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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Zeitlang den Schwerpunkt ihres Lebens verrückte, es war ferner ein kurzsichtiger
und roher Egoismus, welcher den dnrch Abgaben und Lasten beschwerten Bauer
auf eine kurze Zeit mit unserer politischen Propaganda verband. Selbst wo noch
jetzt die demagogische Aufregung unter dem Landvolk wüthet, ist dieser Zustand
eine Krankheit, eine Art ansteckender Wahnsinn, wie sie zu Zeiten in der politi¬
schen Geschichte der Völker erscheinen. Er steht in seltsamer Opposition zu dem
ganzen Gemüth des Landmanns, den er befallen hat, und mau kaun überall bei
Aufständen unseres Landvolks die Beobachtung machen, daß die Reaction ihres
Gemüths gegen solche vorübergehende Trunkenheit eine sehr starke wird.

In Schlesien z. B. war im vorigen Jahre einem geachteten Gutsbesitzer
das Schloß von einer fanatischen Rotte demvlirt worden, bevor noch der Arm
des Gesetzes die Verbrecher erreichen konnte, hatten sich drei derselben aus Schmerz
über ihre That selbst entleibt; an andern Orten haben demvkrcuische Urwähler
ihrem radikalen Vertreter in den Kammern die stärksten Beweise von Mißfallen
gegeben, wenn er es unternahm dieselben Stimmungen zu vertreten, die seine
Wahl veranlaßt hatten n. s. w.

Die Thätigkeit des Landmanns entwickelt sein Seelenleben auf sehr auffallende
Weise; in der Art wie er sich selbst in der Welt empfindet und sein Verhält-
niß zur Außenwelt auffaßt, läßt sich das erkennen. Der Landmann fühlt sich
beständig im Zusammenhange mit dem Leben der Natur und hat täglich Ge¬
legenheit, seine Herrschaft über dies Leben auszuüben. Lebendig ist ihm sein Acker,
dessen eigenthümliche Naturanlagen er erkennt, dessen alte Kraft er als etwas ge-
heimnißvolles respectirt, lebendig ist ihm das Thier, dessen Persönlichkeit er in
seiner Weise studirt und mit Kunst und Wohlwollen beherrscht, lebendig ist ihm
auch die Pflanze seines Ackers, deren Eigenheiten und Lebensbedingungen er sein
ganzes Leben hindurch mit warmem Interesse verfolgt; ein feindliches Leben haben
für ihn auch seine Gegner, die Unkräuter des Feldes, die Käfer und Raupen,
welche seine Saaten eigenmächtig beschädigen. Dieser Umstand, daß er überall als
Herr und Gebieter über Lebendiges anstritt, gibt ihm ein Selbstgefühl und eine Hal¬
tung, deren Formen oft nicht gefällig sind, aber anch den niedrigsten Handarbei¬
ter des Feldes sehr vorteilhaft von dem Fabrikarbeiter unterscheiden. Der Knecht
welcher mit seinem Gespann die Pflugfurche zieht, wie trotzig stemmt er die Last
seines Körpers gegen den Pflug, mit welchem Herrengefühl schwingt er in kühnem
Bogen die Peitsche gegen seine Rosse; der Schäfer unter seiner Heerde stützt sich
Mit dem Stolz eines Weisen auf seinen eisenbeschlagenen Stab und lenkt in un¬
erschütterlicher Kraft durch kurze Befehle an seinen Hund das gemeinsame Volk
seiner wolligen Freunde, deren Physiognomien er mit derselben Würde erkennt,
wie der Professor die Gesichter seiner fleißigen Zuhörer. -- Dieses Selbstgefühl
wird dadurch vermehrt, daß der Landmann mit den meisten Thätigkeiten des prak¬
tischen Lebens bekannt werden muß und viele derselben als Nebenwerk auszuüben


Zeitlang den Schwerpunkt ihres Lebens verrückte, es war ferner ein kurzsichtiger
und roher Egoismus, welcher den dnrch Abgaben und Lasten beschwerten Bauer
auf eine kurze Zeit mit unserer politischen Propaganda verband. Selbst wo noch
jetzt die demagogische Aufregung unter dem Landvolk wüthet, ist dieser Zustand
eine Krankheit, eine Art ansteckender Wahnsinn, wie sie zu Zeiten in der politi¬
schen Geschichte der Völker erscheinen. Er steht in seltsamer Opposition zu dem
ganzen Gemüth des Landmanns, den er befallen hat, und mau kaun überall bei
Aufständen unseres Landvolks die Beobachtung machen, daß die Reaction ihres
Gemüths gegen solche vorübergehende Trunkenheit eine sehr starke wird.

In Schlesien z. B. war im vorigen Jahre einem geachteten Gutsbesitzer
das Schloß von einer fanatischen Rotte demvlirt worden, bevor noch der Arm
des Gesetzes die Verbrecher erreichen konnte, hatten sich drei derselben aus Schmerz
über ihre That selbst entleibt; an andern Orten haben demvkrcuische Urwähler
ihrem radikalen Vertreter in den Kammern die stärksten Beweise von Mißfallen
gegeben, wenn er es unternahm dieselben Stimmungen zu vertreten, die seine
Wahl veranlaßt hatten n. s. w.

