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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Ketzerei dieses Bauer ist etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes! weg mit dem
Bauer! am schlechtesten die Vermittler, welche den Gegensatz auszugleichen, und
dadurch die amtliche'.Stellung des Kritikers zu retten suchten. Am allerschlimmsten
-- und das gereicht seinem Rechtsgefühl zur Ehre -- erging es Marheinccke, der
die "Kritik" pragmatisch aus der Verstimmung herleitete, in welche Bauer durch
die geringe Berücksichtigung von Seilen der Universität versetzt sein müsse.

Unter den übrigen Schriften dieser Periode erregte die "Judenfrage" das
meiste Aussehn. Der Radicale ging den Juden ebenso scharf zu Leibe, als sie
von ihren orthodoxen Verfolgern gewohnt waren; und im Grunde sprach auch hier
noch der Rechtgläubige. Er erklärte die Juden für unfähig, emancipirt, befreit zu
werden, weil sie die Kämpfe der Geschichte, welche allein zur Freiheit führten,
nicht durchgemacht hätten. Das Judenthum sei ein zurückgebliebner Standpunkt;
die Absurdität, die in ihm nur im Keime lag, sei erst im Christenthum zur völligen
Reife gekommen, und ohne diese bittere Frucht gekostet zu haben, könnten sie von
dem Fluch ihrer Gcschichtlosigkeit nicht erlöst werden. Die Juden hätten sich iso-
lirt, für die Befreiung der Menschheit nichts gethan, sie hätte" also kein Recht
auf die Freiheit. Damals kntisirte ihn Marx, der den unglücklichen Versuch
machte, mit Rüge die deutsch-französischen Jahrbücher herauszugeben; er stimmte
mit seinen Deductionen ganz überein, behauptete aber/ daß er noch nicht weit
genug gegangen sei: er habe das Judenthum tntisirt, aber nicht den Staat und
nicht die Emancipation, der Staat sei selbst Indisch geworden n. s. w., zuletzt
wurde die Kritik immer schärfer, das Lächeln immer diplomatischer, immer seiner,
immer geistreich unverständlicher, bis man zuletzt nichts mehr sah, als das stereo¬
type Lächeln des Blödsinns.

Eine andere Schrift von Interesse -- durch die Censur in den Jahrbüchern
gestrichen -- hieß: "Leiden und Freuden des theologischen Bewußtseins." Eine
Reihe glücklicher Beobachtungen über das lügenhafte Wesen, in welches ein Heili¬
ger dnrch die fortwährende Bewachung seiner Heiligkeit nothwendig gerathen muß!
nur daß auch hier, wie es die Schule aus der Phänomenologie gelernt hatte, nicht
von einer bestimmten Persönlichkeit, sondern von einer Abstraction die Rede war,
sowie die rechtgläubigen Schüler das "Bewußtsein" überhaupt, den "Geist", oder
das Wesen zu behandeln pflegten. Um so gefährlicher war diese Abstraction i"
der Kritik des theologischen Bewußtseins, da dem theologischen Kritiker die ganze
Welt die Farbe der Theologie angenommen hatte, und da er eigentlich seine Kri¬
tik hätte überschreiben können: Darstellung des wahnsinnigen Zeitalters, in wel¬
chem wir leben, welches aber kommen mußte, um die souveräne Kritik möglich z"
machen, wie Adam in den Apfel beißen mußte, um der Erscheinung Christi willen.

In Berlin, wohin sich Bauer uach seiner Absetzung zurückzog, fand sich
der Kreis der "Freien" zusammen, der in dem radicalen Zeitalter fast ebenso auf¬
merksam verfolgt wurde, als im bürgerlichen Zeitalter die Lichtfreunde und die


Ketzerei dieses Bauer ist etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes! weg mit dem
Bauer! am schlechtesten die Vermittler, welche den Gegensatz auszugleichen, und
dadurch die amtliche'.Stellung des Kritikers zu retten suchten. Am allerschlimmsten
— und das gereicht seinem Rechtsgefühl zur Ehre — erging es Marheinccke, der
die „Kritik" pragmatisch aus der Verstimmung herleitete, in welche Bauer durch
die geringe Berücksichtigung von Seilen der Universität versetzt sein müsse.

Unter den übrigen Schriften dieser Periode erregte die „Judenfrage" das
meiste Aussehn. Der Radicale ging den Juden ebenso scharf zu Leibe, als sie
von ihren orthodoxen Verfolgern gewohnt waren; und im Grunde sprach auch hier
noch der Rechtgläubige. Er erklärte die Juden für unfähig, emancipirt, befreit zu
werden, weil sie die Kämpfe der Geschichte, welche allein zur Freiheit führten,
nicht durchgemacht hätten. Das Judenthum sei ein zurückgebliebner Standpunkt;
die Absurdität, die in ihm nur im Keime lag, sei erst im Christenthum zur völligen
Reife gekommen, und ohne diese bittere Frucht gekostet zu haben, könnten sie von
dem Fluch ihrer Gcschichtlosigkeit nicht erlöst werden. Die Juden hätten sich iso-
lirt, für die Befreiung der Menschheit nichts gethan, sie hätte» also kein Recht
auf die Freiheit. Damals kntisirte ihn Marx, der den unglücklichen Versuch
machte, mit Rüge die deutsch-französischen Jahrbücher herauszugeben; er stimmte
mit seinen Deductionen ganz überein, behauptete aber/ daß er noch nicht weit
genug gegangen sei: er habe das Judenthum tntisirt, aber nicht den Staat und
nicht die Emancipation, der Staat sei selbst Indisch geworden n. s. w., zuletzt
wurde die Kritik immer schärfer, das Lächeln immer diplomatischer, immer seiner,
immer geistreich unverständlicher, bis man zuletzt nichts mehr sah, als das stereo¬
type Lächeln des Blödsinns.

