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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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neu, so wird eine Einheit des Interesses wahrlich daraus nicht hervorgehn; trennt
man sie, so ist es unmöglich, sie auch nur räumlich zu einem öfteren Beisammensein,
wie es die Wahl erforderte, wenn sie etwas Organisches sein soll, zu vereinigen, am
wenigsten in einem Staat, wo der Zunftzwang so völlig aufgehoben ist. Es würde
ferner schwer sein, principmäßig festzustellen, wie das Verhältniß sein soll,
um eine verständige Ausgleichung der widersprechenden Sonderinteresscn zu sichern.
Endlich darf man nicht vergessen, daß der Fabrikant nicht blos Fabrikant, der
Kesselflicker nicht blos Kesselflicker ist, daß der Mensch nicht völlig in die Interessen
der Fabrik, des Handels, des Gewerbes, der Gelehrsamkeit aufgeht, daß er noch
andere menschliche und bürgerliche Interessen hat, die vorzugsweise das verbin¬
dende, das zugleich conservative und Vorwärtsdrängende Moment des Staatslebens
ausmachen. Der Staat ist nicht ein Conglomerat ans Fabrik-, Handels-, Soldaten-,
Gelehrten- u. s. w. Interessen, er ist ein ethisches Ganze, wie der Mensch, der sich
noch nicht zu der Theatcrfigur eines abstracten Schneiders, Bedienten, Hofmarschalls
herabgesetzt hat. Daß wir übrigens eine Vertretung der technischen Korporationen
in einer ersten Kammer als Ergänzung der Volksvertretung für nützlich und selbst
nothwendig halten, haben wir mehrfach ausgesprochen.

Wenn aber diese Systeme wenigstens den Anschein eines Princips haben, so
hört bei der Theilung der Classen nach der runden Summe des Vermögens auch
aller Anschein von Vernunft auf. Zwischen sämmtlichen Bauern, sämmtlichen Kauf¬
leuten u. f. w. ist doch etwas gemeinsam; aber zwischen denen, welche 600 Thlr.
jährliche Einkünfte haben, gar nichts. Von der Brutalität, eiuen Rothschild/
weil er 10 Millionen im Vermögen hat, bei der Wahl gerade so viel Stimmen
einzuräumen, als 20,000 Krämern, Gelehrten, Beamten (ein Assessor schlägt sich
bis zum 35. Jahre, ein Oberlehrer bis zum 40. mit circa 500 Thlr. Durchschnitts¬
einkommen herum), will ich gar nicht reden.

Jener Abklatsch vom System des Servius Tullius oder des Aristoteles hat
auch nicht einen logischen oder sittlichen Grund, er geht nur vou der Zweckmäßig¬
keit aus. Man hofft durch Wahlen, in denen der Reichthum den Ausschlag gibt,
gefügige Kammern zu erhalten. Man vergißt dabei nur, daß Kammern die Re¬
gierung nur so weit kräftigen, als sie selbst Kraft haben. Wenn sie nicht von
der öffentlichen Meinung getragen werden, sind sie ein sehr schwaches Bollwerk
gegen die Fluth der Revolution. Das hat das Parlament der Juli-Dynastie
gezeigt, das ließ im Kleinen schon jetzt die Herrcncnrie und die preußische erste
Kammer erkennen, obgleich wir bei einer ersten Kammer nicht vergessen wollen,
daß ihre einzige Aufgabe die ist, voreilige Beschlüsse der zweiten Kammer, die
mit einer kleinen Majorität gefaßt werden und von denen man daher nicht weiß,
ob sie auch wirklich der öffentlichen Meinung entsprechen, durch ein vorläufiges
Veto aufzuhalten, ohne die Krone in diesen immer gehässigen Conflict hineinzu"


neu, so wird eine Einheit des Interesses wahrlich daraus nicht hervorgehn; trennt
man sie, so ist es unmöglich, sie auch nur räumlich zu einem öfteren Beisammensein,
wie es die Wahl erforderte, wenn sie etwas Organisches sein soll, zu vereinigen, am
wenigsten in einem Staat, wo der Zunftzwang so völlig aufgehoben ist. Es würde
ferner schwer sein, principmäßig festzustellen, wie das Verhältniß sein soll,
um eine verständige Ausgleichung der widersprechenden Sonderinteresscn zu sichern.
Endlich darf man nicht vergessen, daß der Fabrikant nicht blos Fabrikant, der
Kesselflicker nicht blos Kesselflicker ist, daß der Mensch nicht völlig in die Interessen
der Fabrik, des Handels, des Gewerbes, der Gelehrsamkeit aufgeht, daß er noch
andere menschliche und bürgerliche Interessen hat, die vorzugsweise das verbin¬
dende, das zugleich conservative und Vorwärtsdrängende Moment des Staatslebens
ausmachen. Der Staat ist nicht ein Conglomerat ans Fabrik-, Handels-, Soldaten-,
Gelehrten- u. s. w. Interessen, er ist ein ethisches Ganze, wie der Mensch, der sich
noch nicht zu der Theatcrfigur eines abstracten Schneiders, Bedienten, Hofmarschalls
herabgesetzt hat. Daß wir übrigens eine Vertretung der technischen Korporationen
in einer ersten Kammer als Ergänzung der Volksvertretung für nützlich und selbst
nothwendig halten, haben wir mehrfach ausgesprochen.

