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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Sie sind die Quellen eines ländlichen Proletariats, welches nach zwei, drei Jah¬
ren Mißwachs fürchterlich demoralisirt wird und der größten Noth ausgesetzt ist.
Der nützliche und weitverbreitete Stand der ländlichen Tagearbeiter ohne Grund¬
besitz ist im Ganzen weit besser daran, als diese kleinen Eigenthümer; er ist nicht
an die Scholle gebunden und kann der Arbeit nachziehn, wird auch von dem größeren
Landwirth, wo dieser freie Wahl hat, in der Regel lieber beschäftigt, als jeuer;
denn es ist sicher auf ihn zu rechne", die Lohnarbeit ist seine einzige Thätigkeit,
während der Eigenthümer mit halber Kraft arbeitet, in den schwierigste,, Zeilen
durch seine eigne Wirthschaft in Anspruch genommen wird, und durch diese sehr
häufig an nachlässige und schlechte Arbeit gewöhnt ist. Wenn man ein großes
Gut etwa von 1000 preußischen Morgen in 10 -- 15 Bauergüter theilt, so wird
man zwar die reinen Ueberschüsse des Bodens sehr bedeutend vermindern, und
derselbe Boden, welcher früher 3000 Scheffel Brotfrüchte über den Wirthschafts¬
bedarf erzeugte, wird vielleicht nur noch 1000 abgeben können, und an Mastvieh,
Wolle u. s. w. im Verhältniß noch weniger, aber es werden doch noch da, wo
sonst eine Familie in ansehnlichem Wohlstand und ein Dutzend andere in der
Stellung von Amtmann, Schäffer, Schäfer und Lohnarbeitern lebten, jetzt 10--15
unabhängige Hausstande in beschränkter, aber freier und gesunder Existenz gedei¬
hen können; wenn man aber dasselbe Gut in 50 -- 100 Besitzungen zerschlägt, so
wird der Ueberschußertrag des Bodens fast ganz aufhören, ja die erzeugten Früchte
werden zuweilen nicht mehr hinreiche", das Leben der neuen 50--100 Familien zu er¬
halten, der Acker wird verschlechtert, weil er dieselben für den Haushalt und zum Vieh¬
futter nöthigen Früchte alle Jahre tragen muß, die Baarkosten des Feldbaus aber
werden bedeutend vermehrt, denn wo sonst, als das Gut noch Einheit war,
15 Pflüge mit 30 Zugthieren ausreichten den Acker tüchtig zu bestellen, da wer¬
den jetzt bei 50 Familien 50 Pflüge mit eben so viel Zugthiereu nöthig sein, wo
sonst das Ineinandergreifen der getheilten Arbeit durchschnittlich 40 --5<? Menschen
täglich beschäftigte, dieselben vollständig ernährte und noch einen großen Ueberschuß
an Produkten und einen Reinertrag von dem angelegten Capital gab, da werden
jetzt bei 50 Familien 100 Menschenkräfte, also die doppelte Zahl, unvollständig
beschäftigt sein, alle in dürftiger Existenz und ohne Nutzen für die Gesammtheit. --
Die Kraft des Staates wird durch solchen Grundbesitz uicht vermehrt, außer etwa
da, wo er in die Lage kommt, die persönliche Kraft seiner Bürger in Anspruch
zu nehmen, wie beim Kriegsdienst; wohl aber wird sein Gedeihen dnrch denselben
sehr gefährlich bedroht; denn das ländliche Proletariat der kleinen Stellen hat
viel weniger Interessen, welche es mit dem großen Strom unseres Lebens verbin¬
den, als andere Klassen armer Menschen; in einer isolirten Existenz, ohne dauernde
Verbindung mit irgend einer andern menschlichen Thätigkeit, ohne Hoffnung, ohne
Furcht lebt eS dahin, weniger unglücklich, als der Proletarier der Stadt, weil
es weniger zu beneiden hat; aber auch roher, zügelloser, furchtbarer, wenn es.


