Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Vorrath fertiger sittlich-politisch-religiöser Vorstellung, den man haben Miß, um Die Gesinnungslosigkeit der Kritik wurde nun praktisch erwiesen durch eine Der Liberalismus war eigentlich nichts, als einerseits die Scheu vor Extre¬ r-nzbvtm. II. 18i". 4?,
Vorrath fertiger sittlich-politisch-religiöser Vorstellung, den man haben Miß, um Die Gesinnungslosigkeit der Kritik wurde nun praktisch erwiesen durch eine Der Liberalismus war eigentlich nichts, als einerseits die Scheu vor Extre¬ r-nzbvtm. II. 18i». 4?,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278839"/> <p xml:id="ID_1012" prev="#ID_1011"> Vorrath fertiger sittlich-politisch-religiöser Vorstellung, den man haben Miß, um<lb/> ihr bequem zu sein. Daß die Kritik, wie die Wissenschaft überhaupt, gesinnungs¬<lb/> los (früher sagte man unparteiisch) sein muß, ist etwas so triviales, daß man<lb/> nicht wüßte, wo das Erstannen über jenes Manifest eigentlich herkam, wenn man<lb/> »icht erwägt, daß „die Kritik" nur ein Euphemismus war für „Bruno Bauer,"<lb/> wie man ,',Se. Majestät" sagt. Die Gesinnungslosigkeit, Grundsatzlosigke.it des<lb/> Einzelne» ist aber ein Unding, (»me jede Handlung geht von Maximen aus, die<lb/> man fertig in sich hat, wenn man sich darüber auch im Augenblick keine Rechen¬<lb/> schaft gibt. Bruno Bauer würde im höchsten G'.abe darüber empört sein, wenn<lb/> man ihm die Fähigkeit zutraute, sich zu verkaufen. Daß er es nicht thut, ist<lb/> aber eben Gesinnung, und der Schüler Hegel's wird die erste Grundlage dersel¬<lb/> ben , die Unmittelbarkeit einer edlen Natur, nicht über den geistigen Erwerb einer<lb/> sittlichen Maxime erheben wollen. Die scheinbare Paradoxie liegt also nur in der<lb/> Ungezogenheit der Form. „Der Philister," sagt Max Stirner, Bauer's Mit¬<lb/> kritiker, „hält König Franz für einen gemeinen Menschen, weil er sein Wort brach.<lb/> Welche Thorheit!" Ist es möglich, ruft der Philister, Stirner sanktionirt den<lb/> Wortbruch? Man höre weiter! „Vielmehr brach König Franz sein Wort, weil<lb/> er ein gemeiner Mensch war!" Eine Sophistik, die nach der ersten Schulbank<lb/> schmeckt. Natürlich ist der Wortbruch nicht der Grund, sondern das Kriterium<lb/> der Gemeinheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1013"> Die Gesinnungslosigkeit der Kritik wurde nun praktisch erwiesen durch eine<lb/> heftige Polemik gegen die Koryphäen deö Tages, gegen den religiösen und poli¬<lb/> tischen Liberalismus, deu Ausdruck der bürgerlichen Mittelmäßigkeit. Die unter¬<lb/> geordneten Anhänger der Kritik wandten noch immer das alte Stichwort an: sie<lb/> gehen nicht weil genug; es lag aber jener Polemik ein sehr gerechtfertigtes, ästhe¬<lb/> tisch-sittliches Mißfallen zu Grunde, das nur den einzigen Fehler hatte, unpro-<lb/> ductiv zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1014" next="#ID_1015"> Der Liberalismus war eigentlich nichts, als einerseits die Scheu vor Extre¬<lb/> men, andererseits der Ausdruck der innern Unruhe, welche die Zeit bewegte, ohne<lb/> sich über ihren Grund recht klar zu sein. Sie sucht nach einem Gegenstand und<lb/> "greift deu ersten besten. Am deutlichsten tritt dies bei dem religiösen Liberalis¬<lb/> mus hervor. Man kann sich keine größere Misere denken, als die religiösen An¬<lb/> schauungen, welche die Deutschkatholiken und die protestantischen Lichtfreunde zu<lb/> Tage gefördert haben. Dennoch ließen sich Männer wie Gervinus und Ruge zu<lb/> glänzender Anerkennung hinreißen. Bei Ruge war es sehr erklärlich; es war<lb/> Geistesverwandschaft, er hörte seine eignen Redensarten wieder, und war voll¬<lb/> kommen davon überzeugt, daß nun die Vernunft in der Welt wieder hergestellt<lb/> wäre. Wenn nun gar Dowiat, nachdem er in seinem weißen Gewand die Masse<lb/> der Philister zu einer eben so lauten als stoffloser Begeisterung hingerissen hatte,<lb/> sich dann beim Glase Wein über sie lustig machte, sie nur als Werkzeuge seiner<lb/> G</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> r-nzbvtm. II. 18i». 4?,</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
