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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Deutschkatholiken. Es'waren die zersprengten Freicorps des gesammten Radica-
lismus, dessen bisherige Concentration durch das ziemlich gleichzeitige Einschreiten
der Regierungen gehemmt war. Das Verbot der rheinischen Zeitung, der Jahrbü¬
cher durch das Votum der zweiten sächsischen Kammer bestätigt -- der allge¬
meinen Leipziger, welche als Klatschblatt des Radikalismus damals selbst bei den
Regierungen in ziemlichem Ansehn stand, der Wescrzcituug, selbst der kleinen Lo¬
komotive, folgten einander aus dem Fuße. In Berlin etablirte sich nnn jenes
Korrespondenzen-Bureau, welches sämmtliche Zeitungen Deutschlands und einige
französischen versorgte, und die abstracte Berliner Literatur in den Angen des
Publicums zum Mittelpunkt der weltgeschichtlichen Bewegung machte. Der Hori¬
zont dieses Kreises war enge genug, er beschränkte sich eigentlich auf ihre per¬
sönlichen Verhältnisse. Da man, Dank der Geheimnißkrämerei seiner Hohenpriester,
vom Staatswesen nichts erfuhr, so war man floh, wenigstens von dem souveränen
Stehely'sehen Kaffeehaus etwas Neues zu hören. Die Weltgeschichte, welche man
hier machte, bestand darin, daß man Tag für Tag eine neue Persönlichkeit und
einen neuen politisch-religiösen Standpunkt für verbraucht, für überwunden erklärte.
Die Rapidität dieser geistigen Wiedergeburten stieg ins Unglaubliche. "Auf wel¬
chen Standpunkt sind wir indeß gelangt?" fragte mich ein Freund, als er acht
Tage von Berlin verreist war. Bruno Bauer hatte einen Band der Culturge¬
schichte des 18. Jahrhunderts geschrieben. Das Censurgericht hielt ihn zwei Mo¬
nate zurück. Höchst ergrimmt, schrieb er an die Behörde: In dieser Zeit ist
"die Kritik" schon auf einem weit höher" Standpunkt angelangt, "sie" hält das
M- uicht mehr wahr, was sie damals geschrieben hat, aber das Publikum ist
doch begierig, zu erfahren, was "sie" vor zwei Monaten gedacht hat. Es war
also so weit gekommen, daß man die kritische Unsicherheit, den Mangel an festen
Principien als ein wesentliches Moment geschichtlicher Bildungsfähigkeit zu rüh¬
men wagte.

Die Fortschritte erfolgten jedesmal in einem Manifest, ruckweise; man de-
crctirte das neue Glaubensbekenntniß. Arnold Ruge hatte in den Jahrbüchern
diese Methode populär gemacht. Daher kam es, daß die gesammte radicale Lite¬
ratur, die stets in ihrem eignen Kreise sich bewegte, bei aller Verachtung gegen
die Außenwelt sich unter einander selbst mit grenzenloser Geringschätzung betrach¬
te. Es gab kaum einen, den nicht ein Anderer, was den Standpunkt betraf,
überflügelte und darum als zurückgebliebenen Philister ansah. Das hindert nicht,
bei feierlichen Gelegenheiten im Rausch der Begeisterung der Welt den Fehde¬
handschuh hinzuwerfen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo Herwegh und
Hoffmann v. Fallersleben auf ihrem TriumplMg durch Deutschland auch die
Berliner Kritik heimsuchten. Zwar wurden sie als deutschthümelnde Philister auf
herzlichste ausgelacht, aber im Taumel des Freiheitsgefühls lag sich denn dochwieder Alles in den Armen. Ein alter Burschenschafter, mit ehrwürdigen Bart,


Deutschkatholiken. Es'waren die zersprengten Freicorps des gesammten Radica-
lismus, dessen bisherige Concentration durch das ziemlich gleichzeitige Einschreiten
der Regierungen gehemmt war. Das Verbot der rheinischen Zeitung, der Jahrbü¬
cher durch das Votum der zweiten sächsischen Kammer bestätigt — der allge¬
meinen Leipziger, welche als Klatschblatt des Radikalismus damals selbst bei den
Regierungen in ziemlichem Ansehn stand, der Wescrzcituug, selbst der kleinen Lo¬
komotive, folgten einander aus dem Fuße. In Berlin etablirte sich nnn jenes
Korrespondenzen-Bureau, welches sämmtliche Zeitungen Deutschlands und einige
französischen versorgte, und die abstracte Berliner Literatur in den Angen des
Publicums zum Mittelpunkt der weltgeschichtlichen Bewegung machte. Der Hori¬
zont dieses Kreises war enge genug, er beschränkte sich eigentlich auf ihre per¬
sönlichen Verhältnisse. Da man, Dank der Geheimnißkrämerei seiner Hohenpriester,
vom Staatswesen nichts erfuhr, so war man floh, wenigstens von dem souveränen
Stehely'sehen Kaffeehaus etwas Neues zu hören. Die Weltgeschichte, welche man
hier machte, bestand darin, daß man Tag für Tag eine neue Persönlichkeit und
einen neuen politisch-religiösen Standpunkt für verbraucht, für überwunden erklärte.
Die Rapidität dieser geistigen Wiedergeburten stieg ins Unglaubliche. „Auf wel¬
chen Standpunkt sind wir indeß gelangt?" fragte mich ein Freund, als er acht
Tage von Berlin verreist war. Bruno Bauer hatte einen Band der Culturge¬
schichte des 18. Jahrhunderts geschrieben. Das Censurgericht hielt ihn zwei Mo¬
nate zurück. Höchst ergrimmt, schrieb er an die Behörde: In dieser Zeit ist
"die Kritik" schon auf einem weit höher» Standpunkt angelangt, „sie" hält das
M- uicht mehr wahr, was sie damals geschrieben hat, aber das Publikum ist
doch begierig, zu erfahren, was „sie" vor zwei Monaten gedacht hat. Es war
also so weit gekommen, daß man die kritische Unsicherheit, den Mangel an festen
Principien als ein wesentliches Moment geschichtlicher Bildungsfähigkeit zu rüh¬
men wagte.

