleon eine Geschichte
^s Capitals oder productiven Vermögens der französischen Nation, die Schwankungen
und Gefahren, an denen Frankreich leidet, lassen sich aus dem Mangel an großem
Grundbesitz erklären, welcher das Volk in seiner geraden Entwickluugsbahn bestimmen
könnte. Die Gründe, aus denen der große Grundbesitz Frankreichs selbst in den
legenden, wo er noch massenhaft vorhanden ist, wenig für das Gedeihen des
Ackerbaues, noch weniger für die Fortbildung der Nation thun kann, fordern zu
einer Vergleich""", mit Deutschland heraus, für welche hier kein Raum ist. --


53*

Daß auch die Summe der Reinertrage oder productiven Capitalien, welcke
der Landbau zur Vermehrung des Nationalvermögens beisteuert, bei weitem größer
sei, als die entsprechenden Capitalsvermehrungen des Handels und der Industrie,
lehrt ein Blick auf die Vermögensumstände der Menschen fast in allen größten
Theilen unseres Vaterlandes. Und das ist gerade jetzt ein großes Glück. Denn
es ist für das Lebe:: eines Staats keineswegs gleichgiltig, ans welchen Quellen
die productiven Capitalien für neue Unternehmungen zusammen fließen. Der
Grundherr, welcher die jährlichen Ueberschüsse seiner Gntsetnncchmcn anlegt, l^t
als fester, solider Mann eine entschiedene Vorliebe für alle solche Anlagen, welcke
wie der Bodencnltur in einem nahen Zusammenhange stehn, er sieht prüfend auf
das Nützliche und Dauerhafte seiner Speculationen: sichere Eisenbahnen und
Kanäle, Chausseen und Bergwerke in seiner Gegend, oder der Ankauf von Effek¬
ten, bei welchen er weniger anf hohen Zinsfuß, als auf Sicherheit achte, werden
ihn am meisten anziehen. Nicht dieselbe Vorsicht hat der Kaufmann, der Indu¬
strielle, der Händler, welcher Reinertrage außerhalb seines Geschäfts anzulegen
sucht. Die Sucht reich zu werden, lockt zu den abenteuerlichsten Schwindelgeschäf¬
ten, zu jeder Art von gewagten und unsicheren Unternehmungen, die Börsenspekulationen
der letzten zehn Jahre sind ein häßliches Beispiel davon. Liegen die productiven
Capitalien vorzugsweise in den Händen solcher Waghälse, so können die Folgen
davon sehr traurig sein. Erschütterungen des Staatscredits, schmachvolle Kor¬
ruption ganzer Klassen der Gesellschaft, Erbitterung des Volkes gegen die Be¬
sitzenden, Haß gegen das Capital überhaupt und endlich ethische und politische Lehr¬
gebäude, welche deu Staat zu vernichten drohen. Wir haben das Alles in Frank¬
reich erlebt. — Man ist gewöhnt, der unsittlichen Bestechlichkeit und der Börsen-
gauuerei unter Louis Philipp zu fluchen. Aber er selbst hatte sehr wenig Schuld;
es war ein tödtliches Leiden Frankreichs, welches sich gerade unter seiner ftied-
lichen Regierung offen darlegte, der Umstand, daß das productive Vermögen
Frankreichs vorzugsweise in deu Händen von politischen Aveuturiers und über¬
müthigen Speculanten war, es war der empvrkeimende Wohlstand einer jungen
Industrie, welcher kein genügendes Gegengewicht in dem Vermögen eines starken,
respectablen Grundbesitzes fand; es war der Fluch der alten Revolution, welche
großen Grundbesitz über den Häuser geworfen oder in die Hände von Spe-
culanten gegeben hatte. Die Geschichte Fcaukreichs ist seit Napoleon eine Geschichte
^s Capitals oder productiven Vermögens der französischen Nation, die Schwankungen
und Gefahren, an denen Frankreich leidet, lassen sich aus dem Mangel an großem
Grundbesitz erklären, welcher das Volk in seiner geraden Entwickluugsbahn bestimmen
könnte. Die Gründe, aus denen der große Grundbesitz Frankreichs selbst in den
