Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.beweist, das Recht nur zum Vorwand nahm, andere Zwecke, die nicht im Recht Am schärfsten verfuhr die Kritik gegen ihre ehemaligen Verbündeten, die Ra¬ 42*
beweist, das Recht nur zum Vorwand nahm, andere Zwecke, die nicht im Recht Am schärfsten verfuhr die Kritik gegen ihre ehemaligen Verbündeten, die Ra¬ 42*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278841"/> <p xml:id="ID_1017" prev="#ID_1016"> beweist, das Recht nur zum Vorwand nahm, andere Zwecke, die nicht im Recht<lb/> begründet waren, durchzusetzen; also gegen die Unehrlichkeit dieser abstrakt juristi¬<lb/> schen Deductionen, mit denen man den Gegner nur beschwatzen wollte. Aber<lb/> die politische Polemik der Schule war um nichts besser; denn in der Politik<lb/> wird durch abstrakte Kritik nichts gefördert, und was sie Positives geleistet hat,<lb/> beschränkt sich ans die Angriffe Ludwig Buhl's gegen die v. Nagler'sche Postver-<lb/> waltung, wofür er alle Vierteljahre einmal das Martyrium einer Festungshaft über¬<lb/> nahm. Bis zu welcher Absurdität aber die Theorie von der Unzulänglichkeit des<lb/> gesetzliche» Fortschritts getrieben werdeu konnte, mag ein Beispiel lehren. Ein<lb/> ungelehrter Mann, Reichard, verdorbener Buchdrucker, hatte sich in den Kreis<lb/> der Bauer begeben, deren Verwandter er war, ihre Ideen eingesogen und als<lb/> Mann des Volks an ihrer Literaturzeitung mitgearbeitet — die beiläufig neben<lb/> sehr pathetischen Manifesten, auch Kritiken unbezahlter Schnciderrechnungen, schlechte<lb/> Novellen u. dergl. enthielt, alles als Symptome der allgemeinen Fäulniß. Spä¬<lb/> ter, als er wegen gar zu mangelhafter Bildung von der „heiligen Familie" aus¬<lb/> geschlossen wurde, forderte er den Staat auf, ihn aus seine Kosten Socialismus<lb/> studiren zu lassen, um später an der Reorganisation des Staats arbeiten zu kön¬<lb/> nen. In Berlin trug er sich mit einer Reihe von Broschüren über locale Ver¬<lb/> hältnisse, vom Standpunkt der souveränen Kritik aus aufgefaßt, einmal unter<lb/> andern über das Verhältniß der Schneider zu deu Juden, die durch Kleiderfabri-<lb/> kation ihnen in das Handwerk pfuschten. Die Schneider hatten sich an den Staat<lb/> gewendet, um diesem Uebelstand abzuhelfen, Reichard aber klärte sie über die<lb/> Nichtsnutzigkeit des Rechtsbodeus auf, und ermunterte sie, lieber auf revolutionäre<lb/> Weise, als durch Anrufung des unproductiven Staats, der Niemanden emanci-<lb/> piren könne, sich ihrer Gegner zu entledigen. — Auch aus der Carricatur darf<lb/> man ans das Vorbild schließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1018" next="#ID_1019"> Am schärfsten verfuhr die Kritik gegen ihre ehemaligen Verbündeten, die Ra¬<lb/> dialen, sowohl in Beziehung auf ihre Polemik gegen die Regierung als auf das<lb/> Positive, das sie brachten. Der Radikalismus hatte die Regierung mit einem<lb/> gewissen unwilligen Erstaunen gefragt, warum sie nicht auf seine Ideen einginge;<lb/> die Kritik wies nach, daß sie ihrem Begriff nach so handeln müsse wie sie han¬<lb/> delte. Dieser Nachweis athmete nicht die althcgeliauische Befriedigung, sie fand<lb/> "icht, das Alles gut sei, wie es ist, sie weidete sich nur mit einer gewissen krank¬<lb/> haften Wollust an der Niederträchtigkeit, die sie als nothwendig zu begreifen<lb/> weinte. In einer Schrift: „Der Streit der Kritik mit Staat und Kirche" — die<lb/> beiläufig eingestampft wurde und ihren Verfasser Edgar nach Magdeburg brachte,<lb/> bis die Revolution ihn befreite — waren die Verfolgungen gegen die Kritik _<lb/> die Festungshaft freilich noch nicht mit eingeschlossen — als unvermeidliches Re¬<lb/> sultat der Geschichte dargestellt: sie mußte abgesetzt, ceustrt, verboten werden,<lb/> auf das erfüllt würde, was geschrieben steht u. s. w. Der eingesperrte Theil der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