Die Thätigkeit des Landmanns entwickelt sein Seelenleben auf sehr auffallende
Weise; in der Art wie er sich selbst in der Welt empfindet und sein Verhält-
niß zur Außenwelt auffaßt, läßt sich das erkennen. Der Landmann fühlt sich
beständig im Zusammenhange mit dem Leben der Natur und hat täglich Ge¬
legenheit, seine Herrschaft über dies Leben auszuüben. Lebendig ist ihm sein Acker,
dessen eigenthümliche Naturanlagen er erkennt, dessen alte Kraft er als etwas ge-
heimnißvolles respectirt, lebendig ist ihm das Thier, dessen Persönlichkeit er in
seiner Weise studirt und mit Kunst und Wohlwollen beherrscht, lebendig ist ihm
auch die Pflanze seines Ackers, deren Eigenheiten und Lebensbedingungen er sein
ganzes Leben hindurch mit warmem Interesse verfolgt; ein feindliches Leben haben
für ihn auch seine Gegner, die Unkräuter des Feldes, die Käfer und Raupen,
welche seine Saaten eigenmächtig beschädigen. Dieser Umstand, daß er überall als
Herr und Gebieter über Lebendiges anstritt, gibt ihm ein Selbstgefühl und eine Hal¬
tung, deren Formen oft nicht gefällig sind, aber anch den niedrigsten Handarbei¬
ter des Feldes sehr vorteilhaft von dem Fabrikarbeiter unterscheiden. Der Knecht
welcher mit seinem Gespann die Pflugfurche zieht, wie trotzig stemmt er die Last
seines Körpers gegen den Pflug, mit welchem Herrengefühl schwingt er in kühnem
Bogen die Peitsche gegen seine Rosse; der Schäfer unter seiner Heerde stützt sich
Mit dem Stolz eines Weisen auf seinen eisenbeschlagenen Stab und lenkt in un¬
erschütterlicher Kraft durch kurze Befehle an seinen Hund das gemeinsame Volk
seiner wolligen Freunde, deren Physiognomien er mit derselben Würde erkennt,
wie der Professor die Gesichter seiner fleißigen Zuhörer. — Dieses Selbstgefühl
wird dadurch vermehrt, daß der Landmann mit den meisten Thätigkeiten des prak¬
tischen Lebens bekannt werden muß und viele derselben als Nebenwerk auszuüben


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[0407] Zeitlang den Schwerpunkt ihres Lebens verrückte, es war ferner ein kurzsichtiger und roher Egoismus, welcher den dnrch Abgaben und Lasten beschwerten Bauer auf eine kurze Zeit mit unserer politischen Propaganda verband. Selbst wo noch jetzt die demagogische Aufregung unter dem Landvolk wüthet, ist dieser Zustand eine Krankheit, eine Art ansteckender Wahnsinn, wie sie zu Zeiten in der politi¬ schen Geschichte der Völker erscheinen. Er steht in seltsamer Opposition zu dem ganzen Gemüth des Landmanns, den er befallen hat, und mau kaun überall bei Aufständen unseres Landvolks die Beobachtung machen, daß die Reaction ihres Gemüths gegen solche vorübergehende Trunkenheit eine sehr starke wird. In Schlesien z. B. war im vorigen Jahre einem geachteten Gutsbesitzer das Schloß von einer fanatischen Rotte demvlirt worden, bevor noch der Arm des Gesetzes die Verbrecher erreichen konnte, hatten sich drei derselben aus Schmerz über ihre That selbst entleibt; an andern Orten haben demvkrcuische Urwähler ihrem radikalen Vertreter in den Kammern die stärksten Beweise von Mißfallen gegeben, wenn er es unternahm dieselben Stimmungen zu vertreten, die seine Wahl veranlaßt hatten n. s. w. Die Thätigkeit des Landmanns entwickelt sein Seelenleben auf sehr auffallende Weise; in der Art wie er sich selbst in der Welt empfindet und sein Verhält- niß zur Außenwelt auffaßt, läßt sich das erkennen. Der Landmann fühlt sich beständig im Zusammenhange mit dem Leben der Natur und hat täglich Ge¬ legenheit, seine Herrschaft über dies Leben auszuüben. Lebendig ist ihm sein Acker, dessen eigenthümliche Naturanlagen er erkennt, dessen alte Kraft er als etwas ge- heimnißvolles respectirt, lebendig ist ihm das Thier, dessen Persönlichkeit er in seiner Weise studirt und mit Kunst und Wohlwollen beherrscht, lebendig ist ihm auch die Pflanze seines Ackers, deren Eigenheiten und Lebensbedingungen er sein ganzes Leben hindurch mit warmem Interesse verfolgt; ein feindliches Leben haben für ihn auch seine Gegner, die Unkräuter des Feldes, die Käfer und Raupen, welche seine Saaten eigenmächtig beschädigen. Dieser Umstand, daß er überall als Herr und Gebieter über Lebendiges anstritt, gibt ihm ein Selbstgefühl und eine Hal¬ tung, deren Formen oft nicht gefällig sind, aber anch den niedrigsten Handarbei¬ ter des Feldes sehr vorteilhaft von dem Fabrikarbeiter unterscheiden. Der Knecht welcher mit seinem Gespann die Pflugfurche zieht, wie trotzig stemmt er die Last seines Körpers gegen den Pflug, mit welchem Herrengefühl schwingt er in kühnem Bogen die Peitsche gegen seine Rosse; der Schäfer unter seiner Heerde stützt sich Mit dem Stolz eines Weisen auf seinen eisenbeschlagenen Stab und lenkt in un¬ erschütterlicher Kraft durch kurze Befehle an seinen Hund das gemeinsame Volk seiner wolligen Freunde, deren Physiognomien er mit derselben Würde erkennt, wie der Professor die Gesichter seiner fleißigen Zuhörer. — Dieses Selbstgefühl wird dadurch vermehrt, daß der Landmann mit den meisten Thätigkeiten des prak¬ tischen Lebens bekannt werden muß und viele derselben als Nebenwerk auszuüben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/407>, abgerufen am 15.01.2025.