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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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die als historische Arbeit von großer Bedeutung sein mag -- wie die Forschung
über die Pharaonen -- die aber das Heilige nicht mehr trifft. Voltaire hatte
den Glauben erschüttert, indem er seine augenfälligen Absurditäten dein Gelächter
Preis gab; Hegel hatte die über ihre eigne Thorheit betroffene Welt dadurch be¬
ruhigt, daß er auch in den Absurditäten eine" geistigen Inhalt nachwies. Ein
weiterer principieller Fortschritt ist nicht möglich; der Wissenschaft bleibt es nnn
übrig, das Detail aufzuhellen, so weit es bei einer ihrem ganzen Wesen nach dun¬
keln Zeit möglich ist.

Wenn also die Frömmigkeit dennoch über die "Kritik der Synoptiker" außer
sich gerieth, so war es uicht über den Inhalt, sondern über den Ton derselben.
In dem hastigen Treiben der jungen Generation steigerte Einer den Andern; der
Werth der Opposition wurde danach abgemessen, "wie weit" man ging. Es ge¬
hörte zum arten Ton, fühlen zu lassen, daß man dieses und jenes Vorurtheil
überwunden habe. Die Schärfe deö Ausdrucks that das Beste. Nun war unter
den Kennern nur Eine Stimme, daß Bruno am weitesten gehe; Strauß, der
mittlerweile die Dogmatik derselben Kritik unterworfen hatte, als die Evangelien,
gehörte bereits einem "überwundenen Standpunkt" an, er war ein Philister.
So glaubte denn auch die Negierung, welche sich damals des Kirchenregiments
mit Eiser annahm, ein Uebriges thun zu müssen. Da die evangelische Kirche in
ihren legitimen Organen noch nicht constituirt war -- bekanntlich ist später der
Versuch mit der Generalsynode gescheitelt -- so schickte man die Kritik der Sy¬
noptiker an die theologischen Facultäten des preußischen Staats, und fragte an,
so ein Mann noch länger Docent der Theologie seul könne. Die Fakultäten
statteten ihren tiefgefühlten Dank für die Rücksicht ab, welche der Staat ihnen
""gedeihen ließ, und antworteten ziemlich einstimmig: Nein! Es geht nicht! Und
so wurde Bruno Bauer zu Ostern 1^-12 von seinem Amt entfernt. -- Von Seiten
sentimentaler Politiker hat man es ihm oft vorgeworfen, daß er uicht freiwillig
leine Stellung niederlegte; er antwortete aber, und ganz mit Recht, er habe die
Ueberzeugung, der wahre Theologe zu sein, denn nur durch gewissenhaftes und
gründliches Studium sei er zu der Einsicht von der Verkehrtheit der Theologie
gekommen, und wenn man von ihm verlange, er solle aus der Kirche auftreten,
s" wäre das gerade so viel, als wem, er sich auf den Markt hinstelle und aus¬
riefe, daß er kein Kind mehr wäre. Allein die Wichtigkeit, welche das Ministe¬
rium auf die Sache gelegt hatte, übte einen nachtheiligen Einfluß aus ihn aus.
In einer Schrift: "Die gute Sache der Freiheit und meine eigne" stellte er den
Streit "der Kritik" mit dein Staat nach geschichtsphilosophischen Kategorien als
einen nothwendigen dar, und die Absetzung Bruno Bauer's erschien als ein eben
s" symbolischer, für die Selbsterkenntnis der Menschheit eben so wesentlicher Act.
"is der Opfertod des Menschensohnes. Darum kamen in seiner Kritik der ver¬
schiedenen theologischen Gutachten diejenigen am besten weg, welche erklärten: die


die als historische Arbeit von großer Bedeutung sein mag — wie die Forschung
über die Pharaonen — die aber das Heilige nicht mehr trifft. Voltaire hatte
den Glauben erschüttert, indem er seine augenfälligen Absurditäten dein Gelächter
Preis gab; Hegel hatte die über ihre eigne Thorheit betroffene Welt dadurch be¬
ruhigt, daß er auch in den Absurditäten eine» geistigen Inhalt nachwies. Ein
weiterer principieller Fortschritt ist nicht möglich; der Wissenschaft bleibt es nnn
übrig, das Detail aufzuhellen, so weit es bei einer ihrem ganzen Wesen nach dun¬
keln Zeit möglich ist.