Sie sind die Quellen eines ländlichen Proletariats, welches nach zwei, drei Jah¬
ren Mißwachs fürchterlich demoralisirt wird und der größten Noth ausgesetzt ist.
Der nützliche und weitverbreitete Stand der ländlichen Tagearbeiter ohne Grund¬
besitz ist im Ganzen weit besser daran, als diese kleinen Eigenthümer; er ist nicht
an die Scholle gebunden und kann der Arbeit nachziehn, wird auch von dem größeren
Landwirth, wo dieser freie Wahl hat, in der Regel lieber beschäftigt, als jeuer;
denn es ist sicher auf ihn zu rechne», die Lohnarbeit ist seine einzige Thätigkeit,
während der Eigenthümer mit halber Kraft arbeitet, in den schwierigste,, Zeilen
durch seine eigne Wirthschaft in Anspruch genommen wird, und durch diese sehr
häufig an nachlässige und schlechte Arbeit gewöhnt ist. Wenn man ein großes
Gut etwa von 1000 preußischen Morgen in 10 — 15 Bauergüter theilt, so wird
man zwar die reinen Ueberschüsse des Bodens sehr bedeutend vermindern, und
derselbe Boden, welcher früher 3000 Scheffel Brotfrüchte über den Wirthschafts¬
bedarf erzeugte, wird vielleicht nur noch 1000 abgeben können, und an Mastvieh,
Wolle u. s. w. im Verhältniß noch weniger, aber es werden doch noch da, wo
sonst eine Familie in ansehnlichem Wohlstand und ein Dutzend andere in der
Stellung von Amtmann, Schäffer, Schäfer und Lohnarbeitern lebten, jetzt 10—15
unabhängige Hausstande in beschränkter, aber freier und gesunder Existenz gedei¬
hen können; wenn man aber dasselbe Gut in 50 — 100 Besitzungen zerschlägt, so
wird der Ueberschußertrag des Bodens fast ganz aufhören, ja die erzeugten Früchte
werden zuweilen nicht mehr hinreiche», das Leben der neuen 50—100 Familien zu er¬
halten, der Acker wird verschlechtert, weil er dieselben für den Haushalt und zum Vieh¬
futter nöthigen Früchte alle Jahre tragen muß, die Baarkosten des Feldbaus aber
werden bedeutend vermehrt, denn wo sonst, als das Gut noch Einheit war,
15 Pflüge mit 30 Zugthieren ausreichten den Acker tüchtig zu bestellen, da wer¬
den jetzt bei 50 Familien 50 Pflüge mit eben so viel Zugthiereu nöthig sein, wo
sonst das Ineinandergreifen der getheilten Arbeit durchschnittlich 40 —5<? Menschen
täglich beschäftigte, dieselben vollständig ernährte und noch einen großen Ueberschuß
an Produkten und einen Reinertrag von dem angelegten Capital gab, da werden
jetzt bei 50 Familien 100 Menschenkräfte, also die doppelte Zahl, unvollständig
beschäftigt sein, alle in dürftiger Existenz und ohne Nutzen für die Gesammtheit. —
Die Kraft des Staates wird durch solchen Grundbesitz uicht vermehrt, außer etwa
da, wo er in die Lage kommt, die persönliche Kraft seiner Bürger in Anspruch
zu nehmen, wie beim Kriegsdienst; wohl aber wird sein Gedeihen dnrch denselben
sehr gefährlich bedroht; denn das ländliche Proletariat der kleinen Stellen hat
viel weniger Interessen, welche es mit dem großen Strom unseres Lebens verbin¬
den, als andere Klassen armer Menschen; in einer isolirten Existenz, ohne dauernde
Verbindung mit irgend einer andern menschlichen Thätigkeit, ohne Hoffnung, ohne
Furcht lebt eS dahin, weniger unglücklich, als der Proletarier der Stadt, weil
es weniger zu beneiden hat; aber auch roher, zügelloser, furchtbarer, wenn es.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/414>, abgerufen am 15.01.2025.