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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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sich die Ementiers von Profession zu sehr in den Vordergrund gedrängt, als daß,
nicht die bessere Klasse der Bürger zu dem sehr natürlichen Wunsch getrieben sein
sollte, sich vor Allem ihrer gefährlichen Bundesgenossen zu entledigen. Aber ein
Staat, der sich nicht auf Sittlichkeit stützt, hat keinen Halt. Hat denn die Re¬
gierung schon ganz den 18. März vergessen! Damals war die Militärmacht eben¬
so fest als hente und doch warf ein Hauch sie um. Die damalige Regierung
wird man wahrhaftig nicht "schwächlicher" Nachgiebigkeit zeihen. Aber sie wurde
von der Bürgerschaft verlassen und siel, wie es wieder geschehen wird, wenn ein
starker Stoß von Außen kommt, und wenn die Scheu vou den rothen
Republikanern nicht mehr so groß sein wird, den Haß gegen den
Militärdespotismus zu paralysiren.

Diese Scheu allem ist es, welche die schnelle Beendigung der Bewegung
in der Rheinprovinz, in Westphalen, in Breslau und den andern Orten erklärlich
macht. Wenn ausgesprochene Communisten auf den Barrikaden stehen, wird ihnen
natürlich der Bürger seine Thür verschließen. Eine provisorische Negierung, an
deren Spitze Tschiruer sich stellt, wird der Bürger uicht anerkennen. Aber die Regie¬
rung möge den Barometer der öffentlichen Meinung, wie er sich in der Presse
ausspricht, nicht zu gering anschlagen. Wir sind weit davon entfernt, ihn zu
überschätzen: er repräsentirt immer nur die Eine Seite der Volksstimmung, wenig-
steus so lange die Reaction der "Ruhigen" nicht stark genug geworden ist, um
selber in der Form der Leidenschaft aufzutreten. Aber mau vergleiche die Rich¬
tung der gemäßigten Journale vor dem März 48 mit der vor dem November 48
und mit der jetzigen. In der ersten wie in der letzten ging der Strom gegen
den souveränen Unverstand der Regierung, wie im November gegen den souverä¬
nen Unverstand der Volksvertreter. Diese Presse repräsentirt den passiven, aber ge¬
waltigen Einfluß, welchen die Stimmung der Bürgerschaft auf die Entwickelung
ausübt -- sie bringt ihn nicht hervor, aber sie macht ihn anschaulich. Die Re¬
gierung möge sich in diesen Schichten genauer umsehe", ehe sie den letzten, ent¬
scheidenden Bruch mit dem Rechtsleben wagt.

Dieser letzte Schritt wäre die Unterlassung der Wahlen zu den Kammern in
dem verfassungsmäßig anberaumten Termin -- 40 Tage nach Auflösung der Kam¬
mern. Sollte die Regierung den Muth haben, den Schritt zu wagen, den sie
sich durch ihr Organ anrathen läßt -- die Suspension der Verfassung ans ein
Jahr, so kann sie vielleicht deu Widerstand vorläufig durch eine Ausdehnung des
Bclageruugszustaudes über das ganze Laud unterdrücken, aber sie kann eben, s"
versichert sein, daß die nächsten Kammern, die sie doch einmal einberufen muß,
einen Convent bilden werden. --

Wenden wir jetzt unsern Blick von Preußen auf Deutschland. Den Plänen
der preußischen Negierung stehn drei sehr verschiedne Parteien gegenüber: die na¬
tionale, die großdeutsche-ultramontane und die demokratische.


sich die Ementiers von Profession zu sehr in den Vordergrund gedrängt, als daß,
nicht die bessere Klasse der Bürger zu dem sehr natürlichen Wunsch getrieben sein
sollte, sich vor Allem ihrer gefährlichen Bundesgenossen zu entledigen. Aber ein
Staat, der sich nicht auf Sittlichkeit stützt, hat keinen Halt. Hat denn die Re¬
gierung schon ganz den 18. März vergessen! Damals war die Militärmacht eben¬
so fest als hente und doch warf ein Hauch sie um. Die damalige Regierung
wird man wahrhaftig nicht „schwächlicher" Nachgiebigkeit zeihen. Aber sie wurde
von der Bürgerschaft verlassen und siel, wie es wieder geschehen wird, wenn ein
starker Stoß von Außen kommt, und wenn die Scheu vou den rothen
Republikanern nicht mehr so groß sein wird, den Haß gegen den
Militärdespotismus zu paralysiren.

Diese Scheu allem ist es, welche die schnelle Beendigung der Bewegung
in der Rheinprovinz, in Westphalen, in Breslau und den andern Orten erklärlich
macht. Wenn ausgesprochene Communisten auf den Barrikaden stehen, wird ihnen
natürlich der Bürger seine Thür verschließen. Eine provisorische Negierung, an
deren Spitze Tschiruer sich stellt, wird der Bürger uicht anerkennen. Aber die Regie¬
rung möge den Barometer der öffentlichen Meinung, wie er sich in der Presse
ausspricht, nicht zu gering anschlagen. Wir sind weit davon entfernt, ihn zu
überschätzen: er repräsentirt immer nur die Eine Seite der Volksstimmung, wenig-
steus so lange die Reaction der „Ruhigen" nicht stark genug geworden ist, um
selber in der Form der Leidenschaft aufzutreten. Aber mau vergleiche die Rich¬
tung der gemäßigten Journale vor dem März 48 mit der vor dem November 48
und mit der jetzigen. In der ersten wie in der letzten ging der Strom gegen
den souveränen Unverstand der Regierung, wie im November gegen den souverä¬
nen Unverstand der Volksvertreter. Diese Presse repräsentirt den passiven, aber ge¬
waltigen Einfluß, welchen die Stimmung der Bürgerschaft auf die Entwickelung
ausübt — sie bringt ihn nicht hervor, aber sie macht ihn anschaulich. Die Re¬
gierung möge sich in diesen Schichten genauer umsehe», ehe sie den letzten, ent¬
scheidenden Bruch mit dem Rechtsleben wagt.

Dieser letzte Schritt wäre die Unterlassung der Wahlen zu den Kammern in
dem verfassungsmäßig anberaumten Termin — 40 Tage nach Auflösung der Kam¬
mern. Sollte die Regierung den Muth haben, den Schritt zu wagen, den sie
sich durch ihr Organ anrathen läßt — die Suspension der Verfassung ans ein
Jahr, so kann sie vielleicht deu Widerstand vorläufig durch eine Ausdehnung des
Bclageruugszustaudes über das ganze Laud unterdrücken, aber sie kann eben, s»
versichert sein, daß die nächsten Kammern, die sie doch einmal einberufen muß,
einen Convent bilden werden. —

Wenden wir jetzt unsern Blick von Preußen auf Deutschland. Den Plänen
der preußischen Negierung stehn drei sehr verschiedne Parteien gegenüber: die na¬
tionale, die großdeutsche-ultramontane und die demokratische.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/356>, abgerufen am 15.01.2025.