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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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setzte. In beiden Voraussetzungen getäuscht, wußte man der Macht des Wirklichen
nichts entgegenzustellen, als Erstaunen und Unwillen. Die Theorie wurde in
ihrer Opposition immer weiter getrieben. Zuerst gab man den preußischen Staat
auf, deu man im Anfange wenigstens der Anlage nach als die Verwirklichung des
vernünftigen Staats gepriesen hatte; dann ging mau von den Reformen des
Staats überhaupt ab und appellirte an das Volk, die Demokratie. Als man so
weit gekommen war, intervenirte der Staat dnrch das Verbot sämmtlicher Organe
des Radicalismus und als die Demokratie nichts that, um dies eigenmächtige
Verfahren des Staats zu hintertreiben, proklamirte der ungeduldige Philosoph
als neues Manifest der Partei: "Mit den Deutschen ist nichts anzufangen, es ist
ein niederträchtiges Volk, von den Franzosen allein kann das Heil der Menschheit
kommen." Ein neuer Glaubensartikel, den die Geschichte zu widerlegen hatte.

Der einzige theoretische Fortschritt, der in der jungen Schule vertreten wurde,-
betraf wieder die Religion. Es war das "Wesen des Christenthums" von Lud¬
wig Feuerbach. Die Schule hatte gelehrt, daß in den christlichen Dogmen in
der Form der Vorstellung, des Bildes die volle speculative Wahrheit involvirt
sei. Feuerbach setzte ganz richtig hinzu: Aber eben diese Form hebt das. Wesen
auf. Indem wir die göttliche Welt als den Inbegriff alles Guten und Wahren
construiren, und dieselbe als etwas anderes der irdischen Welt gegenüberstellen,
wird die irdische Welt zu einem Inbegriff des Bösen und Nichtigen, und so ist
diese Trennung des Göttlichen vom Menschlichen das böse Wesen der christlichen
Religion. Durch Feuerbach ist eigentlich die Schule erst populär geworden, und
zwar mehr dnrch seine Fehler als durch sein Verdienst. Ungeduldig, wie die ganze
Richtung, deren vorzüglichster Vertreter er war, warf er die gesammte Christen¬
heit, die doch eine Jahrtausendjährige Geschichte umfaßt, in ein einziges Bild zu¬
sammen, in welchem seine eigne Stimmung -- Sympathie und Antipathie -- den
Leittvn gab; das Christenthum wurde, wie die neue Religion, die man anstrebte,
ein Ausfluß des praktischen Interesses, soweit dasselbe sich im Idealen bewegte,
und so entstand durch das Ausmerzen alles speculativen Inhalts ein leicht über¬
sichtliches aber nur halbwahrcö Gemälde, dem man denn ein anderes Evangelium
entgegensetzte, eine Heiligung der praktischen Interessen, einen Zustand sinniger
Beschaulichkeit, ein Ideal geschichtloseu Quietismus, der verklärten und seligen
Menschheit: ein Cultus der Humanität, der gebildercr, seiner, aber im Grnnde
ebenso unproductiv war, als der des Pietismus und die spätere Aufklärung, wie
sie sich in Herder's Ideen ausmalt.

Diese Periode der souveränen Wünsche, der humanistischen Religion, hat
Bauer mit der ihm eignen Energie durchgemacht. Er war einer der eifrigsten
Mitarbeiter an der rheinischen Zeitung -- von Marx redigirt, der damals der
Philosophie noch nicht den Absagebrief geschrieben hatte -- und an den Jahrbü¬
chern, denen er in ihrer spätern Phase eigentlich den Charakter gab. Schon da-


setzte. In beiden Voraussetzungen getäuscht, wußte man der Macht des Wirklichen
nichts entgegenzustellen, als Erstaunen und Unwillen. Die Theorie wurde in
ihrer Opposition immer weiter getrieben. Zuerst gab man den preußischen Staat
auf, deu man im Anfange wenigstens der Anlage nach als die Verwirklichung des
vernünftigen Staats gepriesen hatte; dann ging mau von den Reformen des
Staats überhaupt ab und appellirte an das Volk, die Demokratie. Als man so
weit gekommen war, intervenirte der Staat dnrch das Verbot sämmtlicher Organe
des Radicalismus und als die Demokratie nichts that, um dies eigenmächtige
Verfahren des Staats zu hintertreiben, proklamirte der ungeduldige Philosoph
als neues Manifest der Partei: „Mit den Deutschen ist nichts anzufangen, es ist
ein niederträchtiges Volk, von den Franzosen allein kann das Heil der Menschheit
kommen." Ein neuer Glaubensartikel, den die Geschichte zu widerlegen hatte.

Der einzige theoretische Fortschritt, der in der jungen Schule vertreten wurde,-
betraf wieder die Religion. Es war das „Wesen des Christenthums" von Lud¬
wig Feuerbach. Die Schule hatte gelehrt, daß in den christlichen Dogmen in
der Form der Vorstellung, des Bildes die volle speculative Wahrheit involvirt
sei. Feuerbach setzte ganz richtig hinzu: Aber eben diese Form hebt das. Wesen
auf. Indem wir die göttliche Welt als den Inbegriff alles Guten und Wahren
construiren, und dieselbe als etwas anderes der irdischen Welt gegenüberstellen,
wird die irdische Welt zu einem Inbegriff des Bösen und Nichtigen, und so ist
diese Trennung des Göttlichen vom Menschlichen das böse Wesen der christlichen
Religion. Durch Feuerbach ist eigentlich die Schule erst populär geworden, und
zwar mehr dnrch seine Fehler als durch sein Verdienst. Ungeduldig, wie die ganze
Richtung, deren vorzüglichster Vertreter er war, warf er die gesammte Christen¬
heit, die doch eine Jahrtausendjährige Geschichte umfaßt, in ein einziges Bild zu¬
sammen, in welchem seine eigne Stimmung — Sympathie und Antipathie — den
Leittvn gab; das Christenthum wurde, wie die neue Religion, die man anstrebte,
ein Ausfluß des praktischen Interesses, soweit dasselbe sich im Idealen bewegte,
und so entstand durch das Ausmerzen alles speculativen Inhalts ein leicht über¬
sichtliches aber nur halbwahrcö Gemälde, dem man denn ein anderes Evangelium
entgegensetzte, eine Heiligung der praktischen Interessen, einen Zustand sinniger
Beschaulichkeit, ein Ideal geschichtloseu Quietismus, der verklärten und seligen
Menschheit: ein Cultus der Humanität, der gebildercr, seiner, aber im Grnnde
ebenso unproductiv war, als der des Pietismus und die spätere Aufklärung, wie
sie sich in Herder's Ideen ausmalt.

Diese Periode der souveränen Wünsche, der humanistischen Religion, hat
Bauer mit der ihm eignen Energie durchgemacht. Er war einer der eifrigsten
Mitarbeiter an der rheinischen Zeitung — von Marx redigirt, der damals der
Philosophie noch nicht den Absagebrief geschrieben hatte — und an den Jahrbü¬
chern, denen er in ihrer spätern Phase eigentlich den Charakter gab. Schon da-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/322>, abgerufen am 15.01.2025.