Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Nun, ging's denn nicht bunt genug her, Sie kleine Reactionärin? wurden
nicht Barrikaden gebant und die Straßen gesperrt, nud mußten nicht ganze Re¬
gimenter aufmarschiren und dreinhauen und schießen um das Volk zu zerstreun?"

-- Ja, aber was war's denn am Ende? Im Ganzen sind nur fünf Men¬
schen um'ö Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, verwundet. --

Die Worte des jungen Mädchens machten einen seltsamen Eindruck auf mich.
Es ist mein Schicksal gewesen, die Menschen verschiedener Himmelsstriche und
verschiedener Kulturstufen in ihrer rohesten Kraftäußerung zu sehen: den wilden
Abasechen, der seinen Gefangenen die Fußsohle aufschlitzt und Pferdehaare hin¬
durchzieht, um die Wunde unheilbar zu machen; den räuberischen Tartaren, der
jeden Raub mit einem Morde besiegelt; den fanatischen Feueranbeter, der in sei¬
nem eigenen Fleische wühlt, wähnend der Gottheit dadurch zu gefallen; die Bru¬
derkrieg predigenden Pfaffen des Svnderbundes der Schweizerkantone und die den
Leichnam des gemordeten Latour umtobenden, entmenschten Weiber von Wien.
Aber all diese grausigen Bilder der Vergangenheit schienen mir in dem Augenblicke
weniger schrecklich, als die gleichgiltig gesprochenen Worte des jungen Mädchens:
"es sind nur fünf Menschen um's Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, ver¬
wundet."

Welch ein Schrei des Entsetzens ging durch die deutschen Lande, als vor
einigen Jahren in Leipzig ein Conflict zwischen Militär und Bürgern stattfand,
wobei auch mehrere Menschen um's Leben kamen. Ich war eben damals anf einer
Rundreise durch Deutschland begriffen und überall, wohin ich kam wurde von dem
vorfalle mit Entrüstung, als von einem ungeheuerlichen Ereignisse gesprochen;
Zeitungen waren voll davon, verbotene Gedichte und Brochüren flogen darüber
v"n Hand zu Hand.

Ich thue dieses Vorfalls Erwähnung, weil er als Maßstab dienen kann für
^n ungeheuern Umschwung, welcher seitdem stattgefunden in Deutschland. Heut zu
Tage xg ^n ganz gewöhnlicher Vorfall berichtet, wenn bei einem Stra-
ßcnkravall ein halb Dutzend Menschen erschossen werden; das Interesse, der Un¬
wille gilt weniger der Sache, als den dabei gefallenen Opfern. Das Volk hat
sich an das Schrecklichste gewöhnt, und das Schrecklichste ist jetzt vom Volke
fürchten. Wir stehen am Vorabend eiuer Revolution, gegen welche die März-
stnrnie des vergangenen Jahres nur wie ein lindes Frühlingswehcn erscheinen
Werden. Ich schreibe diese Worte mit blutendem Herzen, denn blutige Wahrheit
"age darin. Noch vor wenigen Wochen wäre es möglich gewesen, dem Unglück
^'Mengen; die Schicksalsfaden Deutschlands lagen in der Hand der preußischen
^egienmg; von ihr hing es ab, die Lösung der deutschen Einheitssrage auf sticd-
lchem oder auf gewaltsamen Wege herbeizuführen; sie wählte den Weg der Ge"
^le, nud das Volk wird ihr begegnen auf demselben Wege. -- Unser erleuchtetes
^binde hat vollbracht, was alle Demokraten und Wühler bis jetzt vergeblich erstrebt


„Nun, ging's denn nicht bunt genug her, Sie kleine Reactionärin? wurden
nicht Barrikaden gebant und die Straßen gesperrt, nud mußten nicht ganze Re¬
gimenter aufmarschiren und dreinhauen und schießen um das Volk zu zerstreun?"

— Ja, aber was war's denn am Ende? Im Ganzen sind nur fünf Men¬
schen um'ö Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, verwundet. —

Die Worte des jungen Mädchens machten einen seltsamen Eindruck auf mich.
Es ist mein Schicksal gewesen, die Menschen verschiedener Himmelsstriche und
verschiedener Kulturstufen in ihrer rohesten Kraftäußerung zu sehen: den wilden
Abasechen, der seinen Gefangenen die Fußsohle aufschlitzt und Pferdehaare hin¬
durchzieht, um die Wunde unheilbar zu machen; den räuberischen Tartaren, der
jeden Raub mit einem Morde besiegelt; den fanatischen Feueranbeter, der in sei¬
nem eigenen Fleische wühlt, wähnend der Gottheit dadurch zu gefallen; die Bru¬
derkrieg predigenden Pfaffen des Svnderbundes der Schweizerkantone und die den
Leichnam des gemordeten Latour umtobenden, entmenschten Weiber von Wien.
Aber all diese grausigen Bilder der Vergangenheit schienen mir in dem Augenblicke
weniger schrecklich, als die gleichgiltig gesprochenen Worte des jungen Mädchens:
„es sind nur fünf Menschen um's Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, ver¬
wundet."

