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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Meine Wille des Volkes zur individuellen Leidenschaft sich herausgebildet hätte; sie
sind im Gegentheil romantische Subjecte, die von der Wirklichkeit des Volkslebens
abgetrennt, in der Traumwelt eines imaginären Vaterlandes lebten, sie sind
Bürger einer Zeit, die bereits entschwunden ist. Auf die studirende Jugend wirk¬
en sie zwar erhebend und begeisternd ein, aber dem Volke wurde ihr Idealismus
nicht verständlich, und erlangte daher über die Gemüther keine bleibende Macht.
Und doch sollen die Führer einer nationalen Bewegung markige Individuen sein,
in denen sich der allgemeine Volksgeist verkörpert hat, die überall, wo sie sich
Zeigen, jubelnd auf's Schild gehoben werden, denen alle Herzen entgegenschlagen
und alle ohne Widerrede sich unterwerfen, weil das Volk nur in ihren Worten
und Thaten sich seiner bewußt werden, und eben in jenem unbedingten Gehorsam
sein Selbstgefühl an den Tag legen soll. In der Slovakei und den südslawischen
Ländern fehlte es nicht an solchen Männern; Seur und Hurban, Stratimirovic
und Knicanin sind hier zuvörderst zu nennen. Dort ist der Einzelne noch nicht
abgelöst von dem substantiellen Leben seines Volkes, er hat diese geheiligte Grund¬
lage in sich noch nicht durch Reflexion und dnrch Bildung zersetzt; im Gegentheil
tritt hier der Nation ihre vollends ausgeprägte Eigenthümlichkeit nnr in der
Individualität ihrer Führer entgegen, die gleich den Heroen des Alterthums un¬
trennbar sind von dem Boden, aus dem sie hervorgegangen.

Dort thut es auf der andern Seite auch uicht noth, die kümmerlichen Flam¬
men aus dem eignen Aschcnhäufchen her aufzublasen, und bei künstlich genährten
Feuer von fremdem Schmaus das Ragout einer "Nationalliteratur" zu brauen,
um das Volk von seiner Originalität und seinem Naturwuchs zu überzeugen; eine
ursprüngliche Glut brennt dort lichterloh durch alle Herzen, und der Mann ans
dem Volke braucht nicht erst lesen und schreiben zu müssen, um sich dessen bewußt
ZU werden, daß er ein Serbe oder Kroate ist. Bei uns dagegen droht mit der
Auflösung der "!>1at,i<-v ce-"Ki>" (so heißt nämlich das bekannte Institut zur Be¬
sorgung der Ausgabe einheimischer Werke) der czechischen Nationalität selbst ernst¬
lich Gefahr; denn diese braucht geschriebenes Zeugniß, um den Glauben an sich
selbst nicht zu verlieren, und die alten, ans dem lebendigen Gedächtniß des Vol¬
kes größtentheils entschwundenen Traditionen nicht einzubüßen. Diese doktrinäre
Grundlage der czechischen Bewegung rief alle jene phantastischen Ausschweifungen
hervor, über die sich deutsche Blätter hinreichend entsetzt haben. Da man nicht
Mehr die eigenthümliche Stammesart des Czechenthnms in ihrer unmittelbaren
Lebendigkeit vorfand, so hatte die Phantasie ti.huln i-i^u, und konnte dieselbe nach
Belieben ausmalen. Die Zeit, in der die Phantasie allein zu Hause ist, weil
sie sie auch erschaffen hat, ist die poetische; in diese versetzte sie sich nun über
alle bestimmten Zeiträume der böhmischen Geschichte zurück, und brachte von dort
zum Schrecken der treuen Deutschböhmen das mythologische Bild der Swvruost
Mit, um es aller Prosa der Vernunft zum Trotz, auf den Schauplatz der Gegen-


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Meine Wille des Volkes zur individuellen Leidenschaft sich herausgebildet hätte; sie
sind im Gegentheil romantische Subjecte, die von der Wirklichkeit des Volkslebens
abgetrennt, in der Traumwelt eines imaginären Vaterlandes lebten, sie sind
Bürger einer Zeit, die bereits entschwunden ist. Auf die studirende Jugend wirk¬
en sie zwar erhebend und begeisternd ein, aber dem Volke wurde ihr Idealismus
nicht verständlich, und erlangte daher über die Gemüther keine bleibende Macht.
Und doch sollen die Führer einer nationalen Bewegung markige Individuen sein,
in denen sich der allgemeine Volksgeist verkörpert hat, die überall, wo sie sich
Zeigen, jubelnd auf's Schild gehoben werden, denen alle Herzen entgegenschlagen
und alle ohne Widerrede sich unterwerfen, weil das Volk nur in ihren Worten
und Thaten sich seiner bewußt werden, und eben in jenem unbedingten Gehorsam
sein Selbstgefühl an den Tag legen soll. In der Slovakei und den südslawischen
Ländern fehlte es nicht an solchen Männern; Seur und Hurban, Stratimirovic
und Knicanin sind hier zuvörderst zu nennen. Dort ist der Einzelne noch nicht
abgelöst von dem substantiellen Leben seines Volkes, er hat diese geheiligte Grund¬
lage in sich noch nicht durch Reflexion und dnrch Bildung zersetzt; im Gegentheil
tritt hier der Nation ihre vollends ausgeprägte Eigenthümlichkeit nnr in der
Individualität ihrer Führer entgegen, die gleich den Heroen des Alterthums un¬
trennbar sind von dem Boden, aus dem sie hervorgegangen.

