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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Die Frage, ob die liberale Partei nach diesen Prämissen sich überhaupt an
den Wahlen betheiligen soll, ist daher wohl auszuwerfen. Ich selber trage kein
Bedenken, sie mit Ja zu beantworten. Auch diese Verfassung ist eine Waffe,
welche die Regierung der liberalen Partei in die Hand gibt, sie zu bekämpfen.
Für den Augenblick haben die Liberalen keine andere. Sie sollen daher wählen,
und ohne Vorbehalt: denn bei dieser Art von Verfassung, wo die Negierung sich
in jedem Augenblick das Recht vindicirt, nach Gutdünken Abänderungen zu treffen,
versteht es sich ganz von selbst, daß ihren Gegnern dasselbe Recht zusteht, sobald
sie die Macht haben werden. Die Verfassung ist nichts als eine Einigung über
den Boden, auf welchem man vorläufig den Kampf führen will.

In diesem Sinn nehmen wir Act von folgender Erklärung der Deutschen
Reform. "Die Octroyirung des Wahlgesetzes wäre und bliebe eine Verletzung
der Verfassung, wenn diese Verfassung der formellen Anerkennung beider
Kammern ungeachtet sich nicht im Angenblick ihres Erscheinens durch ihr
Wahlgesetz selbst wieder aufgehoben hätte. (!) Staat und Demokratie sind
Gegensätze, die einander unbedingt ausschließen. Die Verfas¬
sung vom 5. December war nicht im Stande, den Staat zu retten,
denn sie heiligte in trauriger Verblendung (bedankt euch, ihr Excellenzen!) den
ersten Grundsatz der Demokratie, die Auflösung des staatlichen, d. h. nach dem
Unterschiede der gesellschaftlichen, materiellen (lange Beine und dicke Arme) und
geistigen Kräfte gegliederten Volks in die unterschiedslose, Kopf an Kopf gezählte
Masse. Das Wahlgesetz der Verfassung vom 5. December war demokratisch und
hob somit den Staat seinem Begriffe nach auf. -- Einer Partei gegenüber, welche
kein Mittel des Verrctthes und der Lüge scheut u. s. w., sollte die Krone durch
einen Artikel der Verfassung sich gezwungen glauben, ruhig zuzu¬
schauen, wie der Staat ans die verfassungsmäßigste Weise ruinirt wurde? Niin-
wermehr! Die Feinde des Vaterlandes sind außer dem Gesetz, und in dieser
staatlichen Rechtlosigkeit der Demokratie liegt das Recht des den Staat re-
präsei,tirenden Ministeriums (!!), der Demokratie und ihren begriffsloscn
Massen die auf dem alten Wahlgesetz beruhende Alleinherrschaft um jeden Preis
ZU entreißen. -- Die heutige formelle Verletzung der Verfassung ist nichts als
eine nothwendige Folge ihrer materielle", durch das Wahlgesetz bedingten Wesen-
losigkeit. Die Aushebung war die erste Bedingung für die Möglichkeit der
Herstellung eines wirklichen Rechtszustandes durch Ausmerzung der Demokratie
ans dem staatlichen Leben und Verweisung derselben an die Stelle, an welcher sie
einzig berechtigt ist, auf die Barrikade."

Einer Partei, welche kein Mittel des Verraths und der Lüge scheut -- muß
die Alleinherrschaft um jeden Preis entrissen werden. Um jeden Preis!




Die Frage, ob die liberale Partei nach diesen Prämissen sich überhaupt an
den Wahlen betheiligen soll, ist daher wohl auszuwerfen. Ich selber trage kein
Bedenken, sie mit Ja zu beantworten. Auch diese Verfassung ist eine Waffe,
welche die Regierung der liberalen Partei in die Hand gibt, sie zu bekämpfen.
Für den Augenblick haben die Liberalen keine andere. Sie sollen daher wählen,
und ohne Vorbehalt: denn bei dieser Art von Verfassung, wo die Negierung sich
in jedem Augenblick das Recht vindicirt, nach Gutdünken Abänderungen zu treffen,
versteht es sich ganz von selbst, daß ihren Gegnern dasselbe Recht zusteht, sobald
sie die Macht haben werden. Die Verfassung ist nichts als eine Einigung über
den Boden, auf welchem man vorläufig den Kampf führen will.

