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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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welche die Wiederkehr der Ruhe, Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in
die Ferne rückten, in den wohlgesinnten Staatsmännern trübe Befürchtungen er¬
zeugten, und der dnrch Gewalt der Waffen in Wien el'en erst geschlagenen, in
einem andern Theile des Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Um¬
sturzes neuen Muth und neue Thätigkeit verliehen." -- Der Reichstag mußte
aufgelöst werden, als die bunten nationalen Farben in dem weißen Lichte der
Freiheit zusammenflossen, und die Völker von Oestreich trotz ihrer desparaten
Interessen sich mehr als jemals in ihren Sympathien für den Reichstag einigten.
Aber in ihrem Gedächtnisse blieb dennoch ein jedes tüchtige Wort haften, welches
in den letzten Tagen vor Verkündigung des Anflösnngspatents zu Kleinster ge¬
sprochen wurde; die Rede Riegers über die Volks Souveränität drang bis in die
deutschen Dörfer Böhmens und wurde dort verstanden, und Schuselka erhielt von
den czechischcn Studenten eine Dankadresse, die ihn für den Gassenhauer, den
ein Prager Sansculotte auf ihn gedichtet, reichlich entschädigte.

Mit den Märzveilchen des Jahres 1849 ist uns anch die fromme Heuchelei
des Unterthanenglückes wieder zurückgekehrt. Der junge Monarch hat die reli¬
giöse Toleranz, der sein großer Ahn Gesetzeskraft verlieh, mich auf die politischen
Konfessionen unserer Zeit ausgedehnt, und es soll auch in dieser Hinsicht Nie¬
mandem sein Gefühl und seine Kirche geraubt werden. Das Octroi vom 4. März
ist nichts weiter, als eine Erweiterung oder Wiederholung des Toleranzpatentes,
die Religion der Freiheit und die verschiedenen Secten ihrer Bekenner werden in
Oestreich geduldet, aber keine davon zur Staatskirche erhoben; die Demokratie
bleibt wie ehemals die tvlerirten Glaubensbekenntnisse eine Privatsache, und ist
als häuslicher Cultus uach Z. 1 der vctroyirtcn Grundrechte gestattet. Der Ab¬
solutismus, der hinter der matten euphemistischen Umschreibung, hinter dem leicht
zu durchblickenden Jncognito der Verfassungsurkunde lauert, hält in der gepan¬
zerten Faust hoch empor das alte, viclbewährte eiserne Palladium Oestreichs; und so
wie,in dem Gedächtnisse der einzelnen Völker des Gesammtstaates nach ihrem Er¬
wachen aus dem politischen Winterschlafe im vorigen März die specialhiftvrische
Glorie ihrer Vergangenheit auftauchte, so erinnerte sich auch wieder das glorreiche
Haus Oestreich im heurigen März an seine eigene specifische Geschichte, an die
Tage der alten dynastischen Herrlichkeit. Es machte gegenüber dem phantastischen
Particularismus der Nationalitäten die territoriale Einheit deö habsburgischen
Staates geltend und verurtheilte die buntfarbigen Stämme der Monarchie dazu,
mit unterthäniger Ausdauer als stumme Karyatiden das morsche Gebälk von Alt-
östrcich zu stützen.

Die tapfere Armee solle dem Staate jene blos äußerliche, geistlose Einheit
der Territorialinicgrität wieder zurückgeben, die dazu erforderlich ist, damit er
seiue Realität außer dem concreten Leben der Provinzen habe, sich wieder in sein
früheres Jenseit zurückziehe und aus seinem Centrum, welches außerhalb des


welche die Wiederkehr der Ruhe, Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in
die Ferne rückten, in den wohlgesinnten Staatsmännern trübe Befürchtungen er¬
zeugten, und der dnrch Gewalt der Waffen in Wien el'en erst geschlagenen, in
einem andern Theile des Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Um¬
sturzes neuen Muth und neue Thätigkeit verliehen." — Der Reichstag mußte
aufgelöst werden, als die bunten nationalen Farben in dem weißen Lichte der
Freiheit zusammenflossen, und die Völker von Oestreich trotz ihrer desparaten
Interessen sich mehr als jemals in ihren Sympathien für den Reichstag einigten.
Aber in ihrem Gedächtnisse blieb dennoch ein jedes tüchtige Wort haften, welches
in den letzten Tagen vor Verkündigung des Anflösnngspatents zu Kleinster ge¬
sprochen wurde; die Rede Riegers über die Volks Souveränität drang bis in die
deutschen Dörfer Böhmens und wurde dort verstanden, und Schuselka erhielt von
den czechischcn Studenten eine Dankadresse, die ihn für den Gassenhauer, den
ein Prager Sansculotte auf ihn gedichtet, reichlich entschädigte.