Vorrath fertiger sittlich-politisch-religiöser Vorstellung, den man haben Miß, um
ihr bequem zu sein. Daß die Kritik, wie die Wissenschaft überhaupt, gesinnungs¬
los (früher sagte man unparteiisch) sein muß, ist etwas so triviales, daß man
nicht wüßte, wo das Erstannen über jenes Manifest eigentlich herkam, wenn man
»icht erwägt, daß „die Kritik" nur ein Euphemismus war für „Bruno Bauer,"
wie man ,',Se. Majestät" sagt. Die Gesinnungslosigkeit, Grundsatzlosigke.it des
Einzelne» ist aber ein Unding, (»me jede Handlung geht von Maximen aus, die
man fertig in sich hat, wenn man sich darüber auch im Augenblick keine Rechen¬
schaft gibt. Bruno Bauer würde im höchsten G'.abe darüber empört sein, wenn
man ihm die Fähigkeit zutraute, sich zu verkaufen. Daß er es nicht thut, ist
aber eben Gesinnung, und der Schüler Hegel's wird die erste Grundlage dersel¬
ben , die Unmittelbarkeit einer edlen Natur, nicht über den geistigen Erwerb einer
sittlichen Maxime erheben wollen. Die scheinbare Paradoxie liegt also nur in der
Ungezogenheit der Form. „Der Philister," sagt Max Stirner, Bauer's Mit¬
kritiker, „hält König Franz für einen gemeinen Menschen, weil er sein Wort brach.
Welche Thorheit!" Ist es möglich, ruft der Philister, Stirner sanktionirt den
Wortbruch? Man höre weiter! „Vielmehr brach König Franz sein Wort, weil
er ein gemeiner Mensch war!" Eine Sophistik, die nach der ersten Schulbank
schmeckt. Natürlich ist der Wortbruch nicht der Grund, sondern das Kriterium
der Gemeinheit.
Die Gesinnungslosigkeit der Kritik wurde nun praktisch erwiesen durch eine
heftige Polemik gegen die Koryphäen deö Tages, gegen den religiösen und poli¬
tischen Liberalismus, deu Ausdruck der bürgerlichen Mittelmäßigkeit. Die unter¬
geordneten Anhänger der Kritik wandten noch immer das alte Stichwort an: sie
gehen nicht weil genug; es lag aber jener Polemik ein sehr gerechtfertigtes, ästhe¬
tisch-sittliches Mißfallen zu Grunde, das nur den einzigen Fehler hatte, unpro-
ductiv zu sein.
Der Liberalismus war eigentlich nichts, als einerseits die Scheu vor Extre¬
men, andererseits der Ausdruck der innern Unruhe, welche die Zeit bewegte, ohne
sich über ihren Grund recht klar zu sein. Sie sucht nach einem Gegenstand und
"greift deu ersten besten. Am deutlichsten tritt dies bei dem religiösen Liberalis¬
mus hervor. Man kann sich keine größere Misere denken, als die religiösen An¬
schauungen, welche die Deutschkatholiken und die protestantischen Lichtfreunde zu
Tage gefördert haben. Dennoch ließen sich Männer wie Gervinus und Ruge zu
glänzender Anerkennung hinreißen. Bei Ruge war es sehr erklärlich; es war
Geistesverwandschaft, er hörte seine eignen Redensarten wieder, und war voll¬
kommen davon überzeugt, daß nun die Vernunft in der Welt wieder hergestellt
wäre. Wenn nun gar Dowiat, nachdem er in seinem weißen Gewand die Masse
der Philister zu einer eben so lauten als stoffloser Begeisterung hingerissen hatte,
sich dann beim Glase Wein über sie lustig machte, sie nur als Werkzeuge seiner
G
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