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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ist um jenen Tisch versammelt. Der derb nationelle Ausdruck ihrer Gesichtszüge,
der Zuschnitt ihrer Röcke, der genau an die Modebeilage der Novin)? 8>vola8><v
erinnert, endlich die rothen Mutzen mit den blauen Quasten lassen uns keinen
Augenblick in Zweifel, daß es Ezcchen sind. "Wir werden jetzt nach Frankfurt
wählen," ruft einer von ihnen -- "der Rieger hat es selbst so gesagt -- dort
gibt es ja eine Versammlung, die sie noch uicht mit Bajonnetten auseinander ge¬
jagt haben!" -- Und jetzt noch einen Blick zum Fenster hinaus. Eine Schaar
von Studenten, mit den Ziegciihaincrn in der Luft herumfuchtelnd, stürmt vorüber,
und ruft ein wildes: /ij" iXossutli" aus voller Kehle. Mögt ihr uur keiner
Patrouille begegnen, ihr tollen Jungen! --

"Nach Frankfurt!" Dieser Ruf ist aus dem Gasthause, wo wir ihn vernom¬
men haben, schnell in das Redactionsbureau der Deutschen Zeitung gedrungen;
und dieses Journal, welches als Vorkämpfer für die deutschen Interessen
seine Lanze bricht, macht schnell ans dem Empfindungswort ein Substantivum und
stößt ganz ernstlich in die Tuba hinein, um in mtrtilins jnlnlolmm neuerdings sür
das Frankfurter Parlament zu werbe". Aber jene Tuba ist eigentlich nichts als
das alte Alpenhorn, in das die Deutsche Zeitung seit einem halben Jahre bläst
und der Czeche erkennt genau die Melodie des Kuhreigens, das alte Lied von
dem germanischen Heimweh, das den Deutschen über die blauen Berge seiner
Sehnsucht, über das Erz- und Riesengebirge uach Deutschland hinüberlockt. Das
bringt ihn rasch zur Besinnung; er nimmt sein voreilig gesprochenes Wort, mit
dem sich ohnehin kein Ernst machen läßt, zurück, und wieder kommt einer jener echt-
nationalen Gassenhauer, auf die er so stolz ist, über seine Lippen.

Doch was will das Jubelgeschrei bedeute", das uns aus den innern Räumen
des Bahnhofes cntgegentönt? Das sind die zurückkehrenden Deputaten, die mit
tausendfachen Hochs und Slavarufeu begrüßt werden; die Helden des Dramas
von Kremster, die dort getrennt vom Volke in klösterlicher Einsamkeit das Volks¬
wohl beriethen, bis endlich die Soldaten, die im Hinterhalte lauerten, ans sie
eindrangen und in die Figuren, die sie gleich Archimedes in den Sand gezeichnet
hatten, schonungslos hineintraten. Bei ihrer Ankunft in Prag finden sie erst den
Chorus wieder, ohne den kein gelungenes politisches Drama denkbar ist; aber was
kann er ihnen jetzt helfen, da das Stück, bei dem er fehlte, nicht weiter gespielt
werden darf? Und wird nicht der neue Reichstag, der in Wien einberufen wer¬
den wird, dort ebenso vereinsamt, wie in Kremsier tagen, da um ihn herum das
Volk nach dem neuen Associationsgesetz, fünf Meilen in der Runde schweigen
muß? --

Viele von denDcputirten des ersten östreichischen Reichstags haben die Hand
muthig über das Feuerbecken hingehalten und sich so ganz heroisch die Finger ver¬
brannt, ohne der Freiheit etwas zu nützen; aber gleichviel! Das Volk küßt jetzt
begeistert diese Hand und fragt uicht weiter uach dem Erfolg. Der nationelle


ist um jenen Tisch versammelt. Der derb nationelle Ausdruck ihrer Gesichtszüge,
der Zuschnitt ihrer Röcke, der genau an die Modebeilage der Novin)? 8>vola8><v
erinnert, endlich die rothen Mutzen mit den blauen Quasten lassen uns keinen
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wählen," ruft einer von ihnen — „der Rieger hat es selbst so gesagt — dort
gibt es ja eine Versammlung, die sie noch uicht mit Bajonnetten auseinander ge¬
jagt haben!" — Und jetzt noch einen Blick zum Fenster hinaus. Eine Schaar
von Studenten, mit den Ziegciihaincrn in der Luft herumfuchtelnd, stürmt vorüber,
und ruft ein wildes: /ij» iXossutli" aus voller Kehle. Mögt ihr uur keiner
Patrouille begegnen, ihr tollen Jungen! —

„Nach Frankfurt!" Dieser Ruf ist aus dem Gasthause, wo wir ihn vernom¬
men haben, schnell in das Redactionsbureau der Deutschen Zeitung gedrungen;
und dieses Journal, welches als Vorkämpfer für die deutschen Interessen
seine Lanze bricht, macht schnell ans dem Empfindungswort ein Substantivum und
stößt ganz ernstlich in die Tuba hinein, um in mtrtilins jnlnlolmm neuerdings sür
das Frankfurter Parlament zu werbe». Aber jene Tuba ist eigentlich nichts als
das alte Alpenhorn, in das die Deutsche Zeitung seit einem halben Jahre bläst
und der Czeche erkennt genau die Melodie des Kuhreigens, das alte Lied von
dem germanischen Heimweh, das den Deutschen über die blauen Berge seiner
Sehnsucht, über das Erz- und Riesengebirge uach Deutschland hinüberlockt. Das
bringt ihn rasch zur Besinnung; er nimmt sein voreilig gesprochenes Wort, mit
dem sich ohnehin kein Ernst machen läßt, zurück, und wieder kommt einer jener echt-
nationalen Gassenhauer, auf die er so stolz ist, über seine Lippen.

Doch was will das Jubelgeschrei bedeute», das uns aus den innern Räumen
des Bahnhofes cntgegentönt? Das sind die zurückkehrenden Deputaten, die mit
tausendfachen Hochs und Slavarufeu begrüßt werden; die Helden des Dramas
von Kremster, die dort getrennt vom Volke in klösterlicher Einsamkeit das Volks¬
wohl beriethen, bis endlich die Soldaten, die im Hinterhalte lauerten, ans sie
eindrangen und in die Figuren, die sie gleich Archimedes in den Sand gezeichnet
hatten, schonungslos hineintraten. Bei ihrer Ankunft in Prag finden sie erst den
Chorus wieder, ohne den kein gelungenes politisches Drama denkbar ist; aber was
kann er ihnen jetzt helfen, da das Stück, bei dem er fehlte, nicht weiter gespielt
werden darf? Und wird nicht der neue Reichstag, der in Wien einberufen wer¬
den wird, dort ebenso vereinsamt, wie in Kremsier tagen, da um ihn herum das
Volk nach dem neuen Associationsgesetz, fünf Meilen in der Runde schweigen
muß? —

Viele von denDcputirten des ersten östreichischen Reichstags haben die Hand
muthig über das Feuerbecken hingehalten und sich so ganz heroisch die Finger ver¬
brannt, ohne der Freiheit etwas zu nützen; aber gleichviel! Das Volk küßt jetzt
begeistert diese Hand und fragt uicht weiter uach dem Erfolg. Der nationelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/36>, abgerufen am 15.01.2025.