Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Cultur ausgemerzt und dasselbe zu einem freien Blöken idealisirt werden. -- Die In der Abneigung gegen die "Mittelmäßigkeit" begegnet sich die eigentliche Wenn sich also die Clique über den sentimentalen Anstrich des modernen Cultur ausgemerzt und dasselbe zu einem freien Blöken idealisirt werden. — Die In der Abneigung gegen die „Mittelmäßigkeit" begegnet sich die eigentliche Wenn sich also die Clique über den sentimentalen Anstrich des modernen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278843"/> <p xml:id="ID_1021" prev="#ID_1020"> Cultur ausgemerzt und dasselbe zu einem freien Blöken idealisirt werden. — Die<lb/> Schnelligkeit, mit der man es in diesem sophistischen Spiel zur Virtuosität bringt,<lb/> ist erstaunlich. Wie in den Zeiten der Romantik, durste mau die Begriffe nur<lb/> auf den Kopf stellen, um auf der Hohe der Zeit zu stehen. Stirner war empört<lb/> darüber, daß Rudolph in den Mysterien von Paris die Leute zur Tugend ver¬<lb/> führe, während sie in der vollen Durchführung des Lasters die echt menschliche<lb/> Kraft hätten bewähren können. Ein Anderer bewies, daß in Goethe's Egmont<lb/> der Herzog von Alba eigentlich den Fortschritt repräsentire, da Egmont der hö¬<lb/> hern Staatsform, die der König ihm anbot, nichts entgegenzusetzen wisse, als 5ne<lb/> Berufung aus seine Privilegien. Edgar schrieb unter dem Namen Martin von<lb/> Geismar eine Literaturgeschichte des Zeitalters der Reformation, in welcher die<lb/> letztere als Reaction des Pöbels, der Bourgeoisie, der Lumpe, gegen die freie<lb/> Eigenthümlichkeit des Adels dargestellt wurde: das Christenthum habe theoretisch<lb/> die Lumperei proclamirt, die Reformation habe sie praktisch gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1022"> In der Abneigung gegen die „Mittelmäßigkeit" begegnet sich die eigentliche<lb/> Demokratie und die Aristokratie; beide verachten die bürgerliche Sittlichkeit, die<lb/> öffentliche Meinung, Gesinnung und was dahin gehört. Der Edelmann, Student,<lb/> «der was sich sonst zur Exclustvität rechnet, schlägt den Philister mit der Reitpeitsche;<lb/> der Demokrat speit seinen Kautabak auf die reichen Teppiche des Bürgers. Der<lb/> Aristokrat streckt die Beine zu den Wagenfenstern heraus, der Lazaroni wälzt sich<lb/> heulend auf der Gasse; dem Bürger würde Beides schrecklich sein, Der Edelmann<lb/> hat sein Duell, der Mann deö Volks seine Prügel, der Bürger ist für das Gesetz.<lb/> Der Vornehme hat das Recht des Spleens, der Pöbel ist ungezogen, der Phi¬<lb/> lister ist so sittlich wie verständig. Er wird es nicht billigen, wenn der Junker<lb/> sich Mätressen hält, oder wenn der Matrose in schlechte Häuser geht. Aber es<lb/> 'se doch ein Unterschied zwischen Frechheit und Gemeinheit. Mau lese in Wigand's<lb/> Epigonen, die Schilderung, die Edgar von seinem Transport nach Magdeburg<lb/> wacht. Er macht einem Frauenzimmer, das wegen wiederholten Diebstahls ein¬<lb/> gesperrt wird, die Cour, gibt sich mit ihr aus die Zeiten der Freiheit ein Rendezvous,<lb/> U"d geht mit dem übrigen Gesinde! um, als wären es seines Gleichen. Der junge<lb/> Aristokrat geht auch gern mit schlechtem Volk um, aber nnr, weil er es bequemer<lb/> "ut Füßen treten kann. Und plumper noch, als der naive Gamin, ist der Gamin<lb/> aus Reflexion, der sich in schlechten Häuser» herumtreibt, nicht weil es ihm Ver¬<lb/> zügen macht, soudern um zu zeigen, daß er über die bürgerliche Sittlichkeit<lb/> hinaus wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1023" next="#ID_1024"> Wenn sich also die Clique über den sentimentalen Anstrich des modernen<lb/> Philisterthums, über diese Mischung von Idealismus und Filzigkeit, wie es dem<lb/> deutsche,, Jerome Paturot eigen ist, lustig machte, so merkte sie dabei nicht, wie sehr<lb/> lie in jene Kategorie gehörte. So sehr sich die Kritik der Masse entgegengesetzt, sobraucht sie doch eine Sphäre, in der sie gilt. Abgesehen von einzelnen jungen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
