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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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hohem Ideen darstellte, und wo möglich einige Redensarten, wie "Immanenz
und Transcendenz" einfließen ließ, so geriet!) Meister Ruge vor Entzücken außer
sich. Mit Gervinus war es anders, er war froh, daß nur irgend "etwas ge¬
schah," daß man von der blos destructiven Opposition endlich zum Aufbauen
überging. Freilich übersah er dabei, daß mit dem Aufbauen von Kartenhäusern
für die Cultur uicht viel gethan ist. Aber die Kritik verfiel in den entgegenge-
setzten Fehler. Sie verkannte das Recht des gesunden Menschenverstandes, durch
einen einfachen Protest die Gespenster von sich zu scheuchen, die sich in eine ihnen
fremd gewordene Welt eindrängen wollen. Wenn anf die Wallfahrt zum heiligen
Rock und den Spuk, der dabei getrieben wurde, wenn auf den Glaubenszwang
der Eichhorn'schen Schule der gemeine Menschenverstand nichts weiter erwiderte,
als: das ist ja Unsinn! so war er in seinem vollen Recht, er erreichte seinen
Zweck sicherer, als die gelehrte Kritik, und irrte nur darin, daß er nnn etwas
Positives ausgestellt zu haben glaubte. Das ästhetische Mißfallen der Kritik an
dem hohlen Pathos engbrüstiger Schwächlinge, an der leeren Phrasenwirthschaft
war ganz begründet, und sie vergaß nur, daß ihre eignen Dogmen -- z. B. von
der Dummheit Norge's und der Gemeinheit Uhlich's -- in ihrem Kreise eben so
phrasenhaft ausgebeutet wurden, als es von den Lichtfrennden geschah.

Der religiöse Liberalismus entsprang nur aus dem Mangel an einer vernünf¬
tigen Beschäftigung; er war in sich selbst eine Lüge, weil er von der Indifferenz
ausging und doch eine Kirche gründen wollte. Anders schien es sich mit dem
politischen Liberalismus zu verhalten, der wenigstens auf ein bestimmtes Ziel los¬
steuerte, auf die Durchführung des constitutionellen Systems in den einzelnen
Staaten und die Vereinigung Deutschlands zu einem politischen Ganzen. Die An¬
grisse der Kritik gingen sowohl auf den Inhalt als auf die Form, in der sich
diese Richtung geltend machte. Sie stellte den constitutionellen Staat als einen
in sich unwahren und unhaltbaren dar; welche Behauptung sie aber mehr durch
heftige Versicherungen als durch Gründe verfocht. Gegründeter war ihre Bekäm-
pfung der Mittel, deren sich der politische Liberalismus bediente. Er stützte sich
namentlich in Preußen ans den Rechtsboden, d. h. anf die königlichen Verspre¬
chungen von 1815 und 182Z. Die Kritik behauptete einmal, das absolute Recht
habe in Staatsangelegenheiten nicht mitzusprechen, der Staat sei befugt, es auf¬
zuheben, wenn es seinen Zwecken widerspräche, sie behauptete ferner, das Recht
sei eine schlechte Waffe gegen die Macht, die es nicht anerkennen wolle, gegen
die Gewalt helfe nur Gewalt. Beide Behauptungen waren einseitig. Eine Rechts¬
verletzung erschüttert die sittlichen Grundlagen des Staates und widerspricht daher
seinen Zwecken auf das Entschiedenste; und gesetzliche Agitation ist auch Gewalt,
denn die öffentliche Meinung steht nicht blos vor der Thür, sie dringt in die ge¬
heimen Cabinette ein und macht sich an der Negierung geltend. Aber die Kritik hatte
Recht gegen das Verfahren z. B. eines Jacoby, der, wie sein späteres Auftreten


hohem Ideen darstellte, und wo möglich einige Redensarten, wie „Immanenz
und Transcendenz" einfließen ließ, so geriet!) Meister Ruge vor Entzücken außer
sich. Mit Gervinus war es anders, er war froh, daß nur irgend „etwas ge¬
schah," daß man von der blos destructiven Opposition endlich zum Aufbauen
überging. Freilich übersah er dabei, daß mit dem Aufbauen von Kartenhäusern
für die Cultur uicht viel gethan ist. Aber die Kritik verfiel in den entgegenge-
setzten Fehler. Sie verkannte das Recht des gesunden Menschenverstandes, durch
einen einfachen Protest die Gespenster von sich zu scheuchen, die sich in eine ihnen
fremd gewordene Welt eindrängen wollen. Wenn anf die Wallfahrt zum heiligen
Rock und den Spuk, der dabei getrieben wurde, wenn auf den Glaubenszwang
der Eichhorn'schen Schule der gemeine Menschenverstand nichts weiter erwiderte,
als: das ist ja Unsinn! so war er in seinem vollen Recht, er erreichte seinen
Zweck sicherer, als die gelehrte Kritik, und irrte nur darin, daß er nnn etwas
Positives ausgestellt zu haben glaubte. Das ästhetische Mißfallen der Kritik an
dem hohlen Pathos engbrüstiger Schwächlinge, an der leeren Phrasenwirthschaft
war ganz begründet, und sie vergaß nur, daß ihre eignen Dogmen — z. B. von
der Dummheit Norge's und der Gemeinheit Uhlich's — in ihrem Kreise eben so
phrasenhaft ausgebeutet wurden, als es von den Lichtfrennden geschah.

Der religiöse Liberalismus entsprang nur aus dem Mangel an einer vernünf¬
tigen Beschäftigung; er war in sich selbst eine Lüge, weil er von der Indifferenz
ausging und doch eine Kirche gründen wollte. Anders schien es sich mit dem
politischen Liberalismus zu verhalten, der wenigstens auf ein bestimmtes Ziel los¬
steuerte, auf die Durchführung des constitutionellen Systems in den einzelnen
Staaten und die Vereinigung Deutschlands zu einem politischen Ganzen. Die An¬
grisse der Kritik gingen sowohl auf den Inhalt als auf die Form, in der sich
diese Richtung geltend machte. Sie stellte den constitutionellen Staat als einen
in sich unwahren und unhaltbaren dar; welche Behauptung sie aber mehr durch
heftige Versicherungen als durch Gründe verfocht. Gegründeter war ihre Bekäm-
pfung der Mittel, deren sich der politische Liberalismus bediente. Er stützte sich
namentlich in Preußen ans den Rechtsboden, d. h. anf die königlichen Verspre¬
chungen von 1815 und 182Z. Die Kritik behauptete einmal, das absolute Recht
habe in Staatsangelegenheiten nicht mitzusprechen, der Staat sei befugt, es auf¬
zuheben, wenn es seinen Zwecken widerspräche, sie behauptete ferner, das Recht
sei eine schlechte Waffe gegen die Macht, die es nicht anerkennen wolle, gegen
die Gewalt helfe nur Gewalt. Beide Behauptungen waren einseitig. Eine Rechts¬
verletzung erschüttert die sittlichen Grundlagen des Staates und widerspricht daher
seinen Zwecken auf das Entschiedenste; und gesetzliche Agitation ist auch Gewalt,
denn die öffentliche Meinung steht nicht blos vor der Thür, sie dringt in die ge¬
heimen Cabinette ein und macht sich an der Negierung geltend. Aber die Kritik hatte
Recht gegen das Verfahren z. B. eines Jacoby, der, wie sein späteres Auftreten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/330>, abgerufen am 15.01.2025.