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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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vom Theater. Sie ist ein gutherziger Krakehler, der zuweilen mit Widerwillen
Scandal macht, blos um nicht durch Zufriedenheit und Lächeln ein Aergerniß zu
erregen; und ist das Blatt aller unzufriedenen Freisinnigen, welche recht viel Frei¬
heit wollen, aber keinen Communismus. -- Das dritte Blatt, die Allgemeine
Oderzeitung, von einer ultramontanen Partei gestiftet, ist jetzt das auser¬
wählte Blatt der Demokratie, eine schlechte Zeitung, die viel Schuld hat an der
blödsinnigen Aufregung des Landvolks in Schlesien. Wenn ein ehrlicher Bres-
lauer alle drei Zeitungen alle Morgen zu lesen im Stande wäre, er mußte ein
wunderbarer Philosoph werden, -denn täglich würde eine Zeitung die Wirkung der
andern neutralistreu; z. B. der König hat eine Verfassung octrvyirt, die Schlesi-
sche Zeitung ruft: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch!
^-- oder: Graf Zielen ist zum Deputirten für den Breslauer Landkreis erwählt,
die Schlestsche: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch! --
oder: Ju Dresden ist der Bürgerkrieg ausgebrochen! Die Schlesische ruft: Fluch!
Die Breslauer: Erfreulich aber bedenklich! Die Oder: Hurrah! Hurrah! -- Da
nun bei Ausbruch der Revolution ungefähr ein Drittel der sämmtlichen Zeitungs¬
abonnenten so viel selbstständige Meinung hatte, um sich das Blatt nach ihren
politischen Ansichten zu wählen; zwei Drittel der Abonnenten aber durch die Zei¬
tung, die sie grade hielten und die großentheils ihre einzige Tageslektüre war,
erst zu einer politischen Farbe gebracht wurden, so kann mau ermessen, welchen
ungeheuern Einfluß auf die politische Stimmung unserer Provinz von 3 Millionen
Menschen durch diese drei Zeitungen ausgeübt wurde. Wenn z. B. die jüngern
katholischen Geistlichen im vorigen Jahr der großen Mehrzahl nach radikal waren
und ihre Gemeinde" in derselben Richtung führten, so war ihre ungesunde sociale
Stellung viel weniger die Ursache, sondern der zufällige Umstand, daß sie die
Oderzeitung noch ans ihrer katholischen Periode her zu halten gewohnt waren.
Eine solche Betrachtung unserer Volksintelligenz ist sehr demüthigend, aber sie ist
leider wahr.

Den letzten Winter verlebte Breslau in einer Abspannung, die etwas Trost¬
loses hatte. Die demoknitischen Clubs waren erschlafft, die Cholera wüthete furcht¬
bar in den lichtarmer und schmutzigen Wohnungen der Armen, der Verein für
Gesetz und Ordnung hielt seine Sitzungen und auf der Straße prügelten sich hin
Und wieder zwei Verbindungen, die schwarz und weißen Landwchrkrenze unter dem
Motto: Mit Gott sür König und Vaterland und die rothen Landwchrkrenze, eine
demokratische Verbindung von Bummlern. So lauge die Kammern versammelt waren,
hielt diese mißliche Ruhe an, die ungeschickte Auflösung der zweiten Kammer warf
Ueucn Gärungsstoff in die Massen und die deutsche Frage wurde von der demokrati¬
schen Partei zum Vorwand genommen, eine Schilderhebnng zu versuchen. Der 20te
Mai scheint ursprünglich anch in Breslau dazu bestimmt gewesen zu sein und die
letzten Fäden des Complotts waren in den Händen eines geheimen Comites, von


vom Theater. Sie ist ein gutherziger Krakehler, der zuweilen mit Widerwillen
Scandal macht, blos um nicht durch Zufriedenheit und Lächeln ein Aergerniß zu
erregen; und ist das Blatt aller unzufriedenen Freisinnigen, welche recht viel Frei¬
heit wollen, aber keinen Communismus. — Das dritte Blatt, die Allgemeine
Oderzeitung, von einer ultramontanen Partei gestiftet, ist jetzt das auser¬
wählte Blatt der Demokratie, eine schlechte Zeitung, die viel Schuld hat an der
blödsinnigen Aufregung des Landvolks in Schlesien. Wenn ein ehrlicher Bres-
lauer alle drei Zeitungen alle Morgen zu lesen im Stande wäre, er mußte ein
wunderbarer Philosoph werden, -denn täglich würde eine Zeitung die Wirkung der
andern neutralistreu; z. B. der König hat eine Verfassung octrvyirt, die Schlesi-
sche Zeitung ruft: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch!
^— oder: Graf Zielen ist zum Deputirten für den Breslauer Landkreis erwählt,
die Schlestsche: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch! —
oder: Ju Dresden ist der Bürgerkrieg ausgebrochen! Die Schlesische ruft: Fluch!
Die Breslauer: Erfreulich aber bedenklich! Die Oder: Hurrah! Hurrah! — Da
nun bei Ausbruch der Revolution ungefähr ein Drittel der sämmtlichen Zeitungs¬
abonnenten so viel selbstständige Meinung hatte, um sich das Blatt nach ihren
politischen Ansichten zu wählen; zwei Drittel der Abonnenten aber durch die Zei¬
tung, die sie grade hielten und die großentheils ihre einzige Tageslektüre war,
erst zu einer politischen Farbe gebracht wurden, so kann mau ermessen, welchen
ungeheuern Einfluß auf die politische Stimmung unserer Provinz von 3 Millionen
Menschen durch diese drei Zeitungen ausgeübt wurde. Wenn z. B. die jüngern
katholischen Geistlichen im vorigen Jahr der großen Mehrzahl nach radikal waren
und ihre Gemeinde» in derselben Richtung führten, so war ihre ungesunde sociale
Stellung viel weniger die Ursache, sondern der zufällige Umstand, daß sie die
Oderzeitung noch ans ihrer katholischen Periode her zu halten gewohnt waren.
Eine solche Betrachtung unserer Volksintelligenz ist sehr demüthigend, aber sie ist
leider wahr.