Welch ein Schrei des Entsetzens ging durch die deutschen Lande, als vor
einigen Jahren in Leipzig ein Conflict zwischen Militär und Bürgern stattfand,
wobei auch mehrere Menschen um's Leben kamen. Ich war eben damals anf einer
Rundreise durch Deutschland begriffen und überall, wohin ich kam wurde von dem
vorfalle mit Entrüstung, als von einem ungeheuerlichen Ereignisse gesprochen;
Zeitungen waren voll davon, verbotene Gedichte und Brochüren flogen darüber
v"n Hand zu Hand.

Ich thue dieses Vorfalls Erwähnung, weil er als Maßstab dienen kann für
^n ungeheuern Umschwung, welcher seitdem stattgefunden in Deutschland. Heut zu
Tage xg ^n ganz gewöhnlicher Vorfall berichtet, wenn bei einem Stra-
ßcnkravall ein halb Dutzend Menschen erschossen werden; das Interesse, der Un¬
wille gilt weniger der Sache, als den dabei gefallenen Opfern. Das Volk hat
sich an das Schrecklichste gewöhnt, und das Schrecklichste ist jetzt vom Volke
fürchten. Wir stehen am Vorabend eiuer Revolution, gegen welche die März-
stnrnie des vergangenen Jahres nur wie ein lindes Frühlingswehcn erscheinen
Werden. Ich schreibe diese Worte mit blutendem Herzen, denn blutige Wahrheit
"age darin. Noch vor wenigen Wochen wäre es möglich gewesen, dem Unglück
^'Mengen; die Schicksalsfaden Deutschlands lagen in der Hand der preußischen
^egienmg; von ihr hing es ab, die Lösung der deutschen Einheitssrage auf sticd-
lchem oder auf gewaltsamen Wege herbeizuführen; sie wählte den Weg der Ge«
^le, nud das Volk wird ihr begegnen auf demselben Wege. — Unser erleuchtetes
^binde hat vollbracht, was alle Demokraten und Wühler bis jetzt vergeblich erstrebt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278813"/>
          <p xml:id="ID_930"> &#x201E;Nun, ging's denn nicht bunt genug her, Sie kleine Reactionärin? wurden<lb/>
nicht Barrikaden gebant und die Straßen gesperrt, nud mußten nicht ganze Re¬<lb/>
gimenter aufmarschiren und dreinhauen und schießen um das Volk zu zerstreun?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_931"> &#x2014; Ja, aber was war's denn am Ende? Im Ganzen sind nur fünf Men¬<lb/>
schen um'ö Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, verwundet. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_932"> Die Worte des jungen Mädchens machten einen seltsamen Eindruck auf mich.<lb/>
Es ist mein Schicksal gewesen, die Menschen verschiedener Himmelsstriche und<lb/>
verschiedener Kulturstufen in ihrer rohesten Kraftäußerung zu sehen: den wilden<lb/>
Abasechen, der seinen Gefangenen die Fußsohle aufschlitzt und Pferdehaare hin¬<lb/>
durchzieht, um die Wunde unheilbar zu machen; den räuberischen Tartaren, der<lb/>
jeden Raub mit einem Morde besiegelt; den fanatischen Feueranbeter, der in sei¬<lb/>
nem eigenen Fleische wühlt, wähnend der Gottheit dadurch zu gefallen; die Bru¬<lb/>
derkrieg predigenden Pfaffen des Svnderbundes der Schweizerkantone und die den<lb/>
Leichnam des gemordeten Latour umtobenden, entmenschten Weiber von Wien.<lb/>
Aber all diese grausigen Bilder der Vergangenheit schienen mir in dem Augenblicke<lb/>
weniger schrecklich, als die gleichgiltig gesprochenen Worte des jungen Mädchens:<lb/>
&#x201E;es sind nur fünf Menschen um's Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, ver¬<lb/>
wundet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933"> Welch ein Schrei des Entsetzens ging durch die deutschen Lande, als vor<lb/>
einigen Jahren in Leipzig ein Conflict zwischen Militär und Bürgern stattfand,<lb/>
wobei auch mehrere Menschen um's Leben kamen. Ich war eben damals anf einer<lb/>
Rundreise durch Deutschland begriffen und überall, wohin ich kam wurde von dem<lb/>
vorfalle mit Entrüstung, als von einem ungeheuerlichen Ereignisse gesprochen;<lb/>
Zeitungen waren voll davon, verbotene Gedichte und Brochüren flogen darüber<lb/>
v"n Hand zu Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934" next="#ID_935"> Ich thue dieses Vorfalls Erwähnung, weil er als Maßstab dienen kann für<lb/>
^n ungeheuern Umschwung, welcher seitdem stattgefunden in Deutschland. Heut zu<lb/>
Tage    xg   ^n ganz gewöhnlicher Vorfall berichtet, wenn bei einem Stra-<lb/>
