Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.dem Gefühl eines wesentlichen Mangels, aber nicht als der Ausfluß einer wirkli¬ Die souveräne Kritik wird daher, weil sie in sich selbst kein festes Gesetz Im Jahre 1834 wurde Bruno Bauer Licentiat der Theologie an der Uni¬ Was damals strebsamen Geistes in Berlin war, schloß sich der Hegel'sehen dem Gefühl eines wesentlichen Mangels, aber nicht als der Ausfluß einer wirkli¬ Die souveräne Kritik wird daher, weil sie in sich selbst kein festes Gesetz Im Jahre 1834 wurde Bruno Bauer Licentiat der Theologie an der Uni¬ Was damals strebsamen Geistes in Berlin war, schloß sich der Hegel'sehen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278826"/> <p xml:id="ID_969" prev="#ID_968"> dem Gefühl eines wesentlichen Mangels, aber nicht als der Ausfluß einer wirkli¬<lb/> chen, ihrer selbst gewissen Kraft zu begreifen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_970"> Die souveräne Kritik wird daher, weil sie in sich selbst kein festes Gesetz<lb/> findet, den Schwankungen der Zeit unterworfen sein. Wir sehen Bruno Bauer<lb/> zuerst als orthodoxen Hegelianer die radicale Kritik der jungen Schule bekämpfen,<lb/> dann an ihrer Spitze jene glückliche Zeit durchmachen, in welcher man die<lb/> Mauern von Jericho mit Kanonen umzuwerfen glaubte, die lediglich mit Ideen<lb/> geladen waren, zuletzt als einsamer Kritiker, nnr von einer kleinen Schule Aus-<lb/> erwählter umgeben, die Trojaner wie die Achäer gleichmäßig verspotten. Die<lb/> Zeitabschnitte seiner BildungSphasen knüpfen sich an bestimmte Perioden der<lb/> öffentlichen Entwicklung an. Der erste umfaßt die Jahre 1834 — 39, die zweite<lb/> die Zeit des philosophischen Radikalismus, bis zur Unterdrückung der Jahrbü¬<lb/> cher 1843.</p><lb/> <p xml:id="ID_971"> Im Jahre 1834 wurde Bruno Bauer Licentiat der Theologie an der Uni¬<lb/> versität Berlin, wo er studirt hatte. Er war damals 25 Jahr alt. Sein Vater,<lb/> ein schlichter Mann, war Hofgärtner in Charlottenburg; seinen Geist soll er,<lb/> wie seine Brüder, von der Mutter geerbt haben. Seine Thätigkeit bestand in<lb/> dieser Periode in der Herausgabe eiuer „Zeitschrift für speculative Theologie"<lb/> 1836—38, und in einer „Kritik der Schriften des alten Testaments" 1838. Mit<lb/> einer bereits im Ton seiner spätern Polemik abgefaßten Broschüre: „Herr Dr.<lb/> Hengstenberg" und seiner Versetzung nach Bonn als Privatdocent 1839 schließt<lb/> diese Periode.</p><lb/> <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Was damals strebsamen Geistes in Berlin war, schloß sich der Hegel'sehen<lb/> Schule an, deren anscheinend mystische Dunkelheit ein ehrgeiziges Gemüth eben so<lb/> reizen als abstoßen mußte. Auf keine Wissenschaft hat die Schule so viel Einfluß<lb/> geübt, als auf die Theologie; die übrigen setzen der Speculation die Festigkeit<lb/> eines realen, concreten Inhalts entgegen, der sich mit „allgemeinen" Gedanken<lb/> nnr bis zu einem gewissen Grad verträgt; was aber in der Theologie Werth hat,<lb/> ist lediglich speculativer Natur, und eine willkürliche, mit rohen Vorstellungen und<lb/> poetischer Mystik zersetzte Speculation kann ans die Länge der Energie einer ge¬<lb/> bildeten Speculation nicht widersteh». Dem Anschein nach galt Hegel's Polemik<lb/> dem Rationalismus, welcher dem christlichen Glauben ungefähr auf das Minimum<lb/> zurückgeführt hatte, das in Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬<lb/> nunft" enthalten war, nämlich auf den Glauben an eine Vorsehung, um dem mo¬<lb/> ralischen Jnstinct des Meuscheu gerecht zu werden, und ein ein jenseitiges Leben,<lb/> um die Widersprüche dieses Glaubens an die Vorsehung mit dem Weltlauf aus-<lb/> zugleichen. Diese Dürftigkeit einer auf praktische Interessen eingeschränkten Reli¬<lb/> gion mußte einen Geist, dessen Richtung vorzugsweise auf das Deuten ging, aufs<lb/> Tiefste verletzen, weil sie gerade von den höchsten Angelegenheiten des mcnschliciM<lb/> Lebens das Denken auszuschließen schien. Hegel fand, daß in dem Christenthums</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
dem Gefühl eines wesentlichen Mangels, aber nicht als der Ausfluß einer wirkli¬
chen, ihrer selbst gewissen Kraft zu begreifen ist.