Die Fortschritte erfolgten jedesmal in einem Manifest, ruckweise; man de-
crctirte das neue Glaubensbekenntniß. Arnold Ruge hatte in den Jahrbüchern
diese Methode populär gemacht. Daher kam es, daß die gesammte radicale Lite¬
ratur, die stets in ihrem eignen Kreise sich bewegte, bei aller Verachtung gegen
die Außenwelt sich unter einander selbst mit grenzenloser Geringschätzung betrach¬
te. Es gab kaum einen, den nicht ein Anderer, was den Standpunkt betraf,
überflügelte und darum als zurückgebliebenen Philister ansah. Das hindert nicht,
bei feierlichen Gelegenheiten im Rausch der Begeisterung der Welt den Fehde¬
handschuh hinzuwerfen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo Herwegh und
Hoffmann v. Fallersleben auf ihrem TriumplMg durch Deutschland auch die
Berliner Kritik heimsuchten. Zwar wurden sie als deutschthümelnde Philister auf
herzlichste ausgelacht, aber im Taumel des Freiheitsgefühls lag sich denn dochwieder Alles in den Armen. Ein alter Burschenschafter, mit ehrwürdigen Bart,


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[0327] Deutschkatholiken. Es'waren die zersprengten Freicorps des gesammten Radica- lismus, dessen bisherige Concentration durch das ziemlich gleichzeitige Einschreiten der Regierungen gehemmt war. Das Verbot der rheinischen Zeitung, der Jahrbü¬ cher durch das Votum der zweiten sächsischen Kammer bestätigt — der allge¬ meinen Leipziger, welche als Klatschblatt des Radikalismus damals selbst bei den Regierungen in ziemlichem Ansehn stand, der Wescrzcituug, selbst der kleinen Lo¬ komotive, folgten einander aus dem Fuße. In Berlin etablirte sich nnn jenes Korrespondenzen-Bureau, welches sämmtliche Zeitungen Deutschlands und einige französischen versorgte, und die abstracte Berliner Literatur in den Angen des Publicums zum Mittelpunkt der weltgeschichtlichen Bewegung machte. Der Hori¬ zont dieses Kreises war enge genug, er beschränkte sich eigentlich auf ihre per¬ sönlichen Verhältnisse. Da man, Dank der Geheimnißkrämerei seiner Hohenpriester, vom Staatswesen nichts erfuhr, so war man floh, wenigstens von dem souveränen Stehely'sehen Kaffeehaus etwas Neues zu hören. Die Weltgeschichte, welche man hier machte, bestand darin, daß man Tag für Tag eine neue Persönlichkeit und einen neuen politisch-religiösen Standpunkt für verbraucht, für überwunden erklärte. Die Rapidität dieser geistigen Wiedergeburten stieg ins Unglaubliche. „Auf wel¬ chen Standpunkt sind wir indeß gelangt?" fragte mich ein Freund, als er acht Tage von Berlin verreist war. Bruno Bauer hatte einen Band der Culturge¬ schichte des 18. Jahrhunderts geschrieben. Das Censurgericht hielt ihn zwei Mo¬ nate zurück. Höchst ergrimmt, schrieb er an die Behörde: In dieser Zeit ist "die Kritik" schon auf einem weit höher» Standpunkt angelangt, „sie" hält das M- uicht mehr wahr, was sie damals geschrieben hat, aber das Publikum ist doch begierig, zu erfahren, was „sie" vor zwei Monaten gedacht hat. Es war also so weit gekommen, daß man die kritische Unsicherheit, den Mangel an festen Principien als ein wesentliches Moment geschichtlicher Bildungsfähigkeit zu rüh¬ men wagte. Die Fortschritte erfolgten jedesmal in einem Manifest, ruckweise; man de- crctirte das neue Glaubensbekenntniß. Arnold Ruge hatte in den Jahrbüchern diese Methode populär gemacht. Daher kam es, daß die gesammte radicale Lite¬ ratur, die stets in ihrem eignen Kreise sich bewegte, bei aller Verachtung gegen die Außenwelt sich unter einander selbst mit grenzenloser Geringschätzung betrach¬ te. Es gab kaum einen, den nicht ein Anderer, was den Standpunkt betraf, überflügelte und darum als zurückgebliebenen Philister ansah. Das hindert nicht, bei feierlichen Gelegenheiten im Rausch der Begeisterung der Welt den Fehde¬ handschuh hinzuwerfen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo Herwegh und Hoffmann v. Fallersleben auf ihrem TriumplMg durch Deutschland auch die Berliner Kritik heimsuchten. Zwar wurden sie als deutschthümelnde Philister auf herzlichste ausgelacht, aber im Taumel des Freiheitsgefühls lag sich denn dochwieder Alles in den Armen. Ein alter Burschenschafter, mit ehrwürdigen Bart,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/327>, abgerufen am 15.01.2025.