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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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nicht verzweifelt. ES war eine traurige Beschäftigung für Physiognomiker, im
letzten Herbst oder Winter die Wachmannschaften der Bürgerwehr zu beobachten,
wie sie sich mühsam mit der langen Muskete schleppten, ein schwächliches, bleiches
Geschlecht, ohne jede Spur der stämmigen Behaglichkeit, welche den National-
gardisten in Wien oder Berlin tren begleitete, auch wo ihn die kriegerische Hal¬
tung verließ. -- Und vollends die Lungerer und Bummler auf den Straßen,
welche abscheulichen Köpfe, welche Rohheit in ihren Reden und welch siecher
Uebermuth in ihrem Benehmen. Bis zum December vorigen Jahres war es für
Männer und Frauen nicht rathsam, in neuem Rock oder mit dem Strich einer
eleganten Toilette über die Straße zu schlüpfen und wer das Renoinve hatte, kein
"Demokrat" zu sein, that weise, uach Sonnenuntergang nicht ohne eine Waffe
in der Tasche auszugehen. Glauben Sie nicht, daß ich übertreibe, es war eine
sehr häßliche, schlechte Zeit, die wir verlebt haben und es ist nothwendig, sich
daran zu erinnern, um die gegenwärtige Stimmung der Stadt nicht auffallend
zu finden. --

Breslau brachte gefährliche Elemente in die Revolutionszeit und hat die
Schrecken derselben redlich durchgemacht. Die Bürgerwehr war so schlecht discipli-
nirt, so unsicher und anmaßend als möglich, die städtischen Behörden einer schrei-
lustiger und unzuverlässige" Bevölkerung gegenüber so schwach als möglich, und die
"demokratischen" Vereine so thätig, talentlos und siech, als möglich. So konnte
es geschehn, daß durch Vermittlung des Russen Bakunin, welcher sich in¬
kognito in Breslau aufhielt, damals Rüge als Kandidat uach Frankfurt durchge¬
setzt wurde, so kam es, daß das ganze vorige Jahr ein Straßenscandal auf den
andern folgte, daß diesen Herbst und Winter Diebstähle, Noth und Cholera
fürchterlich an sich griffen und daß Breslau ein widerliches Bild von politischer
Unreife und Bürgerschwäche gewährte. Ueber die Führer der alten Demokratie,
in Breslau: Stein, Bchnsch, Gras Reichenbach, Nees vou Esenbeck, Engelmann,
Laßwitz u. s. w. ist wenig zu sagen, sie waren politische Boviste, nicht besser und
nicht schlechter, als Clubführer zu sein pflegen; da sie jetzt in Unglück und Gefahr
Ad, so hat dies Blatt ein Recht, sie zu schönen und deshalb möge hier nur die
Bemerkung stehe", daß die große Schwäche der gemäßigten Partei sie erst zu etwas
gemacht hat. Hätte Breslau einen einzigen starken Charakter unter seinen städti¬
schen Autoritäten gehabt, Vieles wäre anders und besser geworden.

Die conservative Partei aber war bis zum Spätherbst 1848 ohne jede cr-
wähmmgswerthe Organisation, denn ihre Clubs waren nicht der Rede werth,
nichts als ein schwächliches Geschwätz und leere Bänke. Die Auflösung der Na¬
tionalversammlung aber rief gegen die Steuerverweigerer eine Verbindung der
conservativen Kräfte in's Leben, den Verein für Gesetz und Ordnung, hör sah,^
zu großer Ausdehnung an, alle furchtsamen Herzen und reactionären Wünsche
schlössen sich an ihn an, er wurde eine Macht für Breslau und unterstützte die


nicht verzweifelt. ES war eine traurige Beschäftigung für Physiognomiker, im
letzten Herbst oder Winter die Wachmannschaften der Bürgerwehr zu beobachten,
wie sie sich mühsam mit der langen Muskete schleppten, ein schwächliches, bleiches
Geschlecht, ohne jede Spur der stämmigen Behaglichkeit, welche den National-
gardisten in Wien oder Berlin tren begleitete, auch wo ihn die kriegerische Hal¬
tung verließ. — Und vollends die Lungerer und Bummler auf den Straßen,
welche abscheulichen Köpfe, welche Rohheit in ihren Reden und welch siecher
Uebermuth in ihrem Benehmen. Bis zum December vorigen Jahres war es für
Männer und Frauen nicht rathsam, in neuem Rock oder mit dem Strich einer
eleganten Toilette über die Straße zu schlüpfen und wer das Renoinve hatte, kein
„Demokrat" zu sein, that weise, uach Sonnenuntergang nicht ohne eine Waffe
in der Tasche auszugehen. Glauben Sie nicht, daß ich übertreibe, es war eine
sehr häßliche, schlechte Zeit, die wir verlebt haben und es ist nothwendig, sich
daran zu erinnern, um die gegenwärtige Stimmung der Stadt nicht auffallend
zu finden. —

Breslau brachte gefährliche Elemente in die Revolutionszeit und hat die
Schrecken derselben redlich durchgemacht. Die Bürgerwehr war so schlecht discipli-
nirt, so unsicher und anmaßend als möglich, die städtischen Behörden einer schrei-
lustiger und unzuverlässige» Bevölkerung gegenüber so schwach als möglich, und die
„demokratischen" Vereine so thätig, talentlos und siech, als möglich. So konnte
es geschehn, daß durch Vermittlung des Russen Bakunin, welcher sich in¬
kognito in Breslau aufhielt, damals Rüge als Kandidat uach Frankfurt durchge¬
setzt wurde, so kam es, daß das ganze vorige Jahr ein Straßenscandal auf den
andern folgte, daß diesen Herbst und Winter Diebstähle, Noth und Cholera
fürchterlich an sich griffen und daß Breslau ein widerliches Bild von politischer
Unreife und Bürgerschwäche gewährte. Ueber die Führer der alten Demokratie,
in Breslau: Stein, Bchnsch, Gras Reichenbach, Nees vou Esenbeck, Engelmann,
Laßwitz u. s. w. ist wenig zu sagen, sie waren politische Boviste, nicht besser und
nicht schlechter, als Clubführer zu sein pflegen; da sie jetzt in Unglück und Gefahr
Ad, so hat dies Blatt ein Recht, sie zu schönen und deshalb möge hier nur die
Bemerkung stehe», daß die große Schwäche der gemäßigten Partei sie erst zu etwas
gemacht hat. Hätte Breslau einen einzigen starken Charakter unter seinen städti¬
schen Autoritäten gehabt, Vieles wäre anders und besser geworden.

Die conservative Partei aber war bis zum Spätherbst 1848 ohne jede cr-
wähmmgswerthe Organisation, denn ihre Clubs waren nicht der Rede werth,
nichts als ein schwächliches Geschwätz und leere Bänke. Die Auflösung der Na¬
tionalversammlung aber rief gegen die Steuerverweigerer eine Verbindung der
conservativen Kräfte in's Leben, den Verein für Gesetz und Ordnung, hör sah,^
zu großer Ausdehnung an, alle furchtsamen Herzen und reactionären Wünsche
schlössen sich an ihn an, er wurde eine Macht für Breslau und unterstützte die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/283>, abgerufen am 15.01.2025.