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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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kalten Mienen der Umstehenden überflog, schlug sie die matten Augen gen Himmel
auf und sagte seufzend: "Ach, Gott helf ihm bei seiner schweren Aufgob!"

Ja wahrlich, wenn es der Herrgott selbst nicht thut, diese Minister werden
ihm nicht helfen. Seit die Minister am 4. Januar das Dogma: Von Gottes
Gnaden, auf die parlamentarische Arena schleppten, erlosch der Glaube daran,
nun war der Zauber gebrochen. Der Glaube läßt sich eben nicht octroyiren.

Und was hatten die Minister gethan, um den welkenden Glauben aufzufri¬
schen? Um den jungen Monarchen nicht blos als russischen Schützling und Sol¬
datenkaiser zurückzuführen? Wie eine kalte, umflorte Wintersonne ging die neue
Majestät den Wienern auf; so wenig Eindruck sie machte, so wenig Spuren hat sie
bis jetzt zurückgelassen. Das Bischen Nimbus, welches sie in der Ferne noch um¬
gab, ward durch die Enttäuschung aller Hoffnungen, die man in den letzten Mo-
naten an ihre Erscheinung knüpfte, vollständig zerstreut und zerrissen. Sie ist
nicht von Gottes, nicht von Volkes Gnaden.

Die Anwesenheit des Kaisers stört nicht im mindesten den erbarmnngölosen
Gang der Militärherrschaft und ihrer Vehmgerichte. Amnestie? So hoch verstieg
sich die rosensarbigste Einbildungskraft nicht, aber selbst die kleinherzige Zusage,
den Oktvberschnldigen dritten oder vierten Grades die peinliche Untersuchung zu
erlassen, eine Zusage, die vom März datirt, wird täglich unter den Angen des
Kaisers gebrochen. Ich kenne Personen, die noch jetzt wegen eines unbesonnenen
Wortes, das sie am 28. October gesprochen haben "sollen", mit täglichen Vor¬
ladungen und Verhören gequält werden. Frische Verurtheilungen zu schweren und
leichten Eise" schmücken von Zeit zu Zeit die Straßenecken. Fischhofs Proceß,
ausnahmsweise, vor ein öffentliches Gericht zu weisen, -- diesen kühnen Gedanken
wagt noch kein hiesiges Blatt anzuregen; in ungestörter Heimlichkeit weidet sich
die vvrmärzliche Justiz vielleicht noch ein Jahr lang an ihrer edlen Beute. Haus-
suchungen, Inquisitionen über den Inhalt empfangener Briefe und Ausweisungen
ohne Angabe des Grundes unterbrechen die Eintönigkeit des Wiener Lebens. Zur
Abwechslung hat am 21. Mai im Stadtgraben anch eine Begnadigung durch Pul¬
ver und Blei stattgefunden").

Daß Welden'S martialischer Styl noch immer an die Proklamationen von wei¬
land Lin. dem chinesischen Oberkommissär im Opiumkriege, erinnert, dafür will
us das Ministerium nicht verantwortlich machen. Neulich ertönte seine patriar¬
chalische Stimme wieder in der Wiener Zeitung und drohte die Verstockten unter



*) Der Unglückliche, ein Ungar, war des Versuchs beschuldigt, zwei Unteroffiziere
,,zum Tvcubruch zu verleiten." Nach einem Windischgrätz'sehen Edikt, welches noch in Kraft
'se, erhalt der denunzirende Soldat eine Prämie von 25 Fi, E.-M. DieMilitärunteisuchungs-
commission schickte, in diesem Fall, dem Urtel eine salbungsvolle Einleitung voraus, wornach
der Erschossene Mitglied eines europäischen Vereins zur Verführung k. k. Korporäle war. Im
"Thatbestand" sucht man natürlich die Jndicien dafür vergebens.
Grenzboten. II. Isis. 48

kalten Mienen der Umstehenden überflog, schlug sie die matten Augen gen Himmel
auf und sagte seufzend: „Ach, Gott helf ihm bei seiner schweren Aufgob!"

Ja wahrlich, wenn es der Herrgott selbst nicht thut, diese Minister werden
ihm nicht helfen. Seit die Minister am 4. Januar das Dogma: Von Gottes
Gnaden, auf die parlamentarische Arena schleppten, erlosch der Glaube daran,
nun war der Zauber gebrochen. Der Glaube läßt sich eben nicht octroyiren.

Und was hatten die Minister gethan, um den welkenden Glauben aufzufri¬
schen? Um den jungen Monarchen nicht blos als russischen Schützling und Sol¬
datenkaiser zurückzuführen? Wie eine kalte, umflorte Wintersonne ging die neue
Majestät den Wienern auf; so wenig Eindruck sie machte, so wenig Spuren hat sie
bis jetzt zurückgelassen. Das Bischen Nimbus, welches sie in der Ferne noch um¬
gab, ward durch die Enttäuschung aller Hoffnungen, die man in den letzten Mo-
naten an ihre Erscheinung knüpfte, vollständig zerstreut und zerrissen. Sie ist
nicht von Gottes, nicht von Volkes Gnaden.

Die Anwesenheit des Kaisers stört nicht im mindesten den erbarmnngölosen
Gang der Militärherrschaft und ihrer Vehmgerichte. Amnestie? So hoch verstieg
sich die rosensarbigste Einbildungskraft nicht, aber selbst die kleinherzige Zusage,
den Oktvberschnldigen dritten oder vierten Grades die peinliche Untersuchung zu
erlassen, eine Zusage, die vom März datirt, wird täglich unter den Angen des
Kaisers gebrochen. Ich kenne Personen, die noch jetzt wegen eines unbesonnenen
Wortes, das sie am 28. October gesprochen haben „sollen", mit täglichen Vor¬
ladungen und Verhören gequält werden. Frische Verurtheilungen zu schweren und
leichten Eise» schmücken von Zeit zu Zeit die Straßenecken. Fischhofs Proceß,
ausnahmsweise, vor ein öffentliches Gericht zu weisen, — diesen kühnen Gedanken
wagt noch kein hiesiges Blatt anzuregen; in ungestörter Heimlichkeit weidet sich
die vvrmärzliche Justiz vielleicht noch ein Jahr lang an ihrer edlen Beute. Haus-
suchungen, Inquisitionen über den Inhalt empfangener Briefe und Ausweisungen
ohne Angabe des Grundes unterbrechen die Eintönigkeit des Wiener Lebens. Zur
Abwechslung hat am 21. Mai im Stadtgraben anch eine Begnadigung durch Pul¬
ver und Blei stattgefunden").

Daß Welden'S martialischer Styl noch immer an die Proklamationen von wei¬
land Lin. dem chinesischen Oberkommissär im Opiumkriege, erinnert, dafür will
us das Ministerium nicht verantwortlich machen. Neulich ertönte seine patriar¬
chalische Stimme wieder in der Wiener Zeitung und drohte die Verstockten unter



*) Der Unglückliche, ein Ungar, war des Versuchs beschuldigt, zwei Unteroffiziere
,,zum Tvcubruch zu verleiten." Nach einem Windischgrätz'sehen Edikt, welches noch in Kraft
'se, erhalt der denunzirende Soldat eine Prämie von 25 Fi, E.-M. DieMilitärunteisuchungs-
commission schickte, in diesem Fall, dem Urtel eine salbungsvolle Einleitung voraus, wornach
der Erschossene Mitglied eines europäischen Vereins zur Verführung k. k. Korporäle war. Im
„Thatbestand" sucht man natürlich die Jndicien dafür vergebens.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/377>, abgerufen am 15.01.2025.