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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Das polnische Reich war bekanntlich eine Adclsrcpublik mit einem Scheinkö¬
nige, eine Aristokratie vom reinsten Wasser gewesen. Mit der Theilung desselben
verlor die herrschende Kaste zugleich die Freiheit und die Herrschaft. Es ward
dem polnischen Adel ein Land genommen, das er als sein Privateigenthum zu be¬
trachten gewohnt war, und zugleich wurde er aus einer Republik, die ein reges,
mitunter sogar etwas turbulentes öffentliches Leben hatte, mitten in das langwei¬
lige büreaukratische Stillleben versetzt. Er hatte also doppelte Ursache zur Unzu¬
friedenheit, und während er gestützt auf das historische Recht in seiner Gesammt¬
heit sich als dcpvssedirter Prätendent geriren, vertrat er zugleich als ehemaliger
Republikaner die liberalen Ideen gegen den Absolutismus, und seiue Schilderhe¬
bungen hatten stets den doppelten Charakter eines legitimistischen Aufstandes und
einer Insurrektion für die Freiheit.

Anders verhielt es sich mit den Bauern. Diese hatten bei dem Untergange
des polnischen Reiches blos ihre Herrscher gewechselt, und dabei wohl eher ge¬
wonnen als verloren. Denn es traten nun geordnetere Rechtszustände ein, und
der auf ihnen lastende materielle Druck wurde, wenn er auch nicht ganz aufhörte,
doch gegen früher gemildert. Für politische Freiheit aber war bei der niedrigen
Bildungsstufe derselben noch kein Sinn vorhanden. Dazu kamen in Oestreich
beim Fortbestehen des Unterthanverbandes zwischen Bauer und Gutsherrn noch
alle jene Reibungen und Ursachen der Mißstimmung hinzu, die sich überall erzeu¬
gn, wo verschiedene Volksklassen mit entgegengesetzten Interessen in naher Berüh¬
rung stehen, und die z. B. in industriellen Ländern so häufig zwischen Gesellen
und Meistern, zwischen Arbeitern und Fabrikherren vorkommen. Feruer lud der
Edelmann, wenn er als Gutsherr im Delegationswege manche Regierungsakte
ausübte, für alles Harte derselben auch das Odium auf sich, und der Bauer ge¬
wöhnte sich, alles Unangenehme, das ihn betraf, und alles Unrecht, das er zu
leiden glaubte, seiner Gutsherrschaft zuzuschreiben, während er mit der Regierung
und ihren Organen weniger in Berührung kam. Dies alles zusammengenommen
war genug, seine Gleichgültigkeit gegen die polnische Sache, die er als die der
Edelleute betrachtete, in Haß gegen dieselben zu verwandeln, und jenen schreck¬
lichen Ausbruch der Volkswuth zu veranlassen, ohne daß man ihn, wie es von
polnischen Ultras geschieht, einzig und allein den Aufreizungen der Beamten und
dem Gelde der Regierung zuschreibe" kann, wodurch man die galizischen Bauern
für ein Volk von Banditen, die um Tagelohn morden, erklären würde, noch den
Grund in einem nicht vorhandenen nationalen Conflicte zu suchen braucht.

Aehuliche Erscheinungen hat man übrigens zu verschiedenen Epochen auch in
andern Ländern beobachtet. Z. B. in den Wer Jahren sympathisirten in ganz
Oberitalien die Städte mit der französischen Republik und griffen zu den Waffen
skr die Revolution, während sich das Landvolk für das alte Regime erhob; und


Das polnische Reich war bekanntlich eine Adclsrcpublik mit einem Scheinkö¬
nige, eine Aristokratie vom reinsten Wasser gewesen. Mit der Theilung desselben
verlor die herrschende Kaste zugleich die Freiheit und die Herrschaft. Es ward
dem polnischen Adel ein Land genommen, das er als sein Privateigenthum zu be¬
trachten gewohnt war, und zugleich wurde er aus einer Republik, die ein reges,
mitunter sogar etwas turbulentes öffentliches Leben hatte, mitten in das langwei¬
lige büreaukratische Stillleben versetzt. Er hatte also doppelte Ursache zur Unzu¬
friedenheit, und während er gestützt auf das historische Recht in seiner Gesammt¬
heit sich als dcpvssedirter Prätendent geriren, vertrat er zugleich als ehemaliger
Republikaner die liberalen Ideen gegen den Absolutismus, und seiue Schilderhe¬
bungen hatten stets den doppelten Charakter eines legitimistischen Aufstandes und
einer Insurrektion für die Freiheit.

