Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.-- "Wenn wir in der Noth sind, so ist der uns ein guter Freund, welcher uns — „Wenn wir in der Noth sind, so ist der uns ein guter Freund, welcher uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278770"/> <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816" next="#ID_818"> — „Wenn wir in der Noth sind, so ist der uns ein guter Freund, welcher uns<lb/> in unserer Bedrängniß zu Hilfe eilt." — „Der absolutistische Russe, der uns<lb/> hilft, ist uns lieber, als der konstitutionelle Engländer, der am Brande Oestreichs<lb/> ruhig sein Beafsteak schmort." — Das ist alles sehr kindlich und weise, erinnert<lb/> uus aber unwillkürlich an die Arien Bertrams in Meyerbeers Robert dem Teufel,<lb/> mit denen er seinen Freund und Schützling im Unglück tröstet, zu dem er selbst<lb/> das Meiste beigetragen hatte. — Die ministeriellen Blätter haben seit den letzten<lb/> Unglückstagen in Ungarn schon so vieles eingestanden, über dessen Enthüllung<lb/> durch die sogenannte Opposttionspresse sie vor Kurzem noch Mord und Zeter riefen,<lb/> vielleicht ist jetzt der Moment eingetroffen, wo sie anch zugeben, daß die octrvyirte<lb/> Charte nicht jenen Enthusiasmus in den Provinzen hervorrief, den sie dnrch ihre<lb/> Correspondenten so hinreißend zu schildern versuchten. Vielleicht gestehen sie ferner,<lb/> daß alle bisherigen Ordonnanzen des Ministeriums — das Jagdgesetz vielleicht<lb/> allein ausgenommen — nicht alle wirklichen Patrioten für sich hatten, vielleicht<lb/> bekennen sie endlich, daß die Oppositionsblätter mit Recht ihre warnende Stimme<lb/> erhoben, wenn sie sagten: „Ans diesem Wege wird das einheitliche Oestreich<lb/> nimmer zu Stande kommen, ans diesem Wege kann daS kranke Vaterland nicht<lb/> gesunden." Nachdem aber die Opposttionspresse bei jeder Karte, welche die<lb/> Regierung ausspielte, dieser jedesmal zugerufen hatte: „Ihr seid verzweifelte<lb/> Spieler, Ihr kennt die Karten nicht, mit denen Ihr handtirt, und reißt uns Alle<lb/> und Euch mit ins Verderben!" — ziemt es da dem Lloyd, welcher dergleichen<lb/> vornehm überhüpfte, in diesem Augenblicke zu fragen: „Was sollen wir denn<lb/> thun, wenn uns das constitutionelle Europa verlaßt, und wir uns selber uicht<lb/> mehr helfen können?" — Ziemt es dem Lloyd dann mit bitterem Spott zu sagen:<lb/> „Helft Ihr uus, Ihr sentimentalen Politiker, die Ihr vor den Russen zurück¬<lb/> schreckt wie vor einer Vogelscheuche!" — Lloyd, Lloyd, der du so weit gereist bist,<lb/> wirst auch einmal an einem grünen Tisch gestanden sein, wo ruu^o et loir gespielt<lb/> ward. Ein Spieler setzt, allen Mahnungen zum Trotz, sein Hab und Gut auf<lb/> trügerische Karten, endlich ist Alles, Alles verloren. Die Freunde wenden sich<lb/> schandernd ab von dem Unglücklichen, und wenn dieser ihnen in einer der nächsten<lb/> Nächte im Hohlwege als Räuber begegnet und sie mit spitzbübischer Gelassenheit<lb/> frägt: „Was wollt Ihr, daß ich anders thue, helft mir doch Ihr sentimentalen<lb/> Freunde, die Ihr vor dem Aeußersten zurückschreckt!" da freilich werden die<lb/> Freunde nichts anderes zu sagen haben als: „Dn bist verloren, gottloser Mann,<lb/> wende die Pistole gegen die eigene Brust — für Dein Weib aber und Dein Kind<lb/> wollen wir ehrlich sorgen." — Den Spieler, Lloyd, Du wirst ihn errathen haben.<lb/> Weib und Kind aber das ist unser Vaterland, das man auf die Karte setzte und<lb/> — verspielte. Den Spieler geben wir auf, Weib und Kind aber drücken wir an<lb/> unser Herz, wir werden vereint noch Kraft genug haben, sie zu retten. — Hängt<lb/> das Wohl Oestreichs an ein paar Männern, die — im besten Falle — sich ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