Cultur ausgemerzt und dasselbe zu einem freien Blöken idealisirt werden. — Die
Schnelligkeit, mit der man es in diesem sophistischen Spiel zur Virtuosität bringt,
ist erstaunlich. Wie in den Zeiten der Romantik, durste mau die Begriffe nur
auf den Kopf stellen, um auf der Hohe der Zeit zu stehen. Stirner war empört
darüber, daß Rudolph in den Mysterien von Paris die Leute zur Tugend ver¬
führe, während sie in der vollen Durchführung des Lasters die echt menschliche
Kraft hätten bewähren können. Ein Anderer bewies, daß in Goethe's Egmont
der Herzog von Alba eigentlich den Fortschritt repräsentire, da Egmont der hö¬
hern Staatsform, die der König ihm anbot, nichts entgegenzusetzen wisse, als 5ne
Berufung aus seine Privilegien. Edgar schrieb unter dem Namen Martin von
Geismar eine Literaturgeschichte des Zeitalters der Reformation, in welcher die
letztere als Reaction des Pöbels, der Bourgeoisie, der Lumpe, gegen die freie
Eigenthümlichkeit des Adels dargestellt wurde: das Christenthum habe theoretisch
die Lumperei proclamirt, die Reformation habe sie praktisch gemacht.
In der Abneigung gegen die „Mittelmäßigkeit" begegnet sich die eigentliche
Demokratie und die Aristokratie; beide verachten die bürgerliche Sittlichkeit, die
öffentliche Meinung, Gesinnung und was dahin gehört. Der Edelmann, Student,
«der was sich sonst zur Exclustvität rechnet, schlägt den Philister mit der Reitpeitsche;
der Demokrat speit seinen Kautabak auf die reichen Teppiche des Bürgers. Der
Aristokrat streckt die Beine zu den Wagenfenstern heraus, der Lazaroni wälzt sich
heulend auf der Gasse; dem Bürger würde Beides schrecklich sein, Der Edelmann
hat sein Duell, der Mann deö Volks seine Prügel, der Bürger ist für das Gesetz.
Der Vornehme hat das Recht des Spleens, der Pöbel ist ungezogen, der Phi¬
lister ist so sittlich wie verständig. Er wird es nicht billigen, wenn der Junker
sich Mätressen hält, oder wenn der Matrose in schlechte Häuser geht. Aber es
'se doch ein Unterschied zwischen Frechheit und Gemeinheit. Mau lese in Wigand's
Epigonen, die Schilderung, die Edgar von seinem Transport nach Magdeburg
wacht. Er macht einem Frauenzimmer, das wegen wiederholten Diebstahls ein¬
gesperrt wird, die Cour, gibt sich mit ihr aus die Zeiten der Freiheit ein Rendezvous,
U"d geht mit dem übrigen Gesinde! um, als wären es seines Gleichen. Der junge
Aristokrat geht auch gern mit schlechtem Volk um, aber nnr, weil er es bequemer
"ut Füßen treten kann. Und plumper noch, als der naive Gamin, ist der Gamin
aus Reflexion, der sich in schlechten Häuser» herumtreibt, nicht weil es ihm Ver¬
zügen macht, soudern um zu zeigen, daß er über die bürgerliche Sittlichkeit
hinaus wäre.
Wenn sich also die Clique über den sentimentalen Anstrich des modernen
Philisterthums, über diese Mischung von Idealismus und Filzigkeit, wie es dem
deutsche,, Jerome Paturot eigen ist, lustig machte, so merkte sie dabei nicht, wie sehr
lie in jene Kategorie gehörte. So sehr sich die Kritik der Masse entgegengesetzt, sobraucht sie doch eine Sphäre, in der sie gilt. Abgesehen von einzelnen jungen
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