In diesem Sinn nehmen wir Act von folgender Erklärung der Deutschen
Reform. „Die Octroyirung des Wahlgesetzes wäre und bliebe eine Verletzung
der Verfassung, wenn diese Verfassung der formellen Anerkennung beider
Kammern ungeachtet sich nicht im Angenblick ihres Erscheinens durch ihr
Wahlgesetz selbst wieder aufgehoben hätte. (!) Staat und Demokratie sind
Gegensätze, die einander unbedingt ausschließen. Die Verfas¬
sung vom 5. December war nicht im Stande, den Staat zu retten,
denn sie heiligte in trauriger Verblendung (bedankt euch, ihr Excellenzen!) den
ersten Grundsatz der Demokratie, die Auflösung des staatlichen, d. h. nach dem
Unterschiede der gesellschaftlichen, materiellen (lange Beine und dicke Arme) und
geistigen Kräfte gegliederten Volks in die unterschiedslose, Kopf an Kopf gezählte
Masse. Das Wahlgesetz der Verfassung vom 5. December war demokratisch und
hob somit den Staat seinem Begriffe nach auf. — Einer Partei gegenüber, welche
kein Mittel des Verrctthes und der Lüge scheut u. s. w., sollte die Krone durch
einen Artikel der Verfassung sich gezwungen glauben, ruhig zuzu¬
schauen, wie der Staat ans die verfassungsmäßigste Weise ruinirt wurde? Niin-
wermehr! Die Feinde des Vaterlandes sind außer dem Gesetz, und in dieser
staatlichen Rechtlosigkeit der Demokratie liegt das Recht des den Staat re-
präsei,tirenden Ministeriums (!!), der Demokratie und ihren begriffsloscn
Massen die auf dem alten Wahlgesetz beruhende Alleinherrschaft um jeden Preis
ZU entreißen. — Die heutige formelle Verletzung der Verfassung ist nichts als
eine nothwendige Folge ihrer materielle», durch das Wahlgesetz bedingten Wesen-
losigkeit. Die Aushebung war die erste Bedingung für die Möglichkeit der
Herstellung eines wirklichen Rechtszustandes durch Ausmerzung der Demokratie
ans dem staatlichen Leben und Verweisung derselben an die Stelle, an welcher sie
einzig berechtigt ist, auf die Barrikade."

Einer Partei, welche kein Mittel des Verraths und der Lüge scheut — muß
die Alleinherrschaft um jeden Preis entrissen werden. Um jeden Preis!




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[0399] Die Frage, ob die liberale Partei nach diesen Prämissen sich überhaupt an den Wahlen betheiligen soll, ist daher wohl auszuwerfen. Ich selber trage kein Bedenken, sie mit Ja zu beantworten. Auch diese Verfassung ist eine Waffe, welche die Regierung der liberalen Partei in die Hand gibt, sie zu bekämpfen. Für den Augenblick haben die Liberalen keine andere. Sie sollen daher wählen, und ohne Vorbehalt: denn bei dieser Art von Verfassung, wo die Negierung sich in jedem Augenblick das Recht vindicirt, nach Gutdünken Abänderungen zu treffen, versteht es sich ganz von selbst, daß ihren Gegnern dasselbe Recht zusteht, sobald sie die Macht haben werden. Die Verfassung ist nichts als eine Einigung über den Boden, auf welchem man vorläufig den Kampf führen will. In diesem Sinn nehmen wir Act von folgender Erklärung der Deutschen Reform. „Die Octroyirung des Wahlgesetzes wäre und bliebe eine Verletzung der Verfassung, wenn diese Verfassung der formellen Anerkennung beider Kammern ungeachtet sich nicht im Angenblick ihres Erscheinens durch ihr Wahlgesetz selbst wieder aufgehoben hätte. (!) Staat und Demokratie sind Gegensätze, die einander unbedingt ausschließen. Die Verfas¬ sung vom 5. December war nicht im Stande, den Staat zu retten, denn sie heiligte in trauriger Verblendung (bedankt euch, ihr Excellenzen!) den ersten Grundsatz der Demokratie, die Auflösung des staatlichen, d. h. nach dem Unterschiede der gesellschaftlichen, materiellen (lange Beine und dicke Arme) und geistigen Kräfte gegliederten Volks in die unterschiedslose, Kopf an Kopf gezählte Masse. Das Wahlgesetz der Verfassung vom 5. December war demokratisch und hob somit den Staat seinem Begriffe nach auf. — Einer Partei gegenüber, welche kein Mittel des Verrctthes und der Lüge scheut u. s. w., sollte die Krone durch einen Artikel der Verfassung sich gezwungen glauben, ruhig zuzu¬ schauen, wie der Staat ans die verfassungsmäßigste Weise ruinirt wurde? Niin- wermehr! Die Feinde des Vaterlandes sind außer dem Gesetz, und in dieser staatlichen Rechtlosigkeit der Demokratie liegt das Recht des den Staat re- präsei,tirenden Ministeriums (!!), der Demokratie und ihren begriffsloscn Massen die auf dem alten Wahlgesetz beruhende Alleinherrschaft um jeden Preis ZU entreißen. — Die heutige formelle Verletzung der Verfassung ist nichts als eine nothwendige Folge ihrer materielle», durch das Wahlgesetz bedingten Wesen- losigkeit. Die Aushebung war die erste Bedingung für die Möglichkeit der Herstellung eines wirklichen Rechtszustandes durch Ausmerzung der Demokratie ans dem staatlichen Leben und Verweisung derselben an die Stelle, an welcher sie einzig berechtigt ist, auf die Barrikade." Einer Partei, welche kein Mittel des Verraths und der Lüge scheut — muß die Alleinherrschaft um jeden Preis entrissen werden. Um jeden Preis!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/399>, abgerufen am 15.01.2025.