Eine andere Schrift von Interesse — durch die Censur in den Jahrbüchern
gestrichen — hieß: „Leiden und Freuden des theologischen Bewußtseins." Eine
Reihe glücklicher Beobachtungen über das lügenhafte Wesen, in welches ein Heili¬
ger dnrch die fortwährende Bewachung seiner Heiligkeit nothwendig gerathen muß!
nur daß auch hier, wie es die Schule aus der Phänomenologie gelernt hatte, nicht
von einer bestimmten Persönlichkeit, sondern von einer Abstraction die Rede war,
sowie die rechtgläubigen Schüler das „Bewußtsein" überhaupt, den „Geist", oder
das Wesen zu behandeln pflegten. Um so gefährlicher war diese Abstraction i»
der Kritik des theologischen Bewußtseins, da dem theologischen Kritiker die ganze
Welt die Farbe der Theologie angenommen hatte, und da er eigentlich seine Kri¬
tik hätte überschreiben können: Darstellung des wahnsinnigen Zeitalters, in wel¬
chem wir leben, welches aber kommen mußte, um die souveräne Kritik möglich z"
machen, wie Adam in den Apfel beißen mußte, um der Erscheinung Christi willen.

In Berlin, wohin sich Bauer uach seiner Absetzung zurückzog, fand sich
der Kreis der „Freien" zusammen, der in dem radicalen Zeitalter fast ebenso auf¬
merksam verfolgt wurde, als im bürgerlichen Zeitalter die Lichtfreunde und die


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[0326] Ketzerei dieses Bauer ist etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes! weg mit dem Bauer! am schlechtesten die Vermittler, welche den Gegensatz auszugleichen, und dadurch die amtliche'.Stellung des Kritikers zu retten suchten. Am allerschlimmsten — und das gereicht seinem Rechtsgefühl zur Ehre — erging es Marheinccke, der die „Kritik" pragmatisch aus der Verstimmung herleitete, in welche Bauer durch die geringe Berücksichtigung von Seilen der Universität versetzt sein müsse. Unter den übrigen Schriften dieser Periode erregte die „Judenfrage" das meiste Aussehn. Der Radicale ging den Juden ebenso scharf zu Leibe, als sie von ihren orthodoxen Verfolgern gewohnt waren; und im Grunde sprach auch hier noch der Rechtgläubige. Er erklärte die Juden für unfähig, emancipirt, befreit zu werden, weil sie die Kämpfe der Geschichte, welche allein zur Freiheit führten, nicht durchgemacht hätten. Das Judenthum sei ein zurückgebliebner Standpunkt; die Absurdität, die in ihm nur im Keime lag, sei erst im Christenthum zur völligen Reife gekommen, und ohne diese bittere Frucht gekostet zu haben, könnten sie von dem Fluch ihrer Gcschichtlosigkeit nicht erlöst werden. Die Juden hätten sich iso- lirt, für die Befreiung der Menschheit nichts gethan, sie hätte» also kein Recht auf die Freiheit. Damals kntisirte ihn Marx, der den unglücklichen Versuch machte, mit Rüge die deutsch-französischen Jahrbücher herauszugeben; er stimmte mit seinen Deductionen ganz überein, behauptete aber/ daß er noch nicht weit genug gegangen sei: er habe das Judenthum tntisirt, aber nicht den Staat und nicht die Emancipation, der Staat sei selbst Indisch geworden n. s. w., zuletzt wurde die Kritik immer schärfer, das Lächeln immer diplomatischer, immer seiner, immer geistreich unverständlicher, bis man zuletzt nichts mehr sah, als das stereo¬ type Lächeln des Blödsinns. Eine andere Schrift von Interesse — durch die Censur in den Jahrbüchern gestrichen — hieß: „Leiden und Freuden des theologischen Bewußtseins." Eine Reihe glücklicher Beobachtungen über das lügenhafte Wesen, in welches ein Heili¬ ger dnrch die fortwährende Bewachung seiner Heiligkeit nothwendig gerathen muß! nur daß auch hier, wie es die Schule aus der Phänomenologie gelernt hatte, nicht von einer bestimmten Persönlichkeit, sondern von einer Abstraction die Rede war, sowie die rechtgläubigen Schüler das „Bewußtsein" überhaupt, den „Geist", oder das Wesen zu behandeln pflegten. Um so gefährlicher war diese Abstraction i» der Kritik des theologischen Bewußtseins, da dem theologischen Kritiker die ganze Welt die Farbe der Theologie angenommen hatte, und da er eigentlich seine Kri¬ tik hätte überschreiben können: Darstellung des wahnsinnigen Zeitalters, in wel¬ chem wir leben, welches aber kommen mußte, um die souveräne Kritik möglich z" machen, wie Adam in den Apfel beißen mußte, um der Erscheinung Christi willen. In Berlin, wohin sich Bauer uach seiner Absetzung zurückzog, fand sich der Kreis der „Freien" zusammen, der in dem radicalen Zeitalter fast ebenso auf¬ merksam verfolgt wurde, als im bürgerlichen Zeitalter die Lichtfreunde und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/326>, abgerufen am 15.01.2025.