Wenn also die Frömmigkeit dennoch über die „Kritik der Synoptiker" außer
sich gerieth, so war es uicht über den Inhalt, sondern über den Ton derselben.
In dem hastigen Treiben der jungen Generation steigerte Einer den Andern; der
Werth der Opposition wurde danach abgemessen, „wie weit" man ging. Es ge¬
hörte zum arten Ton, fühlen zu lassen, daß man dieses und jenes Vorurtheil
überwunden habe. Die Schärfe deö Ausdrucks that das Beste. Nun war unter
den Kennern nur Eine Stimme, daß Bruno am weitesten gehe; Strauß, der
mittlerweile die Dogmatik derselben Kritik unterworfen hatte, als die Evangelien,
gehörte bereits einem „überwundenen Standpunkt" an, er war ein Philister.
So glaubte denn auch die Negierung, welche sich damals des Kirchenregiments
mit Eiser annahm, ein Uebriges thun zu müssen. Da die evangelische Kirche in
ihren legitimen Organen noch nicht constituirt war — bekanntlich ist später der
Versuch mit der Generalsynode gescheitelt — so schickte man die Kritik der Sy¬
noptiker an die theologischen Facultäten des preußischen Staats, und fragte an,
so ein Mann noch länger Docent der Theologie seul könne. Die Fakultäten
statteten ihren tiefgefühlten Dank für die Rücksicht ab, welche der Staat ihnen
"»gedeihen ließ, und antworteten ziemlich einstimmig: Nein! Es geht nicht! Und
so wurde Bruno Bauer zu Ostern 1^-12 von seinem Amt entfernt. — Von Seiten
sentimentaler Politiker hat man es ihm oft vorgeworfen, daß er uicht freiwillig
leine Stellung niederlegte; er antwortete aber, und ganz mit Recht, er habe die
Ueberzeugung, der wahre Theologe zu sein, denn nur durch gewissenhaftes und
gründliches Studium sei er zu der Einsicht von der Verkehrtheit der Theologie
gekommen, und wenn man von ihm verlange, er solle aus der Kirche auftreten,
s" wäre das gerade so viel, als wem, er sich auf den Markt hinstelle und aus¬
riefe, daß er kein Kind mehr wäre. Allein die Wichtigkeit, welche das Ministe¬
rium auf die Sache gelegt hatte, übte einen nachtheiligen Einfluß aus ihn aus.
In einer Schrift: „Die gute Sache der Freiheit und meine eigne" stellte er den
Streit „der Kritik" mit dein Staat nach geschichtsphilosophischen Kategorien als
einen nothwendigen dar, und die Absetzung Bruno Bauer's erschien als ein eben
s" symbolischer, für die Selbsterkenntnis der Menschheit eben so wesentlicher Act.
"is der Opfertod des Menschensohnes. Darum kamen in seiner Kritik der ver¬
schiedenen theologischen Gutachten diejenigen am besten weg, welche erklärten: die


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[0325] die als historische Arbeit von großer Bedeutung sein mag — wie die Forschung über die Pharaonen — die aber das Heilige nicht mehr trifft. Voltaire hatte den Glauben erschüttert, indem er seine augenfälligen Absurditäten dein Gelächter Preis gab; Hegel hatte die über ihre eigne Thorheit betroffene Welt dadurch be¬ ruhigt, daß er auch in den Absurditäten eine» geistigen Inhalt nachwies. Ein weiterer principieller Fortschritt ist nicht möglich; der Wissenschaft bleibt es nnn übrig, das Detail aufzuhellen, so weit es bei einer ihrem ganzen Wesen nach dun¬ keln Zeit möglich ist. Wenn also die Frömmigkeit dennoch über die „Kritik der Synoptiker" außer sich gerieth, so war es uicht über den Inhalt, sondern über den Ton derselben. In dem hastigen Treiben der jungen Generation steigerte Einer den Andern; der Werth der Opposition wurde danach abgemessen, „wie weit" man ging. Es ge¬ hörte zum arten Ton, fühlen zu lassen, daß man dieses und jenes Vorurtheil überwunden habe. Die Schärfe deö Ausdrucks that das Beste. Nun war unter den Kennern nur Eine Stimme, daß Bruno am weitesten gehe; Strauß, der mittlerweile die Dogmatik derselben Kritik unterworfen hatte, als die Evangelien, gehörte bereits einem „überwundenen Standpunkt" an, er war ein Philister. So glaubte denn auch die Negierung, welche sich damals des Kirchenregiments mit Eiser annahm, ein Uebriges thun zu müssen. Da die evangelische Kirche in ihren legitimen Organen noch nicht constituirt war — bekanntlich ist später der Versuch mit der Generalsynode gescheitelt — so schickte man die Kritik der Sy¬ noptiker an die theologischen Facultäten des preußischen Staats, und fragte an, so ein Mann noch länger Docent der Theologie seul könne. Die Fakultäten statteten ihren tiefgefühlten Dank für die Rücksicht ab, welche der Staat ihnen "»gedeihen ließ, und antworteten ziemlich einstimmig: Nein! Es geht nicht! Und so wurde Bruno Bauer zu Ostern 1^-12 von seinem Amt entfernt. — Von Seiten sentimentaler Politiker hat man es ihm oft vorgeworfen, daß er uicht freiwillig leine Stellung niederlegte; er antwortete aber, und ganz mit Recht, er habe die Ueberzeugung, der wahre Theologe zu sein, denn nur durch gewissenhaftes und gründliches Studium sei er zu der Einsicht von der Verkehrtheit der Theologie gekommen, und wenn man von ihm verlange, er solle aus der Kirche auftreten, s" wäre das gerade so viel, als wem, er sich auf den Markt hinstelle und aus¬ riefe, daß er kein Kind mehr wäre. Allein die Wichtigkeit, welche das Ministe¬ rium auf die Sache gelegt hatte, übte einen nachtheiligen Einfluß aus ihn aus. In einer Schrift: „Die gute Sache der Freiheit und meine eigne" stellte er den Streit „der Kritik" mit dein Staat nach geschichtsphilosophischen Kategorien als einen nothwendigen dar, und die Absetzung Bruno Bauer's erschien als ein eben s" symbolischer, für die Selbsterkenntnis der Menschheit eben so wesentlicher Act. "is der Opfertod des Menschensohnes. Darum kamen in seiner Kritik der ver¬ schiedenen theologischen Gutachten diejenigen am besten weg, welche erklärten: die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/325>, abgerufen am 15.01.2025.