legenden, wo er noch massenhaft vorhanden ist, wenig für das Gedeihen des
Ackerbaues, noch weniger für die Fortbildung der Nation thun kann, fordern zu
einer Vergleich«»«, mit Deutschland heraus, für welche hier kein Raum ist. —


53*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278929"/>
          <p xml:id="ID_1358" next="#ID_1359"> Daß auch die Summe der Reinertrage oder productiven Capitalien, welcke<lb/>
der Landbau zur Vermehrung des Nationalvermögens beisteuert, bei weitem größer<lb/>
sei, als die entsprechenden Capitalsvermehrungen des Handels und der Industrie,<lb/>
lehrt ein Blick auf die Vermögensumstände der Menschen fast in allen größten<lb/>
Theilen unseres Vaterlandes. Und das ist gerade jetzt ein großes Glück. Denn<lb/>
es ist für das Lebe:: eines Staats keineswegs gleichgiltig, ans welchen Quellen<lb/>
die productiven Capitalien für neue Unternehmungen zusammen fließen. Der<lb/>
Grundherr, welcher die jährlichen Ueberschüsse seiner Gntsetnncchmcn anlegt, l^t<lb/>
als fester, solider Mann eine entschiedene Vorliebe für alle solche Anlagen, welcke<lb/>
wie der Bodencnltur in einem nahen Zusammenhange stehn, er sieht prüfend auf<lb/>
das Nützliche und Dauerhafte seiner Speculationen: sichere Eisenbahnen und<lb/>
Kanäle, Chausseen und Bergwerke in seiner Gegend, oder der Ankauf von Effek¬<lb/>
ten, bei welchen er weniger anf hohen Zinsfuß, als auf Sicherheit achte, werden<lb/>
ihn am meisten anziehen. Nicht dieselbe Vorsicht hat der Kaufmann, der Indu¬<lb/>
strielle, der Händler, welcher Reinertrage außerhalb seines Geschäfts anzulegen<lb/>
sucht. Die Sucht reich zu werden, lockt zu den abenteuerlichsten Schwindelgeschäf¬<lb/>
ten, zu jeder Art von gewagten und unsicheren Unternehmungen, die Börsenspekulationen<lb/>
der letzten zehn Jahre sind ein häßliches Beispiel davon. Liegen die productiven<lb/>
Capitalien vorzugsweise in den Händen solcher Waghälse, so können die Folgen<lb/>
davon sehr traurig sein. Erschütterungen des Staatscredits, schmachvolle Kor¬<lb/>
ruption ganzer Klassen der Gesellschaft, Erbitterung des Volkes gegen die Be¬<lb/>
sitzenden, Haß gegen das Capital überhaupt und endlich ethische und politische Lehr¬<lb/>
gebäude, welche deu Staat zu vernichten drohen. Wir haben das Alles in Frank¬<lb/>
reich erlebt. &#x2014; Man ist gewöhnt, der unsittlichen Bestechlichkeit und der Börsen-<lb/>
gauuerei unter Louis Philipp zu fluchen. Aber er selbst hatte sehr wenig Schuld;<lb/>
es war ein tödtliches Leiden Frankreichs, welches sich gerade unter seiner ftied-<lb/>
lichen Regierung offen darlegte, der Umstand, daß das productive Vermögen<lb/>
Frankreichs vorzugsweise in deu Händen von politischen Aveuturiers und über¬<lb/>
müthigen Speculanten war, es war der empvrkeimende Wohlstand einer jungen<lb/>
Industrie, welcher kein genügendes Gegengewicht in dem Vermögen eines starken,<lb/>
respectablen Grundbesitzes fand; es war der Fluch der alten Revolution, welche<lb/>
großen Grundbesitz über den Häuser geworfen oder in die Hände von Spe-<lb/>
culanten gegeben hatte. Die Geschichte Fcaukreichs ist seit Napoleon eine Geschichte<lb/>
^s Capitals oder productiven Vermögens der französischen Nation, die Schwankungen<lb/>
und Gefahren, an denen Frankreich leidet, lassen sich aus dem Mangel an großem<lb/>
Grundbesitz erklären, welcher das Volk in seiner geraden Entwickluugsbahn bestimmen<lb/>
könnte. Die Gründe, aus denen der große Grundbesitz Frankreichs selbst in den<lb/>
legenden, wo er noch massenhaft vorhanden ist, wenig für das Gedeihen des<lb/>
