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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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MM theilte sein jüngerer Bruder Edgar, der in Berlin studirte, seine Bestre¬
bungen. Mit seiner "Kritik des Evangeliums Johannis" 1840 beginnt seine Po¬
lemik gegen das passive Construiren fertiger Geschichten, wie es die Schule bis
dahin ausgeübt hatte. "Die evangelische Landeskirche Preußens" ist noch im Geist
des Systems abgefaßt, nach welchem der Staat der Jubegriff und Regulator aller
geistigen Functionen sein sollte. Das Werk aber, wodurch er zuerst seine neue
Wendung mit einem gewissen Eclat verkündete, war "die Posaun? des jüngsten
Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen." 1841. Es enthielt eine
Anthologie aus Hegels Schriften, aus welcher sich allerdings auf das schlagendste
^'gab, daß die Vorstellungen des gewöhnlichen Christenthums von der Existenz
eines extramundanen wohlwollenden Gottes, von der persönlichen Fortdauer nach
dem Tode, von der partikulären Vorsehung u. s. w. in diametralem Widerspruch
standen mit der philosophischen Auffassung. Die Paradoxie, mit welcher diese
Entdeckung der Welt verkündet wurde, sollte wohl eigentlich den altgläubigen He¬
gelianern gelten, sie war aber auch der Ausdruck der eignen Ueberraschung.
Diese Ueberraschung theilte sich der gesammten jüngern Generation mit; man er¬
staunte über sich selbst, diese Stellen gelesen zu haben, und doch über den offen¬
bar darin liegenden Sinn hinweggegangen zu sein. Für die Gegner war eine
solche Methode wohl berechnet; ein wissenschaftlicher Werth ist ihr aber nicht bei¬
zulegen. Durch Sammlung einzelner Eleate kntisirt man in der Regel nur dann
ein Werk, wenn man seiner nicht Herr ist. Trotz jener Widersprüche mit den
einzelnen, allerdings wesentlichen christlichen Vorstellungen ist Hegel doch kein Atheist,
denn der Begriff des Atheismus liegt in der Kategorie der Zufälligkeit, in wel-
Her man die Erscheinungen faßt, in dem Unglauben an eine geistige, nicht blos
phhsische Nothwendigkeit. Hegel ist ein Gegner des Christenthums, insofern er es
verklärt, d. h. die in den ursprünglichen Vorstellungen ans den Einzelnen berech¬
nete Führung, Erlösung u. f. w. auf das Ganze der Menschheit überträgt. Den
Glauben aber an die geistige Einheit der Welt hat er strenger festgehalten als
U'gerd ein Theolog und ist darin christlicher als die Gemeinde der Heiligen.

In einer zweiten Schrift "Hegel'S Lehre von der Religion und Kunst" 1842
wurde dasselbe Thema mit mehr Ruhe behandelt; die anfangs paradoxe Meinung
von Hegel's Atheismus war durch die fortdauernden Denunciationen der Altgläu¬
bigen, denen die "Posaune" ein unendlich bcgnemes Material geboten hatte, schon
trivial geworden. Edgar Bauer, entzückt über den man gewonnenen freien Stand¬
punkt, beeiferte sich, den Berlinern in einer Reihe von Flugschriften in dem stu¬
dentischen Ton, der nicht blos seinen Jahren, sondern anch seinem Charakter an¬
gemessen war, auseinander zu sehen, daß ein Atheist im>e Hörner und Klauen
^'"ge, daß er ein Mensch sei wie die andern Wcißbierphilister auch, daß er äße
u"d tränke wie sie, zuweilen anch seine Schulden bezahle u. s. w., ungefähr wie
Wein es bei dem sreigeistischen Bedienten in Lessing lernen kann. Man fühlte sich


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MM theilte sein jüngerer Bruder Edgar, der in Berlin studirte, seine Bestre¬
bungen. Mit seiner „Kritik des Evangeliums Johannis" 1840 beginnt seine Po¬
lemik gegen das passive Construiren fertiger Geschichten, wie es die Schule bis
dahin ausgeübt hatte. „Die evangelische Landeskirche Preußens" ist noch im Geist
des Systems abgefaßt, nach welchem der Staat der Jubegriff und Regulator aller
geistigen Functionen sein sollte. Das Werk aber, wodurch er zuerst seine neue
Wendung mit einem gewissen Eclat verkündete, war „die Posaun? des jüngsten
Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen." 1841. Es enthielt eine
Anthologie aus Hegels Schriften, aus welcher sich allerdings auf das schlagendste
^'gab, daß die Vorstellungen des gewöhnlichen Christenthums von der Existenz
eines extramundanen wohlwollenden Gottes, von der persönlichen Fortdauer nach
dem Tode, von der partikulären Vorsehung u. s. w. in diametralem Widerspruch
standen mit der philosophischen Auffassung. Die Paradoxie, mit welcher diese
Entdeckung der Welt verkündet wurde, sollte wohl eigentlich den altgläubigen He¬
gelianern gelten, sie war aber auch der Ausdruck der eignen Ueberraschung.
Diese Ueberraschung theilte sich der gesammten jüngern Generation mit; man er¬
staunte über sich selbst, diese Stellen gelesen zu haben, und doch über den offen¬
bar darin liegenden Sinn hinweggegangen zu sein. Für die Gegner war eine
solche Methode wohl berechnet; ein wissenschaftlicher Werth ist ihr aber nicht bei¬
zulegen. Durch Sammlung einzelner Eleate kntisirt man in der Regel nur dann
ein Werk, wenn man seiner nicht Herr ist. Trotz jener Widersprüche mit den
einzelnen, allerdings wesentlichen christlichen Vorstellungen ist Hegel doch kein Atheist,
denn der Begriff des Atheismus liegt in der Kategorie der Zufälligkeit, in wel-
Her man die Erscheinungen faßt, in dem Unglauben an eine geistige, nicht blos
phhsische Nothwendigkeit. Hegel ist ein Gegner des Christenthums, insofern er es
verklärt, d. h. die in den ursprünglichen Vorstellungen ans den Einzelnen berech¬
nete Führung, Erlösung u. f. w. auf das Ganze der Menschheit überträgt. Den
Glauben aber an die geistige Einheit der Welt hat er strenger festgehalten als
U'gerd ein Theolog und ist darin christlicher als die Gemeinde der Heiligen.

In einer zweiten Schrift „Hegel'S Lehre von der Religion und Kunst" 1842
wurde dasselbe Thema mit mehr Ruhe behandelt; die anfangs paradoxe Meinung
von Hegel's Atheismus war durch die fortdauernden Denunciationen der Altgläu¬
bigen, denen die „Posaune" ein unendlich bcgnemes Material geboten hatte, schon
trivial geworden. Edgar Bauer, entzückt über den man gewonnenen freien Stand¬
punkt, beeiferte sich, den Berlinern in einer Reihe von Flugschriften in dem stu¬
dentischen Ton, der nicht blos seinen Jahren, sondern anch seinem Charakter an¬
gemessen war, auseinander zu sehen, daß ein Atheist im>e Hörner und Klauen
^'"ge, daß er ein Mensch sei wie die andern Wcißbierphilister auch, daß er äße
u«d tränke wie sie, zuweilen anch seine Schulden bezahle u. s. w., ungefähr wie
Wein es bei dem sreigeistischen Bedienten in Lessing lernen kann. Man fühlte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/323>, abgerufen am 15.01.2025.