Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Angegriffenen unentgeltlich freistehen soll, in der Praxis eine unausführbare Sache. §. 19 verbietet das Hausirer mit Druckschriften, das Ausrufen, Vertheilen, Das aber, was durch unser Preßgesetz für straffällig erklärt wird, ist uner¬ Angegriffenen unentgeltlich freistehen soll, in der Praxis eine unausführbare Sache. §. 19 verbietet das Hausirer mit Druckschriften, das Ausrufen, Vertheilen, Das aber, was durch unser Preßgesetz für straffällig erklärt wird, ist uner¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278542"/> <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> Angegriffenen unentgeltlich freistehen soll, in der Praxis eine unausführbare Sache.<lb/> Wir können l'el allen Parlamentsverhandlungen hören, wie allgemein das Capitel<lb/> der factischen Berichtigungen gefaßt wird, wie zuletzt jeder über alles eine factische<lb/> Berichtigung beizubringen hat. Wenn ich in einem Artikel sage, die Studenten<lb/> von Wien haben sich an dem und dem Tage bei dem und dem Commers einen<lb/> tüchtigen Rausch getrunken, so werde ich mir eine große Anzahl von Berichtigun¬<lb/> gen müssen gefallen lasse», in welchen die einzelnen Studenten versichern, daß sie<lb/> sich keinen Rausch getrunken haben. Wo ist bei so allgemeinen, so unklaren Be¬<lb/> stimmungen für die Presse Gehorsam möglich, und wenn der Gehorsam erzwungen<lb/> werden kann, wie ist eine Presse möglich?</p><lb/> <p xml:id="ID_90"> §. 19 verbietet das Hausirer mit Druckschriften, das Ausrufen, Vertheilen,<lb/> Feilbieten und Anschlagen ans offener Straße gänzlich. Eine harte Bestimmung,<lb/> der Tod aller Betheiligung des Volkes bei Tagesfragen, ein unerträglicher Zwang<lb/> auch für den Vermögenden, welcher eine Wohnung hat, in welche ihm die Zei¬<lb/> tungen gebracht werden können! Das Ausgeben von Extrablätter», die schnelle<lb/> Verbreitung von Nachrichten höchster Wichtigkeit wird dadurch unmöglich gemacht,<lb/> falls nicht die Negierung die Huld hat, das väterlich selbst zu thun. Auch das<lb/> unschuldige Verkaufen von Bänkelsängerliedern, dem Leben der schönen Mageloue,<lb/> der Historie vom gehörnten Siegfried u. f. w. hat der Zorn des Ministeriums<lb/> getroffen, die armen Guckkasteuerklärer und Drehorgelträger werden das Ministe¬<lb/> rium eben so sehr verwünschen, als andere Leute.</p><lb/> <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Das aber, was durch unser Preßgesetz für straffällig erklärt wird, ist uner¬<lb/> hört und ungerecht in empörenden Grade. Wer durch Druckschriften zum Wider¬<lb/> stande gegen Verfügungen der öffentlichen Behörde, gegen Gesetze, Verordnungen<lb/> und Erlasse der Gerichte oder zu Feindseligkeiten wider die verschiedenen Natio¬<lb/> nalitäten, Religiousgenossenschaften/einzelner Classen oder Stände der bürgerliche»<lb/> Gesellschaft oder wider gesetzlich anerkannte Körperschaften auffordert, aneifert oder<lb/> zu verleite» sucht, wird mit Kerker bis zu 2 Jahren bestraft. Wenn ich heut<lb/> ein Buch gegen die östreichische Bank oder den Lloyd schreibe, worin ich die Uebel-<lb/> stände dieses Instituts auseinandersetze und alle Patrioten zu einer Geld-Associa¬<lb/> tion auffordere, welche im Stande ist, dem Institut entgegen zu wirken, so werde<lb/> ich auf 2 Jahre ins Gefängniß gesteckt; wenn ich in irgend einer Zukunft erkläre,<lb/> daß der Gemeinderath von Wien seiner radicalen Gesinnungen wegen keine Ga¬<lb/> rantie für das Wohl der Stadt biete, und daß es wünschenswerth wäre, andere<lb/> Männer an seine Stelle zu setzen, so verleite ich zu Feindseligkeiten gegen eine<lb/> anerkannte Körperschaft und werde wieder auf 2 Jahre in den Kerker gesteckt.<lb/> Wenn ich als Deutsch-Böhme dem Einfluß der Slovanska-Lipa in Druckschriften<lb/> entgegenarbeite und gegen unhaltbare czcchische Nationalitätögclüste zu einer Oppo-<lb/> sitionsverbindung auffordere, so verleite ich zu Feindseligkeiten gegen die czechische<lb/> Nationalität und werde aus zwei Jahre in den Kerker gesteckt. -- Aber es kömmt uoch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Angegriffenen unentgeltlich freistehen soll, in der Praxis eine unausführbare Sache.