beweist, das Recht nur zum Vorwand nahm, andere Zwecke, die nicht im Recht
begründet waren, durchzusetzen; also gegen die Unehrlichkeit dieser abstrakt juristi¬
schen Deductionen, mit denen man den Gegner nur beschwatzen wollte. Aber
die politische Polemik der Schule war um nichts besser; denn in der Politik
wird durch abstrakte Kritik nichts gefördert, und was sie Positives geleistet hat,
beschränkt sich ans die Angriffe Ludwig Buhl's gegen die v. Nagler'sche Postver-
waltung, wofür er alle Vierteljahre einmal das Martyrium einer Festungshaft über¬
nahm. Bis zu welcher Absurdität aber die Theorie von der Unzulänglichkeit des
gesetzliche» Fortschritts getrieben werdeu konnte, mag ein Beispiel lehren. Ein
ungelehrter Mann, Reichard, verdorbener Buchdrucker, hatte sich in den Kreis
der Bauer begeben, deren Verwandter er war, ihre Ideen eingesogen und als
Mann des Volks an ihrer Literaturzeitung mitgearbeitet — die beiläufig neben
sehr pathetischen Manifesten, auch Kritiken unbezahlter Schnciderrechnungen, schlechte
Novellen u. dergl. enthielt, alles als Symptome der allgemeinen Fäulniß. Spä¬
ter, als er wegen gar zu mangelhafter Bildung von der „heiligen Familie" aus¬
geschlossen wurde, forderte er den Staat auf, ihn aus seine Kosten Socialismus
studiren zu lassen, um später an der Reorganisation des Staats arbeiten zu kön¬
nen. In Berlin trug er sich mit einer Reihe von Broschüren über locale Ver¬
hältnisse, vom Standpunkt der souveränen Kritik aus aufgefaßt, einmal unter
andern über das Verhältniß der Schneider zu deu Juden, die durch Kleiderfabri-
kation ihnen in das Handwerk pfuschten. Die Schneider hatten sich an den Staat
gewendet, um diesem Uebelstand abzuhelfen, Reichard aber klärte sie über die
Nichtsnutzigkeit des Rechtsbodeus auf, und ermunterte sie, lieber auf revolutionäre
Weise, als durch Anrufung des unproductiven Staats, der Niemanden emanci-
piren könne, sich ihrer Gegner zu entledigen. — Auch aus der Carricatur darf
man ans das Vorbild schließen.
Am schärfsten verfuhr die Kritik gegen ihre ehemaligen Verbündeten, die Ra¬
dialen, sowohl in Beziehung auf ihre Polemik gegen die Regierung als auf das
Positive, das sie brachten. Der Radikalismus hatte die Regierung mit einem
gewissen unwilligen Erstaunen gefragt, warum sie nicht auf seine Ideen einginge;
die Kritik wies nach, daß sie ihrem Begriff nach so handeln müsse wie sie han¬
delte. Dieser Nachweis athmete nicht die althcgeliauische Befriedigung, sie fand
"icht, das Alles gut sei, wie es ist, sie weidete sich nur mit einer gewissen krank¬
haften Wollust an der Niederträchtigkeit, die sie als nothwendig zu begreifen
weinte. In einer Schrift: „Der Streit der Kritik mit Staat und Kirche" — die
beiläufig eingestampft wurde und ihren Verfasser Edgar nach Magdeburg brachte,
bis die Revolution ihn befreite — waren die Verfolgungen gegen die Kritik _
die Festungshaft freilich noch nicht mit eingeschlossen — als unvermeidliches Re¬
sultat der Geschichte dargestellt: sie mußte abgesetzt, ceustrt, verboten werden,
auf das erfüllt würde, was geschrieben steht u. s. w. Der eingesperrte Theil der
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