Anders verhielt es sich mit den Bauern. Diese hatten bei dem Untergange
des polnischen Reiches blos ihre Herrscher gewechselt, und dabei wohl eher ge¬
wonnen als verloren. Denn es traten nun geordnetere Rechtszustände ein, und
der auf ihnen lastende materielle Druck wurde, wenn er auch nicht ganz aufhörte,
doch gegen früher gemildert. Für politische Freiheit aber war bei der niedrigen
Bildungsstufe derselben noch kein Sinn vorhanden. Dazu kamen in Oestreich
beim Fortbestehen des Unterthanverbandes zwischen Bauer und Gutsherrn noch
alle jene Reibungen und Ursachen der Mißstimmung hinzu, die sich überall erzeu¬
gn, wo verschiedene Volksklassen mit entgegengesetzten Interessen in naher Berüh¬
rung stehen, und die z. B. in industriellen Ländern so häufig zwischen Gesellen
und Meistern, zwischen Arbeitern und Fabrikherren vorkommen. Feruer lud der
Edelmann, wenn er als Gutsherr im Delegationswege manche Regierungsakte
ausübte, für alles Harte derselben auch das Odium auf sich, und der Bauer ge¬
wöhnte sich, alles Unangenehme, das ihn betraf, und alles Unrecht, das er zu
leiden glaubte, seiner Gutsherrschaft zuzuschreiben, während er mit der Regierung
und ihren Organen weniger in Berührung kam. Dies alles zusammengenommen
war genug, seine Gleichgültigkeit gegen die polnische Sache, die er als die der
Edelleute betrachtete, in Haß gegen dieselben zu verwandeln, und jenen schreck¬
lichen Ausbruch der Volkswuth zu veranlassen, ohne daß man ihn, wie es von
polnischen Ultras geschieht, einzig und allein den Aufreizungen der Beamten und
dem Gelde der Regierung zuschreibe» kann, wodurch man die galizischen Bauern
für ein Volk von Banditen, die um Tagelohn morden, erklären würde, noch den
Grund in einem nicht vorhandenen nationalen Conflicte zu suchen braucht.

Aehuliche Erscheinungen hat man übrigens zu verschiedenen Epochen auch in
andern Ländern beobachtet. Z. B. in den Wer Jahren sympathisirten in ganz
Oberitalien die Städte mit der französischen Republik und griffen zu den Waffen
skr die Revolution, während sich das Landvolk für das alte Regime erhob; und


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[0367] Das polnische Reich war bekanntlich eine Adclsrcpublik mit einem Scheinkö¬ nige, eine Aristokratie vom reinsten Wasser gewesen. Mit der Theilung desselben verlor die herrschende Kaste zugleich die Freiheit und die Herrschaft. Es ward dem polnischen Adel ein Land genommen, das er als sein Privateigenthum zu be¬ trachten gewohnt war, und zugleich wurde er aus einer Republik, die ein reges, mitunter sogar etwas turbulentes öffentliches Leben hatte, mitten in das langwei¬ lige büreaukratische Stillleben versetzt. Er hatte also doppelte Ursache zur Unzu¬ friedenheit, und während er gestützt auf das historische Recht in seiner Gesammt¬ heit sich als dcpvssedirter Prätendent geriren, vertrat er zugleich als ehemaliger Republikaner die liberalen Ideen gegen den Absolutismus, und seiue Schilderhe¬ bungen hatten stets den doppelten Charakter eines legitimistischen Aufstandes und einer Insurrektion für die Freiheit. Anders verhielt es sich mit den Bauern. Diese hatten bei dem Untergange des polnischen Reiches blos ihre Herrscher gewechselt, und dabei wohl eher ge¬ wonnen als verloren. Denn es traten nun geordnetere Rechtszustände ein, und der auf ihnen lastende materielle Druck wurde, wenn er auch nicht ganz aufhörte, doch gegen früher gemildert. Für politische Freiheit aber war bei der niedrigen Bildungsstufe derselben noch kein Sinn vorhanden. Dazu kamen in Oestreich beim Fortbestehen des Unterthanverbandes zwischen Bauer und Gutsherrn noch alle jene Reibungen und Ursachen der Mißstimmung hinzu, die sich überall erzeu¬ gn, wo verschiedene Volksklassen mit entgegengesetzten Interessen in naher Berüh¬ rung stehen, und die z. B. in industriellen Ländern so häufig zwischen Gesellen und Meistern, zwischen Arbeitern und Fabrikherren vorkommen. Feruer lud der Edelmann, wenn er als Gutsherr im Delegationswege manche Regierungsakte ausübte, für alles Harte derselben auch das Odium auf sich, und der Bauer ge¬ wöhnte sich, alles Unangenehme, das ihn betraf, und alles Unrecht, das er zu leiden glaubte, seiner Gutsherrschaft zuzuschreiben, während er mit der Regierung und ihren Organen weniger in Berührung kam. Dies alles zusammengenommen war genug, seine Gleichgültigkeit gegen die polnische Sache, die er als die der Edelleute betrachtete, in Haß gegen dieselben zu verwandeln, und jenen schreck¬ lichen Ausbruch der Volkswuth zu veranlassen, ohne daß man ihn, wie es von polnischen Ultras geschieht, einzig und allein den Aufreizungen der Beamten und dem Gelde der Regierung zuschreibe» kann, wodurch man die galizischen Bauern für ein Volk von Banditen, die um Tagelohn morden, erklären würde, noch den Grund in einem nicht vorhandenen nationalen Conflicte zu suchen braucht. Aehuliche Erscheinungen hat man übrigens zu verschiedenen Epochen auch in andern Ländern beobachtet. Z. B. in den Wer Jahren sympathisirten in ganz Oberitalien die Städte mit der französischen Republik und griffen zu den Waffen skr die Revolution, während sich das Landvolk für das alte Regime erhob; und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/367>, abgerufen am 15.01.2025.