Dort thut es auf der andern Seite auch uicht noth, die kümmerlichen Flam¬
men aus dem eignen Aschcnhäufchen her aufzublasen, und bei künstlich genährten
Feuer von fremdem Schmaus das Ragout einer „Nationalliteratur" zu brauen,
um das Volk von seiner Originalität und seinem Naturwuchs zu überzeugen; eine
ursprüngliche Glut brennt dort lichterloh durch alle Herzen, und der Mann ans
dem Volke braucht nicht erst lesen und schreiben zu müssen, um sich dessen bewußt
ZU werden, daß er ein Serbe oder Kroate ist. Bei uns dagegen droht mit der
Auflösung der „!>1at,i<-v ce-«Ki>" (so heißt nämlich das bekannte Institut zur Be¬
sorgung der Ausgabe einheimischer Werke) der czechischen Nationalität selbst ernst¬
lich Gefahr; denn diese braucht geschriebenes Zeugniß, um den Glauben an sich
selbst nicht zu verlieren, und die alten, ans dem lebendigen Gedächtniß des Vol¬
kes größtentheils entschwundenen Traditionen nicht einzubüßen. Diese doktrinäre
Grundlage der czechischen Bewegung rief alle jene phantastischen Ausschweifungen
hervor, über die sich deutsche Blätter hinreichend entsetzt haben. Da man nicht
Mehr die eigenthümliche Stammesart des Czechenthnms in ihrer unmittelbaren
Lebendigkeit vorfand, so hatte die Phantasie ti.huln i-i^u, und konnte dieselbe nach
Belieben ausmalen. Die Zeit, in der die Phantasie allein zu Hause ist, weil
sie sie auch erschaffen hat, ist die poetische; in diese versetzte sie sich nun über
alle bestimmten Zeiträume der böhmischen Geschichte zurück, und brachte von dort
zum Schrecken der treuen Deutschböhmen das mythologische Bild der Swvruost
Mit, um es aller Prosa der Vernunft zum Trotz, auf den Schauplatz der Gegen-


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[0347] Meine Wille des Volkes zur individuellen Leidenschaft sich herausgebildet hätte; sie sind im Gegentheil romantische Subjecte, die von der Wirklichkeit des Volkslebens abgetrennt, in der Traumwelt eines imaginären Vaterlandes lebten, sie sind Bürger einer Zeit, die bereits entschwunden ist. Auf die studirende Jugend wirk¬ en sie zwar erhebend und begeisternd ein, aber dem Volke wurde ihr Idealismus nicht verständlich, und erlangte daher über die Gemüther keine bleibende Macht. Und doch sollen die Führer einer nationalen Bewegung markige Individuen sein, in denen sich der allgemeine Volksgeist verkörpert hat, die überall, wo sie sich Zeigen, jubelnd auf's Schild gehoben werden, denen alle Herzen entgegenschlagen und alle ohne Widerrede sich unterwerfen, weil das Volk nur in ihren Worten und Thaten sich seiner bewußt werden, und eben in jenem unbedingten Gehorsam sein Selbstgefühl an den Tag legen soll. In der Slovakei und den südslawischen Ländern fehlte es nicht an solchen Männern; Seur und Hurban, Stratimirovic und Knicanin sind hier zuvörderst zu nennen. Dort ist der Einzelne noch nicht abgelöst von dem substantiellen Leben seines Volkes, er hat diese geheiligte Grund¬ lage in sich noch nicht durch Reflexion und dnrch Bildung zersetzt; im Gegentheil tritt hier der Nation ihre vollends ausgeprägte Eigenthümlichkeit nnr in der Individualität ihrer Führer entgegen, die gleich den Heroen des Alterthums un¬ trennbar sind von dem Boden, aus dem sie hervorgegangen. Dort thut es auf der andern Seite auch uicht noth, die kümmerlichen Flam¬ men aus dem eignen Aschcnhäufchen her aufzublasen, und bei künstlich genährten Feuer von fremdem Schmaus das Ragout einer „Nationalliteratur" zu brauen, um das Volk von seiner Originalität und seinem Naturwuchs zu überzeugen; eine ursprüngliche Glut brennt dort lichterloh durch alle Herzen, und der Mann ans dem Volke braucht nicht erst lesen und schreiben zu müssen, um sich dessen bewußt ZU werden, daß er ein Serbe oder Kroate ist. Bei uns dagegen droht mit der Auflösung der „!>1at,i<-v ce-«Ki>" (so heißt nämlich das bekannte Institut zur Be¬ sorgung der Ausgabe einheimischer Werke) der czechischen Nationalität selbst ernst¬ lich Gefahr; denn diese braucht geschriebenes Zeugniß, um den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren, und die alten, ans dem lebendigen Gedächtniß des Vol¬ kes größtentheils entschwundenen Traditionen nicht einzubüßen. Diese doktrinäre Grundlage der czechischen Bewegung rief alle jene phantastischen Ausschweifungen hervor, über die sich deutsche Blätter hinreichend entsetzt haben. Da man nicht Mehr die eigenthümliche Stammesart des Czechenthnms in ihrer unmittelbaren Lebendigkeit vorfand, so hatte die Phantasie ti.huln i-i^u, und konnte dieselbe nach Belieben ausmalen. Die Zeit, in der die Phantasie allein zu Hause ist, weil sie sie auch erschaffen hat, ist die poetische; in diese versetzte sie sich nun über alle bestimmten Zeiträume der böhmischen Geschichte zurück, und brachte von dort zum Schrecken der treuen Deutschböhmen das mythologische Bild der Swvruost Mit, um es aller Prosa der Vernunft zum Trotz, auf den Schauplatz der Gegen- 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/347>, abgerufen am 15.01.2025.