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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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octroyirte Charte Preußens in Parallele bringt mit diesem Wechselbalg. Jubel
würde das Land durchzieh", hätte das Ministerinni nnr die Hälfte jener freisinni¬
gen Verfassung gegeben, oder wäre nnr irgend eine Garantie für irgend eine
Concession, für irgend ein Recht vorhanden. Dies ist der wundeste Fleck Oest¬
reichs und seiner Neugestaltung. Was liegt darau, ob ein Polizeimann einen
Staatsbürger 48 Stunden verhaften, oder ein Korporal, der richterliche Functionen
ausübt, die Briefpost durchstöbern kann? was liegt daran, daß das Volk durch
mündliche und öffentliche Wahlen der Bestechung preisgegeben und der Senat
durch offene Abstimmung corrumpirt wird? was liegt daran, daß selbst der Schein
von Freiheit durch die spätern Ordonnanzen vernichtet wird? -- Wenig liegt
daran, denn mit einem Ruck stürzt ein solches Ministerium und ein solches System
heute oder morgen über den Haufen. Allein das große Verbrechen, das crimmi Il"esttv
nil^estittis, rexi8 et ponuli, liegt darin, daß die Minister den Glauben und das Ver¬
trauen in den Kaiser und in das kaiserliche Wort total vernichtet haben. Nicht die
Aula und nicht der demokratische Club, nicht der Sicherheitsausschuß und nicht die
"Linke", vermochten die Achtung und die Neigung für den Monarchen zu erschüt¬
tern; Schwarzenberg-Stadion haben erst das monarchische Princip durch ihre
Staatsstreiche der Revolution preisgegeben. Die kaiserlichen Unterschriften vom
16. Mai, 3. und 6. Juni, 19. October und 2. December, welche dem constitui-
renden Reichstag die nnbeirrte Fortsetzung seiner Berathungen garantiren sollten,
sind gebrochen. Diese Minister haben, dem Centrum und den Czechen, wieder¬
holt mündlich, und dem Finanzausschusse bei Ansuchen des Credits von 80 Mill.
auf dessen Verlangen schriftlich zugesagt, daß weder an eine Auflösung noch
Octroyirung gedacht werde, und daß von dem jungen Kaiser die Zusagen des
alten fest gehalten werden.

Die Minister haben nicht blos des Kaisers Wirt und ihr eigenes, sie haben
die Jahrhunderte bestehenden Gesetze (in Ungarn) gebrochen, und gäbe es Gesetz
und Recht im Lande, sie müßten als Hochverräter vor den Schranken stehen.
Gibt es etwa ein Ehrengericht in irgend einem Winkel der civilisirten Welt, wo
der junge Kaiser jeden Verpflichtungen entbunden ist, die Zusagen der Vorfahren
zu halten, weil nicht er sie gegeben, weil er noch keinen Eid geleistet? Auf diesem
Nevolntivnsbvden agirt das jetzige östreichische Ministerium:!

Im Auflösnugsdecrcte läßt das Ministerium! den Kaiser sagen: "Wir beschlos¬
sen, allerdings nicht ohne Bedeuten, ihn (den constituirenden Reichstag) mit
der Fortführung des großen Werkes betraut zu lassen." "Nach mehrmonatlicher
Verhandlung ist das Verfassnngswerk zu keinem Abschlüsse gediehen." -- Wenn
das Ministerium diese Lüge auf eigene Faust gesagt hätte, so konnte man sich be¬
ruhigen ; es ist nicht seine erste und wird nicht die letzte bleiben. Aber dem Kaiser
eine solche Lüge in den Mund zu legen, nennen wir ein Verbrechen. Der Reichs-
t"g war gerade fertig mit dem Entwürfe der Verfassung, und sie war bereits in


octroyirte Charte Preußens in Parallele bringt mit diesem Wechselbalg. Jubel
würde das Land durchzieh», hätte das Ministerinni nnr die Hälfte jener freisinni¬
gen Verfassung gegeben, oder wäre nnr irgend eine Garantie für irgend eine
Concession, für irgend ein Recht vorhanden. Dies ist der wundeste Fleck Oest¬
reichs und seiner Neugestaltung. Was liegt darau, ob ein Polizeimann einen
Staatsbürger 48 Stunden verhaften, oder ein Korporal, der richterliche Functionen
ausübt, die Briefpost durchstöbern kann? was liegt daran, daß das Volk durch
mündliche und öffentliche Wahlen der Bestechung preisgegeben und der Senat
durch offene Abstimmung corrumpirt wird? was liegt daran, daß selbst der Schein
von Freiheit durch die spätern Ordonnanzen vernichtet wird? — Wenig liegt
daran, denn mit einem Ruck stürzt ein solches Ministerium und ein solches System
heute oder morgen über den Haufen. Allein das große Verbrechen, das crimmi Il»esttv
nil^estittis, rexi8 et ponuli, liegt darin, daß die Minister den Glauben und das Ver¬
trauen in den Kaiser und in das kaiserliche Wort total vernichtet haben. Nicht die
Aula und nicht der demokratische Club, nicht der Sicherheitsausschuß und nicht die
„Linke", vermochten die Achtung und die Neigung für den Monarchen zu erschüt¬
tern; Schwarzenberg-Stadion haben erst das monarchische Princip durch ihre
Staatsstreiche der Revolution preisgegeben. Die kaiserlichen Unterschriften vom
16. Mai, 3. und 6. Juni, 19. October und 2. December, welche dem constitui-
renden Reichstag die nnbeirrte Fortsetzung seiner Berathungen garantiren sollten,
sind gebrochen. Diese Minister haben, dem Centrum und den Czechen, wieder¬
holt mündlich, und dem Finanzausschusse bei Ansuchen des Credits von 80 Mill.
auf dessen Verlangen schriftlich zugesagt, daß weder an eine Auflösung noch
Octroyirung gedacht werde, und daß von dem jungen Kaiser die Zusagen des
alten fest gehalten werden.