Mit den Märzveilchen des Jahres 1849 ist uns anch die fromme Heuchelei
des Unterthanenglückes wieder zurückgekehrt. Der junge Monarch hat die reli¬
giöse Toleranz, der sein großer Ahn Gesetzeskraft verlieh, mich auf die politischen
Konfessionen unserer Zeit ausgedehnt, und es soll auch in dieser Hinsicht Nie¬
mandem sein Gefühl und seine Kirche geraubt werden. Das Octroi vom 4. März
ist nichts weiter, als eine Erweiterung oder Wiederholung des Toleranzpatentes,
die Religion der Freiheit und die verschiedenen Secten ihrer Bekenner werden in
Oestreich geduldet, aber keine davon zur Staatskirche erhoben; die Demokratie
bleibt wie ehemals die tvlerirten Glaubensbekenntnisse eine Privatsache, und ist
als häuslicher Cultus uach Z. 1 der vctroyirtcn Grundrechte gestattet. Der Ab¬
solutismus, der hinter der matten euphemistischen Umschreibung, hinter dem leicht
zu durchblickenden Jncognito der Verfassungsurkunde lauert, hält in der gepan¬
zerten Faust hoch empor das alte, viclbewährte eiserne Palladium Oestreichs; und so
wie,in dem Gedächtnisse der einzelnen Völker des Gesammtstaates nach ihrem Er¬
wachen aus dem politischen Winterschlafe im vorigen März die specialhiftvrische
Glorie ihrer Vergangenheit auftauchte, so erinnerte sich auch wieder das glorreiche
Haus Oestreich im heurigen März an seine eigene specifische Geschichte, an die
Tage der alten dynastischen Herrlichkeit. Es machte gegenüber dem phantastischen
Particularismus der Nationalitäten die territoriale Einheit deö habsburgischen
Staates geltend und verurtheilte die buntfarbigen Stämme der Monarchie dazu,
mit unterthäniger Ausdauer als stumme Karyatiden das morsche Gebälk von Alt-
östrcich zu stützen.

Die tapfere Armee solle dem Staate jene blos äußerliche, geistlose Einheit
der Territorialinicgrität wieder zurückgeben, die dazu erforderlich ist, damit er
seiue Realität außer dem concreten Leben der Provinzen habe, sich wieder in sein
früheres Jenseit zurückziehe und aus seinem Centrum, welches außerhalb des


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[0382] welche die Wiederkehr der Ruhe, Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in die Ferne rückten, in den wohlgesinnten Staatsmännern trübe Befürchtungen er¬ zeugten, und der dnrch Gewalt der Waffen in Wien el'en erst geschlagenen, in einem andern Theile des Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Um¬ sturzes neuen Muth und neue Thätigkeit verliehen." — Der Reichstag mußte aufgelöst werden, als die bunten nationalen Farben in dem weißen Lichte der Freiheit zusammenflossen, und die Völker von Oestreich trotz ihrer desparaten Interessen sich mehr als jemals in ihren Sympathien für den Reichstag einigten. Aber in ihrem Gedächtnisse blieb dennoch ein jedes tüchtige Wort haften, welches in den letzten Tagen vor Verkündigung des Anflösnngspatents zu Kleinster ge¬ sprochen wurde; die Rede Riegers über die Volks Souveränität drang bis in die deutschen Dörfer Böhmens und wurde dort verstanden, und Schuselka erhielt von den czechischcn Studenten eine Dankadresse, die ihn für den Gassenhauer, den ein Prager Sansculotte auf ihn gedichtet, reichlich entschädigte. Mit den Märzveilchen des Jahres 1849 ist uns anch die fromme Heuchelei des Unterthanenglückes wieder zurückgekehrt. Der junge Monarch hat die reli¬ giöse Toleranz, der sein großer Ahn Gesetzeskraft verlieh, mich auf die politischen Konfessionen unserer Zeit ausgedehnt, und es soll auch in dieser Hinsicht Nie¬ mandem sein Gefühl und seine Kirche geraubt werden. Das Octroi vom 4. März ist nichts weiter, als eine Erweiterung oder Wiederholung des Toleranzpatentes, die Religion der Freiheit und die verschiedenen Secten ihrer Bekenner werden in Oestreich geduldet, aber keine davon zur Staatskirche erhoben; die Demokratie bleibt wie ehemals die tvlerirten Glaubensbekenntnisse eine Privatsache, und ist als häuslicher Cultus uach Z. 1 der vctroyirtcn Grundrechte gestattet. Der Ab¬ solutismus, der hinter der matten euphemistischen Umschreibung, hinter dem leicht zu durchblickenden Jncognito der Verfassungsurkunde lauert, hält in der gepan¬ zerten Faust hoch empor das alte, viclbewährte eiserne Palladium Oestreichs; und so wie,in dem Gedächtnisse der einzelnen Völker des Gesammtstaates nach ihrem Er¬ wachen aus dem politischen Winterschlafe im vorigen März die specialhiftvrische Glorie ihrer Vergangenheit auftauchte, so erinnerte sich auch wieder das glorreiche Haus Oestreich im heurigen März an seine eigene specifische Geschichte, an die Tage der alten dynastischen Herrlichkeit. Es machte gegenüber dem phantastischen Particularismus der Nationalitäten die territoriale Einheit deö habsburgischen Staates geltend und verurtheilte die buntfarbigen Stämme der Monarchie dazu, mit unterthäniger Ausdauer als stumme Karyatiden das morsche Gebälk von Alt- östrcich zu stützen. Die tapfere Armee solle dem Staate jene blos äußerliche, geistlose Einheit der Territorialinicgrität wieder zurückgeben, die dazu erforderlich ist, damit er seiue Realität außer dem concreten Leben der Provinzen habe, sich wieder in sein früheres Jenseit zurückziehe und aus seinem Centrum, welches außerhalb des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/382>, abgerufen am 15.01.2025.