Ackerbaues, noch weniger für die Fortbildung der Nation thun kann, fordern zu<lb/>
einer Vergleich«»«, mit Deutschland heraus, für welche hier kein Raum ist. &#x2014;</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 53*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Daß auch die Summe der Reinertrage oder productiven Capitalien, welcke der Landbau zur Vermehrung des Nationalvermögens beisteuert, bei weitem größer sei, als die entsprechenden Capitalsvermehrungen des Handels und der Industrie, lehrt ein Blick auf die Vermögensumstände der Menschen fast in allen größten Theilen unseres Vaterlandes. Und das ist gerade jetzt ein großes Glück. Denn es ist für das Lebe:: eines Staats keineswegs gleichgiltig, ans welchen Quellen die productiven Capitalien für neue Unternehmungen zusammen fließen. Der Grundherr, welcher die jährlichen Ueberschüsse seiner Gntsetnncchmcn anlegt, l^t als fester, solider Mann eine entschiedene Vorliebe für alle solche Anlagen, welcke wie der Bodencnltur in einem nahen Zusammenhange stehn, er sieht prüfend auf das Nützliche und Dauerhafte seiner Speculationen: sichere Eisenbahnen und Kanäle, Chausseen und Bergwerke in seiner Gegend, oder der Ankauf von Effek¬ ten, bei welchen er weniger anf hohen Zinsfuß, als auf Sicherheit achte, werden ihn am meisten anziehen. Nicht dieselbe Vorsicht hat der Kaufmann, der Indu¬ strielle, der Händler, welcher Reinertrage außerhalb seines Geschäfts anzulegen sucht. Die Sucht reich zu werden, lockt zu den abenteuerlichsten Schwindelgeschäf¬ ten, zu jeder Art von gewagten und unsicheren Unternehmungen, die Börsenspekulationen der letzten zehn Jahre sind ein häßliches Beispiel davon. Liegen die productiven Capitalien vorzugsweise in den Händen solcher Waghälse, so können die Folgen davon sehr traurig sein. Erschütterungen des Staatscredits, schmachvolle Kor¬ ruption ganzer Klassen der Gesellschaft, Erbitterung des Volkes gegen die Be¬ sitzenden, Haß gegen das Capital überhaupt und endlich ethische und politische Lehr¬ gebäude, welche deu Staat zu vernichten drohen. Wir haben das Alles in Frank¬ reich erlebt. — Man ist gewöhnt, der unsittlichen Bestechlichkeit und der Börsen- gauuerei unter Louis Philipp zu fluchen. Aber er selbst hatte sehr wenig Schuld; es war ein tödtliches Leiden Frankreichs, welches sich gerade unter seiner ftied- lichen Regierung offen darlegte, der Umstand, daß das productive Vermögen Frankreichs vorzugsweise in deu Händen von politischen Aveuturiers und über¬ müthigen Speculanten war, es war der empvrkeimende Wohlstand einer jungen Industrie, welcher kein genügendes Gegengewicht in dem Vermögen eines starken, respectablen Grundbesitzes fand; es war der Fluch der alten Revolution, welche großen Grundbesitz über den Häuser geworfen oder in die Hände von Spe- culanten gegeben hatte. Die Geschichte Fcaukreichs ist seit Napoleon eine Geschichte ^s Capitals oder productiven Vermögens der französischen Nation, die Schwankungen und Gefahren, an denen Frankreich leidet, lassen sich aus dem Mangel an großem Grundbesitz erklären, welcher das Volk in seiner geraden Entwickluugsbahn bestimmen könnte. Die Gründe, aus denen der große Grundbesitz Frankreichs selbst in den legenden, wo er noch massenhaft vorhanden ist, wenig für das Gedeihen des Ackerbaues, noch weniger für die Fortbildung der Nation thun kann, fordern zu einer Vergleich«»«, mit Deutschland heraus, für welche hier kein Raum ist. — 53*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/419>, abgerufen am 24.01.2025.