Die Minister haben nicht blos des Kaisers Wirt und ihr eigenes, sie haben
die Jahrhunderte bestehenden Gesetze (in Ungarn) gebrochen, und gäbe es Gesetz
und Recht im Lande, sie müßten als Hochverräter vor den Schranken stehen.
Gibt es etwa ein Ehrengericht in irgend einem Winkel der civilisirten Welt, wo
der junge Kaiser jeden Verpflichtungen entbunden ist, die Zusagen der Vorfahren
zu halten, weil nicht er sie gegeben, weil er noch keinen Eid geleistet? Auf diesem
Nevolntivnsbvden agirt das jetzige östreichische Ministerium:!

Im Auflösnugsdecrcte läßt das Ministerium! den Kaiser sagen: „Wir beschlos¬
sen, allerdings nicht ohne Bedeuten, ihn (den constituirenden Reichstag) mit
der Fortführung des großen Werkes betraut zu lassen." „Nach mehrmonatlicher
Verhandlung ist das Verfassnngswerk zu keinem Abschlüsse gediehen." — Wenn
das Ministerium diese Lüge auf eigene Faust gesagt hätte, so konnte man sich be¬
ruhigen ; es ist nicht seine erste und wird nicht die letzte bleiben. Aber dem Kaiser
eine solche Lüge in den Mund zu legen, nennen wir ein Verbrechen. Der Reichs-
t"g war gerade fertig mit dem Entwürfe der Verfassung, und sie war bereits in


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[0041] octroyirte Charte Preußens in Parallele bringt mit diesem Wechselbalg. Jubel würde das Land durchzieh», hätte das Ministerinni nnr die Hälfte jener freisinni¬ gen Verfassung gegeben, oder wäre nnr irgend eine Garantie für irgend eine Concession, für irgend ein Recht vorhanden. Dies ist der wundeste Fleck Oest¬ reichs und seiner Neugestaltung. Was liegt darau, ob ein Polizeimann einen Staatsbürger 48 Stunden verhaften, oder ein Korporal, der richterliche Functionen ausübt, die Briefpost durchstöbern kann? was liegt daran, daß das Volk durch mündliche und öffentliche Wahlen der Bestechung preisgegeben und der Senat durch offene Abstimmung corrumpirt wird? was liegt daran, daß selbst der Schein von Freiheit durch die spätern Ordonnanzen vernichtet wird? — Wenig liegt daran, denn mit einem Ruck stürzt ein solches Ministerium und ein solches System heute oder morgen über den Haufen. Allein das große Verbrechen, das crimmi Il»esttv nil^estittis, rexi8 et ponuli, liegt darin, daß die Minister den Glauben und das Ver¬ trauen in den Kaiser und in das kaiserliche Wort total vernichtet haben. Nicht die Aula und nicht der demokratische Club, nicht der Sicherheitsausschuß und nicht die „Linke", vermochten die Achtung und die Neigung für den Monarchen zu erschüt¬ tern; Schwarzenberg-Stadion haben erst das monarchische Princip durch ihre Staatsstreiche der Revolution preisgegeben. Die kaiserlichen Unterschriften vom 16. Mai, 3. und 6. Juni, 19. October und 2. December, welche dem constitui- renden Reichstag die nnbeirrte Fortsetzung seiner Berathungen garantiren sollten, sind gebrochen. Diese Minister haben, dem Centrum und den Czechen, wieder¬ holt mündlich, und dem Finanzausschusse bei Ansuchen des Credits von 80 Mill. auf dessen Verlangen schriftlich zugesagt, daß weder an eine Auflösung noch Octroyirung gedacht werde, und daß von dem jungen Kaiser die Zusagen des alten fest gehalten werden. Die Minister haben nicht blos des Kaisers Wirt und ihr eigenes, sie haben die Jahrhunderte bestehenden Gesetze (in Ungarn) gebrochen, und gäbe es Gesetz und Recht im Lande, sie müßten als Hochverräter vor den Schranken stehen. Gibt es etwa ein Ehrengericht in irgend einem Winkel der civilisirten Welt, wo der junge Kaiser jeden Verpflichtungen entbunden ist, die Zusagen der Vorfahren zu halten, weil nicht er sie gegeben, weil er noch keinen Eid geleistet? Auf diesem Nevolntivnsbvden agirt das jetzige östreichische Ministerium:! Im Auflösnugsdecrcte läßt das Ministerium! den Kaiser sagen: „Wir beschlos¬ sen, allerdings nicht ohne Bedeuten, ihn (den constituirenden Reichstag) mit der Fortführung des großen Werkes betraut zu lassen." „Nach mehrmonatlicher Verhandlung ist das Verfassnngswerk zu keinem Abschlüsse gediehen." — Wenn das Ministerium diese Lüge auf eigene Faust gesagt hätte, so konnte man sich be¬ ruhigen ; es ist nicht seine erste und wird nicht die letzte bleiben. Aber dem Kaiser eine solche Lüge in den Mund zu legen, nennen wir ein Verbrechen. Der Reichs- t"g war gerade fertig mit dem Entwürfe der Verfassung, und sie war bereits in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/41>, abgerufen am 15.01.2025.