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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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zösische Bürger das großen Theils schon seit lange haben, wornach ihre Brüder
am Main und an der Tiber erst mühsam ringen.

Und ein ähnliches Verhältniß, wie zwischen diesen Provinzen und Frankreich,
dürfte einst auch zwischen Galizien und Oestreich stattfinden.

Wenn erst unsere Konstitution eine Wahrheit und Oestreich wirklich ein freies
Land geworden sein wird, dann werden sich anch die Polen in die neuen Staats-
formen behaglich einleben und es erkennen, daß so ein konstitutioneller Staat der
Neuzeit doch uoch etwas Besseres sei als eine mittelalterliche Adelsrepublik. Dann
werden sie sich mit Oestreich aussöhnen und anfangen, es als ihr Vaterland zu
betrachten. Und sogar wenn dann einmal ein erfolgreicher Aufstand im russi¬
schen Polen stattfindet, so werden die Galizianer die wärmsten Sympathien für
ihn haben, und viele werden wohl auch hinüberetlen, um in den Reihen ihrer
Brüder zu kämpfen, aber Galizien wird sich eben so wenig von Oestreich los¬
reißen wollen, als das Elsaß daran denkt, sich von Frankreich zu trennen.

Diese Versöhnung wird freilich nicht das Werk eines Tages sein, aber wenn
die Verhältnisse Oestreichs uur überhaupt sich so gestalten, wie wir es wünschen
und, dürfen wir noch sagen, hoffen? wird sie gewiß nicht ausbleiben. Das
Kunststück hingegen, Bauern gegen Edelleute und unirte Griechen gegen römische
Katholiken, oder Rnthenen gegen Polen zu Hetzen, um die einen dnrch die andern
in Schach zu halten, ist ein gefährliches, zweischneidiges Mittel, das leicht mehr
schaden als nützen kann. Denn man täuscht sich, wenn man glaubt, die Uneinig¬
keit der Regierten vermehre die Kraft der Negierung. Sie hat freilich bei einem
uneinigen und zerrissenen Volke weniger von innern Aufständen zu befürchten, aber
sie verliert in demselben Maße an Stärke gegenüber dem Auslande, welches vor¬
kommenden Falls die Stammesfeindschaften und religiösen Antipathien eben so gut
auszubeuten wissen wird, als die eigene Negierung.

Und wir haben an Nußland einen Nachbar, der sich auf dergleichen trefflich
versteht, und hier uoch durch die Umstände besonders begünstigt ist. Denn je
wehr man die Kluft zwischen römischen Katholiken und unirten Griechen erweitert,
desto mehr verengert man jene zwischen Letztern und den nicht unirten. Je mehr
^ gelingt die Union als blos dnrch polnischen Druck herbeigeführt darzustellen,
desto wünschenswerther wird eine Rückkehr zum Schisma erscheinen. Wir haben
Vor Kurzem gesehen, wie leicht es in Rußland gewesen, Millionen von Unirten
^r griechischen Kirche zurückzuführen. Die Habsburg-Lothringer aber sind römi-
A)e Katholiken, oder, wie man hier zu Lande sagt, Polen, die Holstein-Gottorp
dagegen rechtgläubige griechische Christen und der Kaiser von Rußland das Haupt
der morgenländischen Kirche. Seine Heere werden bald vor der Donau stehen,
deren Mündung er schon lange beherrscht. Scheint das noch nicht genug? Muß
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- "lan ihm noch eine mächtige religiöse Propaganda zu Gebote stellen?
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zösische Bürger das großen Theils schon seit lange haben, wornach ihre Brüder
am Main und an der Tiber erst mühsam ringen.

Und ein ähnliches Verhältniß, wie zwischen diesen Provinzen und Frankreich,
dürfte einst auch zwischen Galizien und Oestreich stattfinden.

Wenn erst unsere Konstitution eine Wahrheit und Oestreich wirklich ein freies
Land geworden sein wird, dann werden sich anch die Polen in die neuen Staats-
formen behaglich einleben und es erkennen, daß so ein konstitutioneller Staat der
Neuzeit doch uoch etwas Besseres sei als eine mittelalterliche Adelsrepublik. Dann
werden sie sich mit Oestreich aussöhnen und anfangen, es als ihr Vaterland zu
betrachten. Und sogar wenn dann einmal ein erfolgreicher Aufstand im russi¬
schen Polen stattfindet, so werden die Galizianer die wärmsten Sympathien für
ihn haben, und viele werden wohl auch hinüberetlen, um in den Reihen ihrer
Brüder zu kämpfen, aber Galizien wird sich eben so wenig von Oestreich los¬
reißen wollen, als das Elsaß daran denkt, sich von Frankreich zu trennen.

Diese Versöhnung wird freilich nicht das Werk eines Tages sein, aber wenn
die Verhältnisse Oestreichs uur überhaupt sich so gestalten, wie wir es wünschen
und, dürfen wir noch sagen, hoffen? wird sie gewiß nicht ausbleiben. Das
Kunststück hingegen, Bauern gegen Edelleute und unirte Griechen gegen römische
Katholiken, oder Rnthenen gegen Polen zu Hetzen, um die einen dnrch die andern
in Schach zu halten, ist ein gefährliches, zweischneidiges Mittel, das leicht mehr
schaden als nützen kann. Denn man täuscht sich, wenn man glaubt, die Uneinig¬
keit der Regierten vermehre die Kraft der Negierung. Sie hat freilich bei einem
uneinigen und zerrissenen Volke weniger von innern Aufständen zu befürchten, aber
sie verliert in demselben Maße an Stärke gegenüber dem Auslande, welches vor¬
kommenden Falls die Stammesfeindschaften und religiösen Antipathien eben so gut
auszubeuten wissen wird, als die eigene Negierung.

Und wir haben an Nußland einen Nachbar, der sich auf dergleichen trefflich
versteht, und hier uoch durch die Umstände besonders begünstigt ist. Denn je
wehr man die Kluft zwischen römischen Katholiken und unirten Griechen erweitert,
desto mehr verengert man jene zwischen Letztern und den nicht unirten. Je mehr
^ gelingt die Union als blos dnrch polnischen Druck herbeigeführt darzustellen,
desto wünschenswerther wird eine Rückkehr zum Schisma erscheinen. Wir haben
Vor Kurzem gesehen, wie leicht es in Rußland gewesen, Millionen von Unirten
^r griechischen Kirche zurückzuführen. Die Habsburg-Lothringer aber sind römi-
A)e Katholiken, oder, wie man hier zu Lande sagt, Polen, die Holstein-Gottorp
dagegen rechtgläubige griechische Christen und der Kaiser von Rußland das Haupt
der morgenländischen Kirche. Seine Heere werden bald vor der Donau stehen,
deren Mündung er schon lange beherrscht. Scheint das noch nicht genug? Muß
F.
- "lan ihm noch eine mächtige religiöse Propaganda zu Gebote stellen?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/369>, abgerufen am 15.01.2025.