Wenn aber diese Systeme wenigstens den Anschein eines Princips haben, so
hört bei der Theilung der Classen nach der runden Summe des Vermögens auch
aller Anschein von Vernunft auf. Zwischen sämmtlichen Bauern, sämmtlichen Kauf¬
leuten u. f. w. ist doch etwas gemeinsam; aber zwischen denen, welche 600 Thlr.
jährliche Einkünfte haben, gar nichts. Von der Brutalität, eiuen Rothschild/
weil er 10 Millionen im Vermögen hat, bei der Wahl gerade so viel Stimmen
einzuräumen, als 20,000 Krämern, Gelehrten, Beamten (ein Assessor schlägt sich
bis zum 35. Jahre, ein Oberlehrer bis zum 40. mit circa 500 Thlr. Durchschnitts¬
einkommen herum), will ich gar nicht reden.

Jener Abklatsch vom System des Servius Tullius oder des Aristoteles hat
auch nicht einen logischen oder sittlichen Grund, er geht nur vou der Zweckmäßig¬
keit aus. Man hofft durch Wahlen, in denen der Reichthum den Ausschlag gibt,
gefügige Kammern zu erhalten. Man vergißt dabei nur, daß Kammern die Re¬
gierung nur so weit kräftigen, als sie selbst Kraft haben. Wenn sie nicht von
der öffentlichen Meinung getragen werden, sind sie ein sehr schwaches Bollwerk
gegen die Fluth der Revolution. Das hat das Parlament der Juli-Dynastie
gezeigt, das ließ im Kleinen schon jetzt die Herrcncnrie und die preußische erste
Kammer erkennen, obgleich wir bei einer ersten Kammer nicht vergessen wollen,
daß ihre einzige Aufgabe die ist, voreilige Beschlüsse der zweiten Kammer, die
mit einer kleinen Majorität gefaßt werden und von denen man daher nicht weiß,
ob sie auch wirklich der öffentlichen Meinung entsprechen, durch ein vorläufiges
Veto aufzuhalten, ohne die Krone in diesen immer gehässigen Conflict hineinzu«


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[0276] neu, so wird eine Einheit des Interesses wahrlich daraus nicht hervorgehn; trennt man sie, so ist es unmöglich, sie auch nur räumlich zu einem öfteren Beisammensein, wie es die Wahl erforderte, wenn sie etwas Organisches sein soll, zu vereinigen, am wenigsten in einem Staat, wo der Zunftzwang so völlig aufgehoben ist. Es würde ferner schwer sein, principmäßig festzustellen, wie das Verhältniß sein soll, um eine verständige Ausgleichung der widersprechenden Sonderinteresscn zu sichern. Endlich darf man nicht vergessen, daß der Fabrikant nicht blos Fabrikant, der Kesselflicker nicht blos Kesselflicker ist, daß der Mensch nicht völlig in die Interessen der Fabrik, des Handels, des Gewerbes, der Gelehrsamkeit aufgeht, daß er noch andere menschliche und bürgerliche Interessen hat, die vorzugsweise das verbin¬ dende, das zugleich conservative und Vorwärtsdrängende Moment des Staatslebens ausmachen. Der Staat ist nicht ein Conglomerat ans Fabrik-, Handels-, Soldaten-, Gelehrten- u. s. w. Interessen, er ist ein ethisches Ganze, wie der Mensch, der sich noch nicht zu der Theatcrfigur eines abstracten Schneiders, Bedienten, Hofmarschalls herabgesetzt hat. Daß wir übrigens eine Vertretung der technischen Korporationen in einer ersten Kammer als Ergänzung der Volksvertretung für nützlich und selbst nothwendig halten, haben wir mehrfach ausgesprochen. Wenn aber diese Systeme wenigstens den Anschein eines Princips haben, so hört bei der Theilung der Classen nach der runden Summe des Vermögens auch aller Anschein von Vernunft auf. Zwischen sämmtlichen Bauern, sämmtlichen Kauf¬ leuten u. f. w. ist doch etwas gemeinsam; aber zwischen denen, welche 600 Thlr. jährliche Einkünfte haben, gar nichts. Von der Brutalität, eiuen Rothschild/ weil er 10 Millionen im Vermögen hat, bei der Wahl gerade so viel Stimmen einzuräumen, als 20,000 Krämern, Gelehrten, Beamten (ein Assessor schlägt sich bis zum 35. Jahre, ein Oberlehrer bis zum 40. mit circa 500 Thlr. Durchschnitts¬ einkommen herum), will ich gar nicht reden. Jener Abklatsch vom System des Servius Tullius oder des Aristoteles hat auch nicht einen logischen oder sittlichen Grund, er geht nur vou der Zweckmäßig¬ keit aus. Man hofft durch Wahlen, in denen der Reichthum den Ausschlag gibt, gefügige Kammern zu erhalten. Man vergißt dabei nur, daß Kammern die Re¬ gierung nur so weit kräftigen, als sie selbst Kraft haben. Wenn sie nicht von der öffentlichen Meinung getragen werden, sind sie ein sehr schwaches Bollwerk gegen die Fluth der Revolution. Das hat das Parlament der Juli-Dynastie gezeigt, das ließ im Kleinen schon jetzt die Herrcncnrie und die preußische erste Kammer erkennen, obgleich wir bei einer ersten Kammer nicht vergessen wollen, daß ihre einzige Aufgabe die ist, voreilige Beschlüsse der zweiten Kammer, die mit einer kleinen Majorität gefaßt werden und von denen man daher nicht weiß, ob sie auch wirklich der öffentlichen Meinung entsprechen, durch ein vorläufiges Veto aufzuhalten, ohne die Krone in diesen immer gehässigen Conflict hineinzu«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/276>, abgerufen am 15.01.2025.