Den letzten Winter verlebte Breslau in einer Abspannung, die etwas Trost¬
loses hatte. Die demoknitischen Clubs waren erschlafft, die Cholera wüthete furcht¬
bar in den lichtarmer und schmutzigen Wohnungen der Armen, der Verein für
Gesetz und Ordnung hielt seine Sitzungen und auf der Straße prügelten sich hin
Und wieder zwei Verbindungen, die schwarz und weißen Landwchrkrenze unter dem
Motto: Mit Gott sür König und Vaterland und die rothen Landwchrkrenze, eine
demokratische Verbindung von Bummlern. So lauge die Kammern versammelt waren,
hielt diese mißliche Ruhe an, die ungeschickte Auflösung der zweiten Kammer warf
Ueucn Gärungsstoff in die Massen und die deutsche Frage wurde von der demokrati¬
schen Partei zum Vorwand genommen, eine Schilderhebnng zu versuchen. Der 20te
Mai scheint ursprünglich anch in Breslau dazu bestimmt gewesen zu sein und die
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[0285] vom Theater. Sie ist ein gutherziger Krakehler, der zuweilen mit Widerwillen Scandal macht, blos um nicht durch Zufriedenheit und Lächeln ein Aergerniß zu erregen; und ist das Blatt aller unzufriedenen Freisinnigen, welche recht viel Frei¬ heit wollen, aber keinen Communismus. — Das dritte Blatt, die Allgemeine Oderzeitung, von einer ultramontanen Partei gestiftet, ist jetzt das auser¬ wählte Blatt der Demokratie, eine schlechte Zeitung, die viel Schuld hat an der blödsinnigen Aufregung des Landvolks in Schlesien. Wenn ein ehrlicher Bres- lauer alle drei Zeitungen alle Morgen zu lesen im Stande wäre, er mußte ein wunderbarer Philosoph werden, -denn täglich würde eine Zeitung die Wirkung der andern neutralistreu; z. B. der König hat eine Verfassung octrvyirt, die Schlesi- sche Zeitung ruft: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch! ^— oder: Graf Zielen ist zum Deputirten für den Breslauer Landkreis erwählt, die Schlestsche: Hurrah! die Breslauer: Sehr bedenklich! die Oder: Fluch! — oder: Ju Dresden ist der Bürgerkrieg ausgebrochen! Die Schlesische ruft: Fluch! Die Breslauer: Erfreulich aber bedenklich! Die Oder: Hurrah! Hurrah! — Da nun bei Ausbruch der Revolution ungefähr ein Drittel der sämmtlichen Zeitungs¬ abonnenten so viel selbstständige Meinung hatte, um sich das Blatt nach ihren politischen Ansichten zu wählen; zwei Drittel der Abonnenten aber durch die Zei¬ tung, die sie grade hielten und die großentheils ihre einzige Tageslektüre war, erst zu einer politischen Farbe gebracht wurden, so kann mau ermessen, welchen ungeheuern Einfluß auf die politische Stimmung unserer Provinz von 3 Millionen Menschen durch diese drei Zeitungen ausgeübt wurde. Wenn z. B. die jüngern katholischen Geistlichen im vorigen Jahr der großen Mehrzahl nach radikal waren und ihre Gemeinde» in derselben Richtung führten, so war ihre ungesunde sociale Stellung viel weniger die Ursache, sondern der zufällige Umstand, daß sie die Oderzeitung noch ans ihrer katholischen Periode her zu halten gewohnt waren. Eine solche Betrachtung unserer Volksintelligenz ist sehr demüthigend, aber sie ist leider wahr. Den letzten Winter verlebte Breslau in einer Abspannung, die etwas Trost¬ loses hatte. Die demoknitischen Clubs waren erschlafft, die Cholera wüthete furcht¬ bar in den lichtarmer und schmutzigen Wohnungen der Armen, der Verein für Gesetz und Ordnung hielt seine Sitzungen und auf der Straße prügelten sich hin Und wieder zwei Verbindungen, die schwarz und weißen Landwchrkrenze unter dem Motto: Mit Gott sür König und Vaterland und die rothen Landwchrkrenze, eine demokratische Verbindung von Bummlern. So lauge die Kammern versammelt waren, hielt diese mißliche Ruhe an, die ungeschickte Auflösung der zweiten Kammer warf Ueucn Gärungsstoff in die Massen und die deutsche Frage wurde von der demokrati¬ schen Partei zum Vorwand genommen, eine Schilderhebnng zu versuchen. Der 20te Mai scheint ursprünglich anch in Breslau dazu bestimmt gewesen zu sein und die letzten Fäden des Complotts waren in den Händen eines geheimen Comites, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/285>, abgerufen am 15.01.2025.