— „Wenn wir in der Noth sind, so ist der uns ein guter Freund, welcher uns
in unserer Bedrängniß zu Hilfe eilt." — „Der absolutistische Russe, der uns
hilft, ist uns lieber, als der konstitutionelle Engländer, der am Brande Oestreichs
ruhig sein Beafsteak schmort." — Das ist alles sehr kindlich und weise, erinnert
uus aber unwillkürlich an die Arien Bertrams in Meyerbeers Robert dem Teufel,
mit denen er seinen Freund und Schützling im Unglück tröstet, zu dem er selbst
das Meiste beigetragen hatte. — Die ministeriellen Blätter haben seit den letzten
Unglückstagen in Ungarn schon so vieles eingestanden, über dessen Enthüllung
durch die sogenannte Opposttionspresse sie vor Kurzem noch Mord und Zeter riefen,
vielleicht ist jetzt der Moment eingetroffen, wo sie anch zugeben, daß die octrvyirte
Charte nicht jenen Enthusiasmus in den Provinzen hervorrief, den sie dnrch ihre
Correspondenten so hinreißend zu schildern versuchten. Vielleicht gestehen sie ferner,
daß alle bisherigen Ordonnanzen des Ministeriums — das Jagdgesetz vielleicht
allein ausgenommen — nicht alle wirklichen Patrioten für sich hatten, vielleicht
bekennen sie endlich, daß die Oppositionsblätter mit Recht ihre warnende Stimme
erhoben, wenn sie sagten: „Ans diesem Wege wird das einheitliche Oestreich
nimmer zu Stande kommen, ans diesem Wege kann daS kranke Vaterland nicht
gesunden." Nachdem aber die Opposttionspresse bei jeder Karte, welche die
Regierung ausspielte, dieser jedesmal zugerufen hatte: „Ihr seid verzweifelte
Spieler, Ihr kennt die Karten nicht, mit denen Ihr handtirt, und reißt uns Alle
und Euch mit ins Verderben!" — ziemt es da dem Lloyd, welcher dergleichen
vornehm überhüpfte, in diesem Augenblicke zu fragen: „Was sollen wir denn
thun, wenn uns das constitutionelle Europa verlaßt, und wir uns selber uicht
mehr helfen können?" — Ziemt es dem Lloyd dann mit bitterem Spott zu sagen:
„Helft Ihr uus, Ihr sentimentalen Politiker, die Ihr vor den Russen zurück¬
schreckt wie vor einer Vogelscheuche!" — Lloyd, Lloyd, der du so weit gereist bist,
wirst auch einmal an einem grünen Tisch gestanden sein, wo ruu^o et loir gespielt
ward. Ein Spieler setzt, allen Mahnungen zum Trotz, sein Hab und Gut auf
trügerische Karten, endlich ist Alles, Alles verloren. Die Freunde wenden sich
schandernd ab von dem Unglücklichen, und wenn dieser ihnen in einer der nächsten
Nächte im Hohlwege als Räuber begegnet und sie mit spitzbübischer Gelassenheit
frägt: „Was wollt Ihr, daß ich anders thue, helft mir doch Ihr sentimentalen
Freunde, die Ihr vor dem Aeußersten zurückschreckt!" da freilich werden die
Freunde nichts anderes zu sagen haben als: „Dn bist verloren, gottloser Mann,
wende die Pistole gegen die eigene Brust — für Dein Weib aber und Dein Kind
wollen wir ehrlich sorgen." — Den Spieler, Lloyd, Du wirst ihn errathen haben.
Weib und Kind aber das ist unser Vaterland, das man auf die Karte setzte und
— verspielte. Den Spieler geben wir auf, Weib und Kind aber drücken wir an
unser Herz, wir werden vereint noch Kraft genug haben, sie zu retten. — Hängt
das Wohl Oestreichs an ein paar Männern, die — im besten Falle — sich ver-
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