Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.die Nothwendigkeit, in die jeder Einzelne sich versetzt sieht, für seine Stimme auch Allein es kommt darauf auch gar nicht an. Niemand wird bestreiten können, Durch diese Veränderung -- die beiläufig auch die übrigen constitutionellen Der Hauptgrund dieses Hinausschiebcns ist der, daß bei der jetzt herr¬ Die Regierung hat also gezeigt, daß die von ihr selbst verliehene Verfassung die Nothwendigkeit, in die jeder Einzelne sich versetzt sieht, für seine Stimme auch Allein es kommt darauf auch gar nicht an. Niemand wird bestreiten können, Durch diese Veränderung — die beiläufig auch die übrigen constitutionellen Der Hauptgrund dieses Hinausschiebcns ist der, daß bei der jetzt herr¬ Die Regierung hat also gezeigt, daß die von ihr selbst verliehene Verfassung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278908"/> <p xml:id="ID_1286" prev="#ID_1285"> die Nothwendigkeit, in die jeder Einzelne sich versetzt sieht, für seine Stimme auch<lb/> mit seiner Ehre einzustehn. Bei den heimlichen Wahlen fällt der Einfluß den<lb/> Demokraten zu, der noch gefährlicher ist, weil er auf unsittlicheren Motiven ba-<lb/> sirt. — Der Wahlmodus hat den Nachtheil, daß er schwer zu handhaben ist,<lb/> und daß er eine große Zahl veranlassen wird, sich bei der Wahl nicht zu bethei-<lb/> ligen; er beruht ferner auf einer falschen Anwendung des richtigen Grundsatzes,<lb/> daß die Rechte den Leistungen entsprechen müssen. Denn nicht allein durch die<lb/> Steuer betheiligt sich der Bürger am Staat: er ist ihm unter andern mit seinem<lb/> Leben verpflichtet, und diese Verpflichtung ist in Preuße» für Alle gleich. Außer¬<lb/> dem ist es, da der Reichthum schon ausschließlich die erste Kammer zusammensetzt,<lb/> eine schreiende Ungerechtigkeit, seinem Einfluß auch die zweite zu unterwerfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1287"> Allein es kommt darauf auch gar nicht an. Niemand wird bestreiten können,<lb/> daß mit jenem Wahluwdus eine sehr bedeutende materielle Veränderung in der<lb/> Verfassung eingetreten ist, denn nicht allein die den Kammern zugeschriebenen Rechte,<lb/> sondern auch ihre Zusammensetzung bildet die Grundlage derselben. Zu einem<lb/> solchen Eingriffe halte die Regierung kein Recht, und selbst in dem Falle, daß<lb/> er in allen Punkten eine Verbesserung enthielte, wäre der Nachtheil, der durch<lb/> die Verdrehung des öffentlichen Nechttgesühls entsteht, viel größer. Denn jede<lb/> Willkür ruft die entgegengesetzte hervor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288"> Durch diese Veränderung — die beiläufig auch die übrigen constitutionellen<lb/> Staaten, welche sich dem neuen Bunde anschließen, bedroht — wird auch die zweite<lb/> Verletzung der Verfassung erschwert: das Hinausschieben des Eiuberufungstermins<lb/> auf sechs Wochen. Denn die Kammern, von welchen die Regierung eine Indem-<lb/> nitätsbill zu fordern hat, sind nicht die alten, verfassungsmäßigen mehr, es ist<lb/> ein neues Institut, das zur Entscheidung einer solchen Rechtsfrage incompe-<lb/> tent ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> Der Hauptgrund dieses Hinausschiebcns ist der, daß bei der jetzt herr¬<lb/> schenden Stimmung die Regierung auf mißliebige Wahlen zu rechnen hat, trotz<lb/> ihrer Kunststücke. Das ist ganz richtig, aber das will bedacht sein, ehe man eine<lb/> Kammer auflöst. Eine Auflösung ist nur dann berechtigt, wenn man auf eine<lb/> günstigere Wendung der Wahlen rechnen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Die Regierung hat also gezeigt, daß die von ihr selbst verliehene Verfassung<lb/> für sie nicht verbindlich ist. Sie hat sich eben so wenig über den Umfang der<lb/> Rechte ausgesprochen, den sie den neuen Kammern zugesteht. Ich will nur zwee<lb/> Punkte hervorheben. Sollen sie das Recht haben, die Verfassung zu revidiren,<lb/> wozu eigentlich nur die alten Kammer» einberufen waren? Ferner, wird man<lb/> ihnen eben so, wie es der König von Sachsen seine» Stände» verheißen hat, den<lb/> Entwurf der Reichsverfassung zur Genehmigung vorlegen? Und wird das Votum<lb/> derselben von irgend einem Einfluß auf die Entschlüsse der Regierung sein? Es<lb/> ist daraus kaum zu rechnen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
die Nothwendigkeit, in die jeder Einzelne sich versetzt sieht, für seine Stimme auch
mit seiner Ehre einzustehn. Bei den heimlichen Wahlen fällt der Einfluß den
Demokraten zu, der noch gefährlicher ist, weil er auf unsittlicheren Motiven ba-
sirt. — Der Wahlmodus hat den Nachtheil, daß er schwer zu handhaben ist,
und daß er eine große Zahl veranlassen wird, sich bei der Wahl nicht zu bethei-
ligen; er beruht ferner auf einer falschen Anwendung des richtigen Grundsatzes,
daß die Rechte den Leistungen entsprechen müssen. Denn nicht allein durch die
Steuer betheiligt sich der Bürger am Staat: er ist ihm unter andern mit seinem
Leben verpflichtet, und diese Verpflichtung ist in Preuße» für Alle gleich. Außer¬
dem ist es, da der Reichthum schon ausschließlich die erste Kammer zusammensetzt,
eine schreiende Ungerechtigkeit, seinem Einfluß auch die zweite zu unterwerfen.
Allein es kommt darauf auch gar nicht an. Niemand wird bestreiten können,
daß mit jenem Wahluwdus eine sehr bedeutende materielle Veränderung in der
Verfassung eingetreten ist, denn nicht allein die den Kammern zugeschriebenen Rechte,
sondern auch ihre Zusammensetzung bildet die Grundlage derselben. Zu einem
solchen Eingriffe halte die Regierung kein Recht, und selbst in dem Falle, daß
er in allen Punkten eine Verbesserung enthielte, wäre der Nachtheil, der durch
die Verdrehung des öffentlichen Nechttgesühls entsteht, viel größer. Denn jede
Willkür ruft die entgegengesetzte hervor.
Durch diese Veränderung — die beiläufig auch die übrigen constitutionellen
Staaten, welche sich dem neuen Bunde anschließen, bedroht — wird auch die zweite
Verletzung der Verfassung erschwert: das Hinausschieben des Eiuberufungstermins
auf sechs Wochen. Denn die Kammern, von welchen die Regierung eine Indem-
nitätsbill zu fordern hat, sind nicht die alten, verfassungsmäßigen mehr, es ist
ein neues Institut, das zur Entscheidung einer solchen Rechtsfrage incompe-
tent ist.
Der Hauptgrund dieses Hinausschiebcns ist der, daß bei der jetzt herr¬
schenden Stimmung die Regierung auf mißliebige Wahlen zu rechnen hat, trotz
ihrer Kunststücke. Das ist ganz richtig, aber das will bedacht sein, ehe man eine
Kammer auflöst. Eine Auflösung ist nur dann berechtigt, wenn man auf eine
günstigere Wendung der Wahlen rechnen kann.
Die Regierung hat also gezeigt, daß die von ihr selbst verliehene Verfassung
für sie nicht verbindlich ist. Sie hat sich eben so wenig über den Umfang der
Rechte ausgesprochen, den sie den neuen Kammern zugesteht. Ich will nur zwee
Punkte hervorheben. Sollen sie das Recht haben, die Verfassung zu revidiren,
wozu eigentlich nur die alten Kammer» einberufen waren? Ferner, wird man
ihnen eben so, wie es der König von Sachsen seine» Stände» verheißen hat, den
Entwurf der Reichsverfassung zur Genehmigung vorlegen? Und wird das Votum
derselben von irgend einem Einfluß auf die Entschlüsse der Regierung sein? Es
ist daraus kaum zu rechnen.
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