ßcnkravall ein halb Dutzend Menschen erschossen werden; das Interesse, der Un¬<lb/>
wille gilt weniger der Sache, als den dabei gefallenen Opfern. Das Volk hat<lb/>
sich an das Schrecklichste gewöhnt, und das Schrecklichste ist jetzt vom Volke<lb/>
fürchten.  Wir stehen am Vorabend eiuer Revolution, gegen welche die März-<lb/>
stnrnie des vergangenen Jahres nur wie ein lindes Frühlingswehcn erscheinen<lb/>
Werden. Ich schreibe diese Worte mit blutendem Herzen, denn blutige Wahrheit<lb/>
"age darin.  Noch vor wenigen Wochen wäre es möglich gewesen, dem Unglück<lb/>
^'Mengen; die Schicksalsfaden Deutschlands lagen in der Hand der preußischen<lb/>
^egienmg; von ihr hing es ab, die Lösung der deutschen Einheitssrage auf sticd-<lb/>
lchem oder auf gewaltsamen Wege herbeizuführen; sie wählte den Weg der Ge«<lb/>
^le, nud das Volk wird ihr begegnen auf demselben Wege. &#x2014; Unser erleuchtetes<lb/>
^binde hat vollbracht, was alle Demokraten und Wühler bis jetzt vergeblich erstrebt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] „Nun, ging's denn nicht bunt genug her, Sie kleine Reactionärin? wurden nicht Barrikaden gebant und die Straßen gesperrt, nud mußten nicht ganze Re¬ gimenter aufmarschiren und dreinhauen und schießen um das Volk zu zerstreun?" — Ja, aber was war's denn am Ende? Im Ganzen sind nur fünf Men¬ schen um'ö Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, verwundet. — Die Worte des jungen Mädchens machten einen seltsamen Eindruck auf mich. Es ist mein Schicksal gewesen, die Menschen verschiedener Himmelsstriche und verschiedener Kulturstufen in ihrer rohesten Kraftäußerung zu sehen: den wilden Abasechen, der seinen Gefangenen die Fußsohle aufschlitzt und Pferdehaare hin¬ durchzieht, um die Wunde unheilbar zu machen; den räuberischen Tartaren, der jeden Raub mit einem Morde besiegelt; den fanatischen Feueranbeter, der in sei¬ nem eigenen Fleische wühlt, wähnend der Gottheit dadurch zu gefallen; die Bru¬ derkrieg predigenden Pfaffen des Svnderbundes der Schweizerkantone und die den Leichnam des gemordeten Latour umtobenden, entmenschten Weiber von Wien. Aber all diese grausigen Bilder der Vergangenheit schienen mir in dem Augenblicke weniger schrecklich, als die gleichgiltig gesprochenen Worte des jungen Mädchens: „es sind nur fünf Menschen um's Leben gekommen, und zwölf, glaub' ich, ver¬ wundet." Welch ein Schrei des Entsetzens ging durch die deutschen Lande, als vor einigen Jahren in Leipzig ein Conflict zwischen Militär und Bürgern stattfand, wobei auch mehrere Menschen um's Leben kamen. Ich war eben damals anf einer Rundreise durch Deutschland begriffen und überall, wohin ich kam wurde von dem vorfalle mit Entrüstung, als von einem ungeheuerlichen Ereignisse gesprochen; Zeitungen waren voll davon, verbotene Gedichte und Brochüren flogen darüber v"n Hand zu Hand. Ich thue dieses Vorfalls Erwähnung, weil er als Maßstab dienen kann für ^n ungeheuern Umschwung, welcher seitdem stattgefunden in Deutschland. Heut zu Tage xg ^n ganz gewöhnlicher Vorfall berichtet, wenn bei einem Stra- ßcnkravall ein halb Dutzend Menschen erschossen werden; das Interesse, der Un¬ wille gilt weniger der Sache, als den dabei gefallenen Opfern. Das Volk hat sich an das Schrecklichste gewöhnt, und das Schrecklichste ist jetzt vom Volke fürchten. Wir stehen am Vorabend eiuer Revolution, gegen welche die März- stnrnie des vergangenen Jahres nur wie ein lindes Frühlingswehcn erscheinen Werden. Ich schreibe diese Worte mit blutendem Herzen, denn blutige Wahrheit "age darin. Noch vor wenigen Wochen wäre es möglich gewesen, dem Unglück ^'Mengen; die Schicksalsfaden Deutschlands lagen in der Hand der preußischen ^egienmg; von ihr hing es ab, die Lösung der deutschen Einheitssrage auf sticd- lchem oder auf gewaltsamen Wege herbeizuführen; sie wählte den Weg der Ge« ^le, nud das Volk wird ihr begegnen auf demselben Wege. — Unser erleuchtetes ^binde hat vollbracht, was alle Demokraten und Wühler bis jetzt vergeblich erstrebt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/303>, abgerufen am 15.01.2025.