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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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festgestellten Reichsverfassung. Allein diese Berufung ist null und nichtig, seitdem
Preußen die Verfassung verworfen, nud auch bei den andern Königreichen diese
Verwerfung veranlaßt hat. Wenn es daher jetzt den Erzherzog Reichsverweser
auffordert, die Reichsgewalt in seine Hände zu legen, so ist dieser in seinem
vollen Recht, darauf nicht einzugehen, ja er darf es nicht thun; denn als ihm
seine Würde durch die Nationalversammlung und in Folge dessen durch den Bun¬
destag übertragen wurde, war nicht im Entferntesten die Rede davon, daß er
seineu Nachfolger selbstständig ernennen dürfe.

Freilich hat das preußische Cabinet eine Conferenz der deutschen Fürsten
nach Berlin ausgeschrieben, um die neue Reichsverfassung dem deutschen Volk zu
octroyiren, allein es haben nur vier Staaten ihre Bevollmächtigten abgesandt,
und von diesen haben zwei entschieden die preußischen Anträge von sich gewiesen,
so daß das Ministerium sich durch sein Organ auffordern ließ, auf eigne Hand
für das Wohl des Vaterlandes zu sorgen. Ein kühner Entschluß, namentlich
wenn man die vollkommene Rathlosigkeit der Männer in Erwägung zieht, von
denen er ausgeht.

Wenn also das Ministerium mit dem dänischen Abgeordneten, Herrn v. Reedtz,
der sich jetzt in Berlin aufhält, eigenmächtig einen Vertrag abschlösse, so wäre
die natürliche Folge davon, daß zuerst die Centralgewalt ihn für ungiltig er¬
klärte, daß sämmtliche deutsche Staaten -- allenfalls mit Ausnahme von Sachsen --
sich dieser Nnllitäts-Erklärung anschlössen, daß die Herzogthümer, denen er gilt,
sich ihm nicht fügten, und daß endlich die preußischen Stände, die denn doch
wohl, trotz der frommen Wünsche der guten Regierung, noch vor Ablauf eines
Jahres einberufen werden müssen --- denn wo will sie sonst Geld hernehmen?--
daß die Vertreter des preußischen Volks selbst sich dem Votum ihrer deutschen
Brüder anschlössen.

Aber vielleicht hätte Preußen, indem es mit seinem Volke brach, eben da¬
durch die Gunst seines hohen Alliirten, des Kaisers von Rußland gewonnen?
Wer kaun es wissen? Das Ministerium gewiß nicht! Heute läßt es in der
Deutschen Reform erklären, daß eine russische Note vorhanden sei, in welcher der
Einmarsch in Jütland für einen Olsus dvlli angesehen werde, morgen wider¬
ruft es diese Erklärung, und versichert, Se. Majestät dächten liberal genug, das
preußische Cabinet seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Damals ward in die
Lärmposaune gestoßen, Deutschland solle jedes Attentat auf die Freiheit seines
Willens mit Indignation von sich weisen, jetzt ist man schon kleinlaut: natürlich
werde man seinen freien Willen ausüben, aber es müsse doch den Umständen
Rechnung getragen werden u. s. w. Von welcher Beschaffenheit also dieser Frie¬
den sein wird, kann danach das deutsche Volk schon ermessen.

Und doch ist es noch die Frage, ob der mächtige Nachbar damit zufriedenge¬
stellt sein wird, ob es überhaupt in seiner Absicht liegt, mit Preußen zufrieden


festgestellten Reichsverfassung. Allein diese Berufung ist null und nichtig, seitdem
Preußen die Verfassung verworfen, nud auch bei den andern Königreichen diese
Verwerfung veranlaßt hat. Wenn es daher jetzt den Erzherzog Reichsverweser
auffordert, die Reichsgewalt in seine Hände zu legen, so ist dieser in seinem
vollen Recht, darauf nicht einzugehen, ja er darf es nicht thun; denn als ihm
seine Würde durch die Nationalversammlung und in Folge dessen durch den Bun¬
destag übertragen wurde, war nicht im Entferntesten die Rede davon, daß er
seineu Nachfolger selbstständig ernennen dürfe.

Freilich hat das preußische Cabinet eine Conferenz der deutschen Fürsten
nach Berlin ausgeschrieben, um die neue Reichsverfassung dem deutschen Volk zu
octroyiren, allein es haben nur vier Staaten ihre Bevollmächtigten abgesandt,
und von diesen haben zwei entschieden die preußischen Anträge von sich gewiesen,
so daß das Ministerium sich durch sein Organ auffordern ließ, auf eigne Hand
für das Wohl des Vaterlandes zu sorgen. Ein kühner Entschluß, namentlich
wenn man die vollkommene Rathlosigkeit der Männer in Erwägung zieht, von
denen er ausgeht.