Die souveräne Kritik wird daher, weil sie in sich selbst kein festes Gesetz
findet, den Schwankungen der Zeit unterworfen sein. Wir sehen Bruno Bauer
zuerst als orthodoxen Hegelianer die radicale Kritik der jungen Schule bekämpfen,
dann an ihrer Spitze jene glückliche Zeit durchmachen, in welcher man die
Mauern von Jericho mit Kanonen umzuwerfen glaubte, die lediglich mit Ideen
geladen waren, zuletzt als einsamer Kritiker, nnr von einer kleinen Schule Aus-
erwählter umgeben, die Trojaner wie die Achäer gleichmäßig verspotten. Die
Zeitabschnitte seiner BildungSphasen knüpfen sich an bestimmte Perioden der
öffentlichen Entwicklung an. Der erste umfaßt die Jahre 1834 — 39, die zweite
die Zeit des philosophischen Radikalismus, bis zur Unterdrückung der Jahrbü¬
cher 1843.
Im Jahre 1834 wurde Bruno Bauer Licentiat der Theologie an der Uni¬
versität Berlin, wo er studirt hatte. Er war damals 25 Jahr alt. Sein Vater,
ein schlichter Mann, war Hofgärtner in Charlottenburg; seinen Geist soll er,
wie seine Brüder, von der Mutter geerbt haben. Seine Thätigkeit bestand in
dieser Periode in der Herausgabe eiuer „Zeitschrift für speculative Theologie"
1836—38, und in einer „Kritik der Schriften des alten Testaments" 1838. Mit
einer bereits im Ton seiner spätern Polemik abgefaßten Broschüre: „Herr Dr.
Hengstenberg" und seiner Versetzung nach Bonn als Privatdocent 1839 schließt
diese Periode.
Was damals strebsamen Geistes in Berlin war, schloß sich der Hegel'sehen
Schule an, deren anscheinend mystische Dunkelheit ein ehrgeiziges Gemüth eben so
reizen als abstoßen mußte. Auf keine Wissenschaft hat die Schule so viel Einfluß
geübt, als auf die Theologie; die übrigen setzen der Speculation die Festigkeit
eines realen, concreten Inhalts entgegen, der sich mit „allgemeinen" Gedanken
nnr bis zu einem gewissen Grad verträgt; was aber in der Theologie Werth hat,
ist lediglich speculativer Natur, und eine willkürliche, mit rohen Vorstellungen und
poetischer Mystik zersetzte Speculation kann ans die Länge der Energie einer ge¬
bildeten Speculation nicht widersteh». Dem Anschein nach galt Hegel's Polemik
dem Rationalismus, welcher dem christlichen Glauben ungefähr auf das Minimum
zurückgeführt hatte, das in Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬
nunft" enthalten war, nämlich auf den Glauben an eine Vorsehung, um dem mo¬
ralischen Jnstinct des Meuscheu gerecht zu werden, und ein ein jenseitiges Leben,
um die Widersprüche dieses Glaubens an die Vorsehung mit dem Weltlauf aus-
zugleichen. Diese Dürftigkeit einer auf praktische Interessen eingeschränkten Reli¬
gion mußte einen Geist, dessen Richtung vorzugsweise auf das Deuten ging, aufs
Tiefste verletzen, weil sie gerade von den höchsten Angelegenheiten des mcnschliciM
Lebens das Denken auszuschließen schien. Hegel fand, daß in dem Christenthums
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