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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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freilich nur auf Grund der bereits vollzogenen Verfassung sich versammeln kön¬
nen -- vereinbart werden. Da" klingt volksthümlicher als es ist. Das Beispiel
der Verfassmig vom 5. December, liegt zu nahe. Damals erklärte man auch, man
wolle die octroyirte Konstitution nicht eher für rechtsgiltig erklären, als bis sie
von den Ständen revidirt wäre. Die Kammern nahmen sie in der Adresse r>u>v
an, und wurden darauf zum Dank, weil sie in anderer Beziehung der Negierung
unbequem wurden, nach Hause geschickt und die Verfassung selbst nach Gutdünken
geändert. Med der neu zu berufenden deutscheu Constituante würde man es
wahrscheinlich eben so machen.

Das ist nämlich die zweite Thatsache, welche hier in Betracht kommt, die
Verletzung der preußischen Verfassung in zwei wichtigen Punkten: einmal daS
Hinausschieben der Ständeversammlung weit über den gesetzlichen Termin (vom
26. Juni auf den 7. August), sodann die eigenmächtige Veränderung des Wahl¬
gesetzes. Das erste ist ein temporärer Eingriff, für welche" die Regierung, wenn
sie ihn gehörig begründet, von den Kammern eine Jndemnitätsbill fordern darf;
das zweite aber ist eine organische Rechtsverletzung, welche durch nichts wieder
gut gemacht werden kann. Es ist eine zweite Auflage der Juliordonnanzen.

Unter diesen Umständen sind folgende Fragen zu erwägen.

Einmal. Wie denkt sich Preußen das bestehende Rechtsverhältniß? und
zwar zum Reich und zum preußischen Volk?

Zweitens. Wie denkt sich Preußen die Rechtsverhältnisse, welche durch die
Begründung seines separat - Bundesstaats in beiden Beziehungen erwachsen
sollen?




Was zunächst die Auffassung der bestehenden Rechtsverhältnisse zum Reich
oder zum deutschen Bunde betrifft, so liegt darin mancher Widerspruch.

Nachträglich erfahren wir aus der Deutschen Zeitung, daß bereits unter dem
18. Mai der preußische Bevollmächtigte in Frankfurt, v. Kamptz, dahin instruirt
wurde, der Centralgewalt die Eröffnung zu machen, sie sei nicht mehr competent,
die Verhandlungen mit dem Ausland -- hier zunächst mit Dänemark >-- weiter
zu führen. Denn da sie nur durch ihre verantwortlichen Minister regieren könne,
so höre ihre Negierungsthätigkeit auf mit der Auflösung des Parlaments, dein
sie verantwortlich gewesen. Demnach werde Preußen selber die Verhandlungen
in die Hand nehmen. Zugleich sei der Reichsverweser aufgefordert worden, seine
förderhin unhaltbare Stellung aufzugeben.

Wir vernehmen ferner, daß am 24. Mai der Reichsverweser gegen diese IN"
sinuatiou und gegen den beabsichtigten "Bundesbruch" Preußens einen energischen
Protest eingelegt hat, contrasignirt von seinen Ministerpräsidenten: zwar sei er
schon längst Willens gewesen, abzudanken, aber "keine Macht ans Erden" solle
ihn zwingen, diesen Schritt früher zu thun, als er es für angemessen hielte.


freilich nur auf Grund der bereits vollzogenen Verfassung sich versammeln kön¬
nen — vereinbart werden. Da« klingt volksthümlicher als es ist. Das Beispiel
der Verfassmig vom 5. December, liegt zu nahe. Damals erklärte man auch, man
wolle die octroyirte Konstitution nicht eher für rechtsgiltig erklären, als bis sie
von den Ständen revidirt wäre. Die Kammern nahmen sie in der Adresse r>u>v
an, und wurden darauf zum Dank, weil sie in anderer Beziehung der Negierung
unbequem wurden, nach Hause geschickt und die Verfassung selbst nach Gutdünken
geändert. Med der neu zu berufenden deutscheu Constituante würde man es
wahrscheinlich eben so machen.

Das ist nämlich die zweite Thatsache, welche hier in Betracht kommt, die
Verletzung der preußischen Verfassung in zwei wichtigen Punkten: einmal daS
Hinausschieben der Ständeversammlung weit über den gesetzlichen Termin (vom
26. Juni auf den 7. August), sodann die eigenmächtige Veränderung des Wahl¬
gesetzes. Das erste ist ein temporärer Eingriff, für welche» die Regierung, wenn
sie ihn gehörig begründet, von den Kammern eine Jndemnitätsbill fordern darf;
das zweite aber ist eine organische Rechtsverletzung, welche durch nichts wieder
gut gemacht werden kann. Es ist eine zweite Auflage der Juliordonnanzen.

Unter diesen Umständen sind folgende Fragen zu erwägen.

Einmal. Wie denkt sich Preußen das bestehende Rechtsverhältniß? und
zwar zum Reich und zum preußischen Volk?

Zweitens. Wie denkt sich Preußen die Rechtsverhältnisse, welche durch die
Begründung seines separat - Bundesstaats in beiden Beziehungen erwachsen
sollen?




Was zunächst die Auffassung der bestehenden Rechtsverhältnisse zum Reich
oder zum deutschen Bunde betrifft, so liegt darin mancher Widerspruch.

Nachträglich erfahren wir aus der Deutschen Zeitung, daß bereits unter dem
18. Mai der preußische Bevollmächtigte in Frankfurt, v. Kamptz, dahin instruirt
wurde, der Centralgewalt die Eröffnung zu machen, sie sei nicht mehr competent,
die Verhandlungen mit dem Ausland — hier zunächst mit Dänemark >— weiter
zu führen. Denn da sie nur durch ihre verantwortlichen Minister regieren könne,
so höre ihre Negierungsthätigkeit auf mit der Auflösung des Parlaments, dein
sie verantwortlich gewesen. Demnach werde Preußen selber die Verhandlungen
in die Hand nehmen. Zugleich sei der Reichsverweser aufgefordert worden, seine
förderhin unhaltbare Stellung aufzugeben.

Wir vernehmen ferner, daß am 24. Mai der Reichsverweser gegen diese IN"
sinuatiou und gegen den beabsichtigten „Bundesbruch" Preußens einen energischen
Protest eingelegt hat, contrasignirt von seinen Ministerpräsidenten: zwar sei er
schon längst Willens gewesen, abzudanken, aber „keine Macht ans Erden" solle
ihn zwingen, diesen Schritt früher zu thun, als er es für angemessen hielte.


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[0394] freilich nur auf Grund der bereits vollzogenen Verfassung sich versammeln kön¬ nen — vereinbart werden. Da« klingt volksthümlicher als es ist. Das Beispiel der Verfassmig vom 5. December, liegt zu nahe. Damals erklärte man auch, man wolle die octroyirte Konstitution nicht eher für rechtsgiltig erklären, als bis sie von den Ständen revidirt wäre. Die Kammern nahmen sie in der Adresse r>u>v an, und wurden darauf zum Dank, weil sie in anderer Beziehung der Negierung unbequem wurden, nach Hause geschickt und die Verfassung selbst nach Gutdünken geändert. Med der neu zu berufenden deutscheu Constituante würde man es wahrscheinlich eben so machen. Das ist nämlich die zweite Thatsache, welche hier in Betracht kommt, die Verletzung der preußischen Verfassung in zwei wichtigen Punkten: einmal daS Hinausschieben der Ständeversammlung weit über den gesetzlichen Termin (vom 26. Juni auf den 7. August), sodann die eigenmächtige Veränderung des Wahl¬ gesetzes. Das erste ist ein temporärer Eingriff, für welche» die Regierung, wenn sie ihn gehörig begründet, von den Kammern eine Jndemnitätsbill fordern darf; das zweite aber ist eine organische Rechtsverletzung, welche durch nichts wieder gut gemacht werden kann. Es ist eine zweite Auflage der Juliordonnanzen. Unter diesen Umständen sind folgende Fragen zu erwägen. Einmal. Wie denkt sich Preußen das bestehende Rechtsverhältniß? und zwar zum Reich und zum preußischen Volk? Zweitens. Wie denkt sich Preußen die Rechtsverhältnisse, welche durch die Begründung seines separat - Bundesstaats in beiden Beziehungen erwachsen sollen? Was zunächst die Auffassung der bestehenden Rechtsverhältnisse zum Reich oder zum deutschen Bunde betrifft, so liegt darin mancher Widerspruch. Nachträglich erfahren wir aus der Deutschen Zeitung, daß bereits unter dem 18. Mai der preußische Bevollmächtigte in Frankfurt, v. Kamptz, dahin instruirt wurde, der Centralgewalt die Eröffnung zu machen, sie sei nicht mehr competent, die Verhandlungen mit dem Ausland — hier zunächst mit Dänemark >— weiter zu führen. Denn da sie nur durch ihre verantwortlichen Minister regieren könne, so höre ihre Negierungsthätigkeit auf mit der Auflösung des Parlaments, dein sie verantwortlich gewesen. Demnach werde Preußen selber die Verhandlungen in die Hand nehmen. Zugleich sei der Reichsverweser aufgefordert worden, seine förderhin unhaltbare Stellung aufzugeben. Wir vernehmen ferner, daß am 24. Mai der Reichsverweser gegen diese IN" sinuatiou und gegen den beabsichtigten „Bundesbruch" Preußens einen energischen Protest eingelegt hat, contrasignirt von seinen Ministerpräsidenten: zwar sei er schon längst Willens gewesen, abzudanken, aber „keine Macht ans Erden" solle ihn zwingen, diesen Schritt früher zu thun, als er es für angemessen hielte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/394>, abgerufen am 15.01.2025.