Wenn also das Ministerium mit dem dänischen Abgeordneten, Herrn v. Reedtz,
der sich jetzt in Berlin aufhält, eigenmächtig einen Vertrag abschlösse, so wäre
die natürliche Folge davon, daß zuerst die Centralgewalt ihn für ungiltig er¬
klärte, daß sämmtliche deutsche Staaten — allenfalls mit Ausnahme von Sachsen —
sich dieser Nnllitäts-Erklärung anschlössen, daß die Herzogthümer, denen er gilt,
sich ihm nicht fügten, und daß endlich die preußischen Stände, die denn doch
wohl, trotz der frommen Wünsche der guten Regierung, noch vor Ablauf eines
Jahres einberufen werden müssen —- denn wo will sie sonst Geld hernehmen?--
daß die Vertreter des preußischen Volks selbst sich dem Votum ihrer deutschen
Brüder anschlössen.

Aber vielleicht hätte Preußen, indem es mit seinem Volke brach, eben da¬
durch die Gunst seines hohen Alliirten, des Kaisers von Rußland gewonnen?
Wer kaun es wissen? Das Ministerium gewiß nicht! Heute läßt es in der
Deutschen Reform erklären, daß eine russische Note vorhanden sei, in welcher der
Einmarsch in Jütland für einen Olsus dvlli angesehen werde, morgen wider¬
ruft es diese Erklärung, und versichert, Se. Majestät dächten liberal genug, das
preußische Cabinet seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Damals ward in die
Lärmposaune gestoßen, Deutschland solle jedes Attentat auf die Freiheit seines
Willens mit Indignation von sich weisen, jetzt ist man schon kleinlaut: natürlich
werde man seinen freien Willen ausüben, aber es müsse doch den Umständen
Rechnung getragen werden u. s. w. Von welcher Beschaffenheit also dieser Frie¬
den sein wird, kann danach das deutsche Volk schon ermessen.

Und doch ist es noch die Frage, ob der mächtige Nachbar damit zufriedenge¬
stellt sein wird, ob es überhaupt in seiner Absicht liegt, mit Preußen zufrieden


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[0354] festgestellten Reichsverfassung. Allein diese Berufung ist null und nichtig, seitdem Preußen die Verfassung verworfen, nud auch bei den andern Königreichen diese Verwerfung veranlaßt hat. Wenn es daher jetzt den Erzherzog Reichsverweser auffordert, die Reichsgewalt in seine Hände zu legen, so ist dieser in seinem vollen Recht, darauf nicht einzugehen, ja er darf es nicht thun; denn als ihm seine Würde durch die Nationalversammlung und in Folge dessen durch den Bun¬ destag übertragen wurde, war nicht im Entferntesten die Rede davon, daß er seineu Nachfolger selbstständig ernennen dürfe. Freilich hat das preußische Cabinet eine Conferenz der deutschen Fürsten nach Berlin ausgeschrieben, um die neue Reichsverfassung dem deutschen Volk zu octroyiren, allein es haben nur vier Staaten ihre Bevollmächtigten abgesandt, und von diesen haben zwei entschieden die preußischen Anträge von sich gewiesen, so daß das Ministerium sich durch sein Organ auffordern ließ, auf eigne Hand für das Wohl des Vaterlandes zu sorgen. Ein kühner Entschluß, namentlich wenn man die vollkommene Rathlosigkeit der Männer in Erwägung zieht, von denen er ausgeht. Wenn also das Ministerium mit dem dänischen Abgeordneten, Herrn v. Reedtz, der sich jetzt in Berlin aufhält, eigenmächtig einen Vertrag abschlösse, so wäre die natürliche Folge davon, daß zuerst die Centralgewalt ihn für ungiltig er¬ klärte, daß sämmtliche deutsche Staaten — allenfalls mit Ausnahme von Sachsen — sich dieser Nnllitäts-Erklärung anschlössen, daß die Herzogthümer, denen er gilt, sich ihm nicht fügten, und daß endlich die preußischen Stände, die denn doch wohl, trotz der frommen Wünsche der guten Regierung, noch vor Ablauf eines Jahres einberufen werden müssen —- denn wo will sie sonst Geld hernehmen?-- daß die Vertreter des preußischen Volks selbst sich dem Votum ihrer deutschen Brüder anschlössen. Aber vielleicht hätte Preußen, indem es mit seinem Volke brach, eben da¬ durch die Gunst seines hohen Alliirten, des Kaisers von Rußland gewonnen? Wer kaun es wissen? Das Ministerium gewiß nicht! Heute läßt es in der Deutschen Reform erklären, daß eine russische Note vorhanden sei, in welcher der Einmarsch in Jütland für einen Olsus dvlli angesehen werde, morgen wider¬ ruft es diese Erklärung, und versichert, Se. Majestät dächten liberal genug, das preußische Cabinet seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Damals ward in die Lärmposaune gestoßen, Deutschland solle jedes Attentat auf die Freiheit seines Willens mit Indignation von sich weisen, jetzt ist man schon kleinlaut: natürlich werde man seinen freien Willen ausüben, aber es müsse doch den Umständen Rechnung getragen werden u. s. w. Von welcher Beschaffenheit also dieser Frie¬ den sein wird, kann danach das deutsche Volk schon ermessen. Und doch ist es noch die Frage, ob der mächtige Nachbar damit zufriedenge¬ stellt sein wird, ob es überhaupt in seiner Absicht liegt, mit Preußen zufrieden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/354>, abgerufen am 15.01.2025.