Wir können l'el allen Parlamentsverhandlungen hören, wie allgemein das Capitel
der factischen Berichtigungen gefaßt wird, wie zuletzt jeder über alles eine factische
Berichtigung beizubringen hat. Wenn ich in einem Artikel sage, die Studenten
von Wien haben sich an dem und dem Tage bei dem und dem Commers einen
tüchtigen Rausch getrunken, so werde ich mir eine große Anzahl von Berichtigun¬
gen müssen gefallen lasse», in welchen die einzelnen Studenten versichern, daß sie
sich keinen Rausch getrunken haben. Wo ist bei so allgemeinen, so unklaren Be¬
stimmungen für die Presse Gehorsam möglich, und wenn der Gehorsam erzwungen
werden kann, wie ist eine Presse möglich?
§. 19 verbietet das Hausirer mit Druckschriften, das Ausrufen, Vertheilen,
Feilbieten und Anschlagen ans offener Straße gänzlich. Eine harte Bestimmung,
der Tod aller Betheiligung des Volkes bei Tagesfragen, ein unerträglicher Zwang
auch für den Vermögenden, welcher eine Wohnung hat, in welche ihm die Zei¬
tungen gebracht werden können! Das Ausgeben von Extrablätter», die schnelle
Verbreitung von Nachrichten höchster Wichtigkeit wird dadurch unmöglich gemacht,
falls nicht die Negierung die Huld hat, das väterlich selbst zu thun. Auch das
unschuldige Verkaufen von Bänkelsängerliedern, dem Leben der schönen Mageloue,
der Historie vom gehörnten Siegfried u. f. w. hat der Zorn des Ministeriums
getroffen, die armen Guckkasteuerklärer und Drehorgelträger werden das Ministe¬
rium eben so sehr verwünschen, als andere Leute.
Das aber, was durch unser Preßgesetz für straffällig erklärt wird, ist uner¬
hört und ungerecht in empörenden Grade. Wer durch Druckschriften zum Wider¬
stande gegen Verfügungen der öffentlichen Behörde, gegen Gesetze, Verordnungen
und Erlasse der Gerichte oder zu Feindseligkeiten wider die verschiedenen Natio¬
nalitäten, Religiousgenossenschaften/einzelner Classen oder Stände der bürgerliche»
Gesellschaft oder wider gesetzlich anerkannte Körperschaften auffordert, aneifert oder
zu verleite» sucht, wird mit Kerker bis zu 2 Jahren bestraft. Wenn ich heut
ein Buch gegen die östreichische Bank oder den Lloyd schreibe, worin ich die Uebel-
stände dieses Instituts auseinandersetze und alle Patrioten zu einer Geld-Associa¬
tion auffordere, welche im Stande ist, dem Institut entgegen zu wirken, so werde
ich auf 2 Jahre ins Gefängniß gesteckt; wenn ich in irgend einer Zukunft erkläre,
daß der Gemeinderath von Wien seiner radicalen Gesinnungen wegen keine Ga¬
rantie für das Wohl der Stadt biete, und daß es wünschenswerth wäre, andere
Männer an seine Stelle zu setzen, so verleite ich zu Feindseligkeiten gegen eine
anerkannte Körperschaft und werde wieder auf 2 Jahre in den Kerker gesteckt.
Wenn ich als Deutsch-Böhme dem Einfluß der Slovanska-Lipa in Druckschriften
entgegenarbeite und gegen unhaltbare czcchische Nationalitätögclüste zu einer Oppo-
sitionsverbindung auffordere, so verleite ich zu Feindseligkeiten gegen die czechische
Nationalität und werde aus zwei Jahre in den Kerker gesteckt. -